Die Vulkane in Zentral-Amerika haben es uns angetan. Nach dem wir schon den Atitlán in Guatemala bestaunt und den San Cristóbal in Nicaragua erklommen haben, steht Telica als nächstes auf unserer Liste. Hier soll man sogar mit etwas Glück Lava sehen können.
Telica ist ein recht aktiver Vulkan und wegen seiner mühseligen Anreise gleichzeitig touristisch nicht überlaufen. Ganz im Sinne des deutschen Sicherheitsempfindens kann man auch diesen Krater besteigen, sich oben auf allen Vieren über die vertrauenseinflößende Kante beugen und seine Lungen mit den nach einer antiken Heilquelle duftenden und mindestens ebenso gesunden Gasen und Dämpfen füllen. Mit etwas Glück soll man sogar zwischen den Schwaden glühende Lava erspähen können. Außerdem soll es eine tolle Aussicht auf die umliegende Vulkanlandschaft inklusive San Cristóbal im Sonnenuntergang geben. Damit aber noch nicht genug: Für den letzten Adrenalin-Kick schnürt eine Übernachtung im Zelt am Krater noch einen Sonnenaufgang auf das Paket. Wer kann da noch widerstehen? Klingt nach einem Highlight unserer Reise!
Anreise zum Vulcan Telica
Diverse organisierte Touren karren den gut situierten Backpacker von Welt im Allradfahrzeug oder per zwei Tage Hike in den Park. Als eingefleischte Motorrad-Weltreisende wollen wir aber natürlich das ganz große Abenteuer (und uns die Kohle sparen) und planen unsere Anreise mit den Mopeten. Schließlich wollen wir (ich) den wahren offroad-Fähigkeiten unserer V-Stroms auf den Zahn fühlen!
Es braucht dann allerdings doch zwei Anläufe, um das Projekt erfolgreich in die Tat umzusetzen. Unsere erste Anreise auf unseren beiden Motorrädern müssen wir leider schon nach zwei Kilometern abbrechen, weil die Sandpiste ab Las Mercedes für unsere vollbepackten Schiffe auch mit abgelassenem Reifenluftdruck nicht fahrbar ist. Enttäuscht müssen umdisponieren.
Wir fahren in das benachbarte Léon und kehren die Nacht im Blue Hat Hostel ein. Diese Expedition braucht offensichtlich eine ernstere Vorbereitung, da sie mit Abstand die schwierigste Etappe unserer bisherigen Weltumrundung darstellt. Wir beschließen, mit nur einem Motorrad zu fahren und Gepäck im Hostel zwischenzulagern. Werkzeug, Ersatzteile, Campingausrüstung und acht Liter Wasser müssen aber trotzdem mit. Wir können hoffentlich Kraft sparen, weil wir zu zweit nur eine Maschine durch die schwierigen Passagen baggern müssen. Auch die Route arbeiten wir detailliert aus, um alles zeitlich zu schaffen. Die Touri-Jeeps fahren um zwei Uhr los, also starten wir um elf. Das sollte uns hoffentlich genug Reserve geben.
Zweiter Anlauf zum Krater
Am nächsten Tag steht meine V-Strom abfahrbereit vor dem Hostel, während Felicitas ihr Töff auf einem Parqueo zur Bewachung abgibt. Vorsorglich erhöhe ich die Federvorspannung an meinem Touratech-Fahrwerk. Mit der geringen Bodenfreiheit der V-Strom werden wir jeden Millimeter zwischen Geröll und Unterfahrschutz brauchen.
Dann geht es los. Wieder in Las Mercedes lassen wir den Reifenluftdruck aus unseren TKC70 ab. Vorne 1,4 bar, hinten 1,6 bar. Ich bin immer wieder fasziniert, dass diese kleine Maßnahme darüber entscheidet, ob man über Sand fahren kann oder sich hoffnungslos eingräbt. Die ersten zwei Kilometer kennen wir ja bereits, ein gewisser Lerneffekt hat sich auch schon eingestellt. Gutmütig und stoisch arbeitet sich die DL650 mit zwei Personen und Gepäck durch wechselnde Böden zwischen Sand und Geröll. Doch dann kommt eine Passage mit sehr tiefem Sand. Ich fahre sie zu schnell an, das Vorderrad schwimmt zur Seite weg und wir stürzen in Zeitlupe. Nix passiert, ist ja alles puderweich hier. Als sich die Staubwolke legt, halten zwei Locals auf ihrem Moped und helfen uns auf. Kein Wunder, dass hier alle höchstens auf 150 kg und 200 ccm³ unterwegs sind. Mit einer großen Reisenduro sind diese Straßen bei über dreißig Grad das reinste Fatburn-Workout. Anschieben müssen sie dann aber auch noch. Stehenbleiben auf Sand ist einfach nicht gut. Ist wie Skifahren im Tiefschnee, wenn es nicht runter geht…
Reserva Natural Complejo Volcánico Telica Rota
Nach einer Stunde erreichen wir schwitzend Cristo Rey. Seit einer ganzen Weile begegnen uns nur noch Menschen entweder zu Fuß oder zu Pferd. Es leuchtet uns absolut ein, dass kein Fahrzeug der Welt an die Agilität der zahmen Vierbeiner herankommt, die trittsicher Wasserkanister, Maissäcke und alles mögliche andere durch die Wildnis tragen.
Hier in Cristo Rey geht es rechts ab in den Vulkan Park. Es gibt sogar ein offizielles Schild vom Tourismusverein. Wahrscheinlich, damit die verrückten Reisenden wenigstens nur auf dieser Strecke stecken bleiben und nicht die anderen Pfade mit liegengebliebenen Fahrzeugen verstopfen. Ab hier geht es richtig ans Eingemachte. War die Fahrt bis hierher einfach nur anstrengend, geht es ab jetzt auch richtig technisch zur Sache. Die neuen Etappengegner heißen Steigung (wir wollen ja auf den Vulkan RAUF) und Lavabrocken. Ich muss jetzt im Stehen fahren, anders komme ich nicht durch den Parkour gezirkelt. Definitiv eine Strecke für ausgewachsene Geländefahrzeuge – oder Pferde. Ein Glück durften wir vor ein paar Monaten mit dem Motocross-Champion Nicolás España in Mexiko auf seiner Hausstrecke trainieren. Die gelernten Skills sind hier Gold wert.
Der Anstieg zieht sich schier endlos. Auch wenn die ganze Offroad-Etappe nur knapp zwanzig Kilometer bis zum Basiscamp ist, sind wir schon zwei Stunden unterwegs. Immer wieder setzen wir knirschend mit dem Unterfahrschutz auf. Wenn Suzuki doch endlich mal den Auspuff verlegen würde. Aber auch in der vierten V-Strom-Generation verläuft das Geröhre unter dem Motor lang und kostet mindestens fünf Zentimeter Geländetauglichkeit.
Langsam aber sicher verlassen mich Konzentration und Kraft. In einem schwierigen Hang stürzen wir erneut, weil mir die Traktion am Hinterrad auf losem Geröll verloren geht. Unser Schwung reicht nicht, um über den rutschigen Bereich hinwegzukommen und gehalten kriege ich die V-Strom auf dem unebenen Untergrund auch nicht mehr. Wieder nichts passiert, aber es ist so steil hier, dass wir das Motorrad zu zweit ohne Weiteres nicht mehr gegen den Hang aufrichten können. Fluchend müssen wir das Gepäck abladen, dann geht es. Felicitas gibt Anschiebehilfe und ich fahre den restlichen Hang mit keilendem Heck alleine nach oben. Jetzt ist definitiv Zeit für eine Pause – es gibt Wasser und Kuchen von einem französischen Bäcker aus Léon.
Etappe zum Parkplatz
Wieder bei Kräften satteln wir auf und gehen das letzte Stück bis zum „Parkplatz“ an. Man kann sich kaum vorstellen, dass am Ende dieser „Straße“ ein „Parkplatz“ sein soll, doch so ist es. Der örtliche Tourismusverein steht offenbar im engen internationalen Austausch und hat aus sicherer Quelle in Erfahrung gebracht, dass ein Tourist der nördlichen Hemisphäre einen Parkplatz vor einer Sehenswürdigkeit erwartet. Zehn mal zehn Meter sind von Lavabrocken freigeräumt, es gibt ein Plumpsklo und einen einheimischen Ranger, der im Schatten eines Wellblechunterstands sitzt. Sein Pferd knabbert in der Mittagsglut an der spärlichen Vegetation. Wir stellen das Motorrad ab und reißen uns die durchgeschwitzte Schutzkleidung vom Laib.
Und dann stehen wir vor ihm: Vulkan Telica! Seine gedrungene Erscheinung sieht von hier aus wie ein intergalaktischer Maulwurfshügel. An seiner Aktivität besteht offensichtlich kein Zweifel. Aus dem Sand quellen schweflige Dämpfe wie aus einem Druckkessel. Der Geruch lässt allerdings an den Absichten des Kochs zweifeln. Wenn dieses Gericht mal serviert wird, wird heiß gegessen. Wir setzen uns in den Schatten eines Baumes und begutachten aus sicherer Entfernung das Naturschauspiel. Viel Zeit zum Staunen haben wir allerdings nicht, denn gleich rollen schon die Touri-Jeeps an. Wir müssen noch ein Stückchen weiter zum Grundstück eines Vulkanforschers, wo wir unser Nachtlager aufschlagen werden.
Letzte Auffahrt
Ab jetzt fahre ich alleine, Felicitas läuft das letzte Stück. Technisch sauber fahre ich nicht mehr, dafür ist meine Konzentration zu erschöpft. Mit Körperkraft wuchte ich die V-Strom durch die Kurven und die Hänge hinauf. Wieder stürze ich in einem steilen und gerölligen Abschnitt. In mir existiert nur noch ein einziger Gedanke – irgendwie ankommen, ich schaffe das. Ich bin der erste V-Strom-Fahrer, der den Telica bezwingt (unrecherchierte Behauptung, freue mich auf Zuschriften). In mir werden ungeahnte Kräfte frei. Alleine stemme ich mein vollbepacktes Motorrad wieder in die Senkrechte – und fluche. Beim Sturz ist meine Maschine ein Stück den Hang hinabgerutscht. Dabei ist meine rechte Fußraste abgebrochen. Scheiße! Egal, muss ich halt sitzend und einbeinig bis zum Basislager kommen. Fußbremse geht noch. So fräse ich mich mit heulendem Motor, glühender Kupplung, rutschendem Vorderreifen und durchdrehendem Hinterrad den letzten Kilometer zum Ziel – geschafft!
Felicitas kommt fast zeitgleich mit mir an. Der Vulkanforscher empfängt uns zwischen seinen Hühnern und Hunden und zeigt uns, wo wir übernachten können. Alles sicher heute, die gemessenen Temperaturen liegen absolut im Normbereich. Jetzt heißt es erstmal: Raus aus der Mopedmontur, rein in die Wanderschuhe und auf zum Gipfel! In einer Stunde geht die Sonne unter.
Sonnenuntergang auf dem Vulcan Telica
Zum Glück ist der Trail im Vergleich zur zwölfstündigen Besteigung von San Cristóbal ein Spaziergang. Und dann stehen wir auf dem Kraterrand und spähen in die Tiefe. Ein steifer Wind pfeift uns um die Ohren, die Gase brennen in den Lungen. Lava gibt es heute wohl nicht zu sehen, dafür sind die Schwaden zu dicht. Aber schon ein irres Gefühl, so unmittelbar auf einem aktiven Vulkan zu stehen. Der Sand ist ganz warm und in der Tiefe gibt es absonderliche Geräusche. Hustend treten wir zurück und wandern noch ein Stück um den Schlund herum, um den Sonnenuntergang und San Cristóbal zu bestaunen. Die Backpacker-Flotte ist auch eingelaufen und hat sich mit Selfi-Sticks bewaffnet am Westhang aufgereiht. Der Wind ist so stark, dass man kaum stehen kann und peitscht Vulkansand in unsere Augen. Eine Bö erfasst meine Kamera und sie stürzt samt Tripod auf die Felsen. Glück im Unglück hatte ich einen Filter auf dem Objektiv – der ist allerdings komplett hinüber. Aber wenigstens ist der Kamera nix passiert.
Erschöpft treten wir den Rückweg zum Basecamp an. Uns steht eine kurze Nacht bevor, morgen früh wollen wir um vier noch einmal zum Kraterrand klettern, in der Hoffnung, in der mondlosen Finsternis der Nacht einen Blick auf die rote Glut erhaschen zu können. Um die abgebrochene Fußraste zu reparieren bin ich heute zu müde. Aber ich bin zuversichtlich, dass mir nach einer Mütze Schlaf schon etwas einfallen wird. Ich arbeite schließlich in der Vorentwicklung, da gibt es immer eine Lösung. Felicitas kocht ein deliziöses Abendessen auf unserem Campingkocher. Dann fallen wir in unsere Schlafsäcke.
Telica im Sternenlicht
Um 3:45 Uhr klingelt der Wecker. Was für eine Uhrzeit. Kommt uns nach dem Start um 2:45 Uhr zum San Cristóbal vor ein paar Tagen aber richtig erholsam vor. Eine sternenklare Nacht erwartet uns. Der Wind hat sich etwas gelegt und wir stapfen zum zweiten Mal den Pfad zum Kraterrand empor. Gestern haben wir uns alles genau eingeprägt, damit wir uns in der Finsternis nicht verlaufen. Telica schmaucht unverändert vor sich hin – und wieder können wir in der Tiefe nichts erkennen. Ich stelle die Kamera auf den Tripod und mache eine Langzeitbelichtung. Wenn dort unten irgendetwas glüht, wird die Kamera es aufnehmen. Und siehe da: Nur weil man etwas mit bloßem Auge nicht sieht heißt es nicht, dass es nicht existiert! Dieses Foto war die Strapazen wert und wird uns immer an ein hartes Abenteuer erinnern.
Der Sonnenaufgang ist dagegen schon eher Kür. Ungeduldig scharre ich mit den Füßen. Ich habe ausgeknobelt, wie ich meine Fußraste reparieren kann. Zum Glück haben wir bei der Gepäckauswahl nicht auf Werkzeug und Bastelkram verzichtet. Eine Stunde später ist mit Gefeile, Geschraube und dank der Kraft von Knetmetall – extra stark (lieber unbekannter Erfinder, ich preise dich) die Fußauflage wieder hergestellt.
Die Abfahrt hat sie tatsächlich auch gehalten. Mal sehen, wie viele Länder sie noch übersteht…
GPS Track – How to drive Volcano Telica on a Motorcycle
[googlemaps https://www.google.com/maps/d/u/0/embed?mid=11OaOI8w-WEybSvS0Qea2CpuKYfRTnlsD&w=640&h=480]
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Sehr schöner Bericht.
Liebe Weltenstromer,
wunderschön beschrieben. Ich konnte mit Euch reisen. Danke dafür. Ein paar mehr Bilder hätte ich gern gesehen, aber so ist es mit Menschen, die selbst nicht mehr reisen können.
Manchmal wäre ein Pferd, oder Maulesel ein besserer Ersatz für solche Wege in der Wildnis. Aber woher nehmen. Ich habe keine Ahnung, ob es so etwas zu mieten gibt. Aber alles im Allem, ist es gut organisiert und lässt Raum zu träumen. Einen Abenteuertraum.
LG. Hilde
KLR wurde es kein problem schaffen. 😉 hihihi
„Mit einer großen Reisenduro sind diese Straßen bei über dreißig Grad das reinste Fatburn-Workout“ – Ich mußte jetzt lachen! 😀
Wieder, interessant und schön geschrieben Andreas. 🙂
Aber deine KLR steht in der Garage 😛