San Pedro Retreat im Cusco Healing Tree Center

Für uns war ein wichtiger Grund, um Südamerika zu bereisen, dass vor einigen Jahren die Erdkundalini Energie von Tibet nach Peru gewandert ist (Buchempfehlung: Schlange des Lichts von Drunvalo Melchizedek). Was also noch für unsere Eltern das spirituelle Highlight des Himalaya Gebirges war, ist heute auf dem Südamerikanischen Kontinent zu finden. Während die Energie des letzten Zyklus‘ eher männlich geprägt war, ändert sie sich mit der Wanderung in die Anden und das Amazonasgebiet in eine weibliche Qualität. Was für die Tibeter noch die Meditation auf der Krone der Welt war, ist für die südamerikanische Schamanen die Verbindung mit Mutter Erde und die Arbeit mit der Heilkraft der Pflanzen des Dschungels und der Anden, um das Herz und das Bewusstsein der Menschen für die Schöpfung und die Liebe zu öffnen.

Die in Peru praktizierten Rituale und Zeremonien sind teilweise mehrere tausend Jahre alt. Nach unserem ersten Kontakt mit dem Inkareich auf dem Machu Picchu sind wir sehr gespannt, die Bekanntschaft mit dem Schamenen Toribio aus der Q’ero Comunity zu machen, die in der Nähe des heiligen Berges Apu Ausangate liegt. Die Q’ero Community ist selbst heute noch nur über einen mühsamen Fußmarsch zu erreichen, so abgeschieden liegt sie in den Bergen. Dadurch hat sie fast unberührt die Kolonialzeit und alle weiteren Revolutionen überdauert und ihr reiches Wissen der Ureinwohner über die heilende Kraft der Natur bis heute erhalten.

Anfahrt zum Cusco Healing Tree Center

Zum Glück brauchen wir uns heute nicht mit dem Maultier auf ins Gebirge zu machen. Denn zusammen mit mehreren anderen Schamanen aus dem Andenland und dem Amazonasgebiet arbeitet Toribo im Healing Tree Center eine halbe Stunde nördlich von Cusco. Ganz so einfach stellt sich die Anreise für uns dann allerdings doch nicht dar, da uns das GPS zielsicher in die Pampa lotst. Was auf der Karte wie eine ganz normale Straße aussieht, ist zunächst eine Piste, dann ein Fußpfad für Lamas und Schafe, vorbei an bunt gekleideten und verwundert dreinschauenden einheimischen Bauern. Beherzt ackern wir uns mit den Motorrädern voran, schließlich wissen wir, dass das Healing Tree Center inmitten der grünen Hügel, wilden Felsen und verstreuten Inkaruinen liegt. Kurz darauf endet aber auch der Trampelpfad und es geht querfeldein über Stock und Stein weiter. Das Terrain wird zunehmend schwieriger und wir müssen unsere V-Stroms zu zweit und nacheinander durch die Passagen manövrieren. Dann der Gau: Nach einem Sturz springt mein Motor nicht mehr an. Aufgrund erfolgloser Fehlersuche teilen wir uns auf. Felicitas bleibt bei meinem Motorrad und ich fahre mit ihrer Maschine weiter zum Zentrum.

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Das wars: so ziemlich der ungünstigste Ort um mit Starterschaden liegenzubleiben.

Mittlerweile wird es dunkel, was die Routenfindung zwischen Gestrüpp, Felsen und Abhängen nicht einfacher macht. Zwischendurch laufe ich zu Fuß ein Stück vor, um das Gelände zu erkunden, lasse die V-Strom dann aber doch rund fünfhundert Meter vor dem Ziel an einem Hang liegen und stolpere den Rest durch die Nacht in Richtung der erleuchteten Fenster.

Herzlicher Empfang im Healing Tree Center

Mitarbeiterin Jenny empfängt mich herzlich am Healing Tree Center und ich bin erleichtert, dass wenigstens die Zielkoordinaten stimmen. Ungläubig schaut sie mich an, als ich erzähle, wo Felicitas und die Motorräder sind und schüttelt den Kopf. Eine Straße gibt es in dieser Richtung auf keinen Fall. Nur aus Richtung Cusco und die endet vor der Haustür. Da ist der digitale Fortschritt definitiv der Realität voraus.

Jenny telefoniert und wenige Minuten später ist ein Rettungsteam zusammengestellt, dass sich aus Cusco auf den Weg macht. Bis die anderen eintreffen, machen Jenny und ich uns mit Taschenlampen auf den Weg, um immerhin die gelbe V-Strom schon mal bis zum Center zu bringen. Jenny kennt sich hier aus und nur drei Stürze später ist das erste Motorrad wohlbehalten im Zentrum.

Mittlerweile sind Chef Italo und zwei weitere Männer eingetroffen und wir laufen mit GPS, Decken und Tee bewaffnet durch die Nacht zu Felicitas. Das Höhentraining auf dem Machu Picchu zahlt sich aus und so bin ich auch nur FAST völlig fertig, als wir bei Felicitas ankommen. Die hat sich wegen der eisigen Kälte unser Zelt aufgestellt.

Gemeinsam ziehen wir mein Motorrad mit Starterschaden aus der misslichen Passage und wenden es mit vereinten Kräften hangabwärts. Ich will versuchen, ob wir die Maschine wenigstens im dritten Gang anschieben können. Mit Stirnlampe am Helm rumple ich den Hang hinab, bis die nötige Geschwindigkeit erreicht ist. Kupplung kommen lassen und – tadaa, der Motor springt an, als wäre nichts gewesen! Jetzt bloß nicht abwürgen. Zum Glück zeichnet unser GPS die gefahrene Route auf, sodass wir wenigstens den selben Weg zurück ins letzte Dorf nehmen können, wo die Piste beginnt.

Als wir den Trampelpfad erreichen, läuft einer der Männer zurück, um das Auto zu holen. Er will die anderen in der Puebla abholen. Statt um fünf Uhr Nachmittags sitzen wir spät abends im Healing Tree Center bei einer heißen Hühnersuppe und feiern unser kleines Abenteuer.

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Glücklich am nächsten Morgen im Healing Tree Center mit Manager Italo

San Pedro Zeremonie (Wachuma)

Vor Reisebeginn hatten wir uns gar nicht genauer mit südamerikanischem Schamanismus auseinandergesetzt. Nordamerikanische Zeremonien wie z.B. Schwitzhütten hatten wir bereits in Belgien bei unseren Freunden Maja und Andreas im Institut für Schamanismus und Geomantie kennengelernt. Vor einigen Wochen begann ich also, mich mehr mit den Ritualen und Zeremonien der Inka zu befassen.

Eine der berühmtesten Erfahrungen, die man in Peru machen kann, ist wohl die San Pedro Zeremonie. Während des ein oder mehrtägigen Retreats wird unter schamanischer Anleitung und Supervision eine bittere Medizin getrunken, die aus einem einheimischen Kaktus der Anden gewonnen wird. Des Gebräu  öffnet zusammen mit den schamanischen Gesängen und Reinigungsritualen das Bewusstsein für eine erweiterte Wahrnehmung der Realität und verbindet den Teilnehmer mit der Liebe für Erde, Kosmos – und für sich selbst.

Wir haben bisher keine Erfahrung mit psychoaktiven Substanzen in unserem Leben gemacht. Getreu unserer Mütter „Kind, lass die Drogen sein!“ beschränken sich unsere Experimente auf den spärlichen Genuss alkoholischer Getränke. Davon werde ich aber hauptsächlich müde, sodass mich weitere Eskapaden bisher nicht interessiert haben.

Mich im Hinblick auf Heilung von Herz, Seele und Verstand dem Thema unter professioneller Leitung und jahrtausendealter Erfahrung und Tradition zu stellen, macht mich dann aber doch gespannt und neugierig. Schließlich werden die heutigen Inkas teilweise deutlich über hundert Jahre alt und verfügen weder über einen Arzt noch eine Apotheke in ihren Dörfern.

Volcanic Water Cleansing

Bevor das San Pedro Retreat allerdings beginnt, steht zunächst eine körperliche Grundreinigung mit Volcanic Water aus den Anden auf dem Programm. Ich muss 4,5 l der eklig salzigen Flüssigkeit in mich hineinschütten. Felicitas kommt besser weg, sie ist schon nach 3 l fertig. Danach verbringen wir ein paar Stunden auf dem Klo, bis die Sulfatlake unsere Innereien blitzeblank gespült hat. Italo erklärt uns, dass diese Entgiftung vor der Einnahme von Wachuma wichtig ist. So können unerwünschte Nebenwirkungen deutlich reduziert werden.

Ganz so schlimm, wie sich diese Prozedur anhört, ist sie dann aber zum Glück doch nicht. Kurz darauf dürfen wir schon wieder essen und erfreuen uns an dem köstlichen Mittagessen im Center.

San Pedro Retreat im Healing Tree Center

Am nächsten Morgen trifft Schamane Toribo ein und erklärt uns den Ablauf des Retreats. Mitarbeiterin Jenny übersetzt und wir beginnen den Tag mit einer Unification Zeremonie mit Coca Blättern, bei der um die Unterstützung des Kosmos, der Erde und der Ahnen gebetet wird.

Kurz darauf sind wir bereit, von der San Pedro Medizin zu kosten. Hier in Peru nimmt man den Begriff der „bitteren Medizin“ noch wörtlich. Wachuma ist eine unappetitliche, zähflüssige Substanz. Wir bemühen uns, die dargereichte Dosis in einem Zug zu trinken und schlucken und kauen den Becher mit leicht gequälten Gesichtszügen in uns hinein. Geschafft!

Jetzt dürfen wir erst einmal eine Stunde im Garten liegend die Sonne genießen bis die Wirkung sanft einsetzt. Dann packen wir unsere Rucksäcke und machen uns auf die Wanderung in die wunderschöne Natur. Mittlerweile ist die Wirkung des Kaktus nicht mehr zu leugnen. Wie pubertierende Teenager, die sich heimlich eine Schnapsflasche reingezogen haben, kichern und prusten wir durch die grünen Wiesen. Toribo deutet uns, dass wir uns zwischen Felsen an einem Wasserlauf niederlassen sollen.

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Schamane Toribo betet zu den Kräften der Natur

Ich liege im Gras und schaue in den Himmel. Wo die anderen sind, weiß ich nicht genau. Von unten vom Wasser höre ich Toribo auf seiner Flöte spielen. Die Musik trägt mich fort und ich verliere jegliches Raum- und Zeitgefühl. Ich fühle mich einfach nur glücklich und mit der Natur verbunden. Die Grenzen zwischen mir und dem Rasen verschwimmen merklich. Ich fühle mich eher als Teil der Erde und stelle mir vor, wie ich als erster Mensch vom Sonnenlicht erwärmt aus der Erde geschöpft werde. Ich verstehe nun vollständig, warum Sonne und Erde für die Naturvölker von so unglaublicher Wichtigkeit sind. Ich fühle einen Strom der Liebe zwischen Sonne und Erde durch mich fließen und bin ganz ergriffen von diesem Erlebnis.

Etwas torkelnd mache ich mich unbestimmte Zeit später auf den Weg zu den anderen am Wasser. Toribo flötet immer noch geheimnisvolle schamanische Melodien. Ich entledige mich meiner Kleider und klettere in den Bach. Ich hocke mich unter einen kleinen Wasserfall und verliere erneut jegliches Zeitgefühl. Als ich wieder zu mir komme, umarme ich gerade einen Felsen. Jenny steht am Ufer und bittet mich, doch endlich etwas anzuziehen. Die anderen Wanderer würden schon gucken…

Kuti Reinigungszeremonie

Zur Mittagszeit suchen wir uns ein schattiges Plätzchen. Dass ich zwischendurch immer wieder wegdrifte, macht mir etwas Sorgen und ich bitte Toribo, meine Hand zu halten. Das schenkt mir Vertrauen und erdet mich wieder. Jetzt steht die große Reinigungszeremonie an. Wie in der Einführung erklärt, bittet uns Jenny, noch einmal auf all das zu konzentrieren, was wir nicht mehr in unserem Leben haben wollen. Wir tun, wie uns geheißen und Toribo macht sich mit Tabak, Marakas, einer Condorfeder und diversen weiteren schamanischen Werkzeugen daran, unsere Energiekörper zu reinigen. Und dann ist es um mich geschehen.

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Maestro Toribo in Tracht bei der Arbeit

Ich fühle mich plötzlich überhaupt nicht mehr gut, stattdessen kommen mir wie in einem Alptraum alle möglichen Emotionen, Ängste und Visionen hoch. Das kann Teil des Ausleitprozesses sein, wie ich am nächsten Tag erfahre. Jetzt ist das ganze jedoch erschreckend real. Felicitas scheint es auch nicht besser zu gehen, Jenny und der Schamane betreuen sie schon eine gefühlte Ewigkeit. In mir ringt mein Glaubenssatz „Ich schaffe das alleine, ich brauche keine Hilfe!“ mit den überschäumenden Ängsten. Dann geht mir wieder das Zeitgefühl verloren.

Wir machen uns auf den Rückweg. Felicitas wird immer noch von den beiden unterstützt und ich stapfe stoisch hinterdrein. Mir ist es ein Rätsel, wie hier nur so viel Müll in dieser wunderbaren Landschaft rumliegen kann. Einer kosmischen Eingebung folgend, mache ich mich daran, Plastikteile entlang des Pfades aufzusammeln. Jenny kommt mit dem Auto zurück und bittet mich, doch bitte mit Toribo und Felicitas Schritt zu halten. Wortlos nicke ich und reiche ihr den gesammelten Müll ins Auto. Kurz vor dem Center hole ich Felicitas wieder ein, die sich bei unserem Schamanen untergehakt hat.

Wie ich genau ins Bett gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Von schlimmer Angst geplagt wache ich auf. Immer noch kämpfe ich mit mir: “Nein ich brauche keine Hilfe. Es ist viel wichtiger, dass Felicitas versorgt ist.“ Die scheint allerdings unten zu sein, ich bin allein im Zimmer. Langsam dämmert mir in meinem Hirn, dass wohl Teil der Reinigung ist, die alten Glaubensmuster loszulassen. Es kostet mich große Überwindung, schließlich doch nach dem Schamanen zu rufen. Um auch wirklich etwas zu lernen, muss ich scheinbar sogar zehnmal rufen. Ob ich bei den ersten Versuchen überhaupt einen Ton über die Lippen gebracht habe, weiß ich nicht. Endlich erscheint Toribo mit seiner Condorfeder, hält meine Hand und betet. Ich döse wieder weg.

Im Halbschlaf erscheinen mir Visionen meiner Ahnen. Ich bitte sie, alle Verträge und Erwartungen von mir zu nehmen und sie verschwinden wieder.

Ich tapse die Treppe runter in die Küche. Felicitas sitzt da und sieht ziemlich fertig aus. Ich bitte auch sie, alle Verantwortung von mir zu nehmen. Müde nickt sie. Jenny hatte heute morgen in der Einführungsrunde wohl einen entscheidenden Satz gesagt: „Der wichtigste Mensch in unserem Leben sind wir selber.“ Das klang heute morgen noch sehr einfach.

Während ich hier sitze und die Reinigung über mich ergehen lasse, wird mir scheibchenweise klar, wie verstrickt wir doch alle sind. Wie wir uns um alle möglichen Menschen unter dem Deckmantel der Liebe kümmern und dabei überhaupt nicht richtig für uns selbst sorgen können. Heute am Fluss habe ich die bedingungslose Liebe der Schöpfung erlebt, wie ich Teil des Ganzen bin. Jetzt, wo meine Dämonen aus dem Keller kommen, merke ich aber deutlich, wo ich diese reine Form der Liebe gar nicht in mir habe. Ich sehe mich mit all meinen Verletzungen konfrontiert, wo ich Handelsbeziehungen der Liebe eingegangen bin. Und ich darf noch einmal durch alle Ängste gehen, die ich in meinem Leben unterdrückt habe, als ich keine bedingungslose Liebe als Menschenkind erfahren habe.

Nachts um drei hocken Felicitas und ich noch immer in der Küche und zählen unsere Finger. Das wackelige Gefühl fängt langsam an zu schwinden und unser Geist beginnt, die Grenzen unseres physischen Körpers wieder als eine doch ganz gute Form der Realität zu akzeptieren. Was für ein Tag. Wir zwingen uns noch etwas Suppe zu essen, um unseren Stoffwechsel in Gang zu bringen und schleppen uns mit einem heißen Tee ins Bett. Dass eine schamanische Reinigung mit ein bisschen Kaktus und Geflöte so reinhauen kann… Und morgen das Ganze nochmal! Ich werde auf jeden Fall eine kleinere Dosis nehmen.

Ein paar Tage später sitze ich in den grünen Hügeln über dem Healing Tree Center und sinne über das Erlebnis nach. Seit dem San Pedro Retreat bin ich sehr still und in mich gekehrt. Ich fühle mich zentrierter, weniger abgelenkt vom Außen. Das Gefühl der Anbindung an Erde und Kosmos ist immer noch da. Meine Ängste aus der Nacht sind verschwunden. Ich fühle den Strom der Liebe zwischen Himmel und Erde durch mich fließen, so wie ich ihn unten am Fluss gespürt habe. Wie das wohl wäre, wenn alle Menschen ihre Ängste überwunden haben werden und sich in der reinen Liebe befinden?

Andreas


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Die neugierig-am-Arsch-vorbei-Methode

Unlängst habe ich wieder geschmökert und bin auf ein Buch mit einem interessanten Titel (und Inhalt gestoßen). Geschrieben hat es Alexandra Reinwarth und heißt „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“. Wie inspirierend ist denn bitteschön dieser Titel?! (Obwohl das eine Wortwahl ist, die für gewöhnlich in meinem Sprachgebrauch so nicht vorkommt und ich beim Lesen manchmal doch darüber gestolpert bin. Meine Erziehung beinhaltete eben den sorgsamen und gepflegten Umgang mit Worten. So folge ich in den Stolpermomenten der Aufforderung der Autorin und lasse mein Zusammenzucken einfach mal am Arsch vorbeiziehen. Klappt ganz gut.)

Am Arsch vorbei geht auch ein Weg: Wie sich mein Leben von Grund auf verändert hat, als ich mich endlich locker gemacht habe von [Reinwarth, Alexandra]

Diese Nacht wird wieder lang bzw. ziemlich kurz. Ich bekomme kaum Schlaf und lese voller Begeisterung durch Kapitel zu Themen vom erfolgreichen Vermeiden von Sammelaktionen im Büro für irgendwelche Geschenke, über Strapazen mit der Schwiegermutter (brauche ich nicht, meine ist nämlich toll, ist aber trotzdem witzig) und der Gestaltung der weihnachtlichen Festfolge, die erfahrungsgemäß in allen Haushalten zu Stressmomenten führt.

Es ist einfach zu göttlich zu lesen und jedes Mal zu denken „Ja. Kenn ich. Doofe Kiste. Scheiß Situation.“ Und dann: „Stimmt. Genau. Da hat sie recht. Was? So einfach geht das?“ Gefolgt von einem Kichern und Prusten in den Schlafsack, um den Mann neben mir nicht zu wecken

Zielgruppe für am-Arsch-vorbei

Jetzt könnte man natürlich denken, wenn man alles und jeden einfach an sich vorbeischickt, mutiert man zu einem ziemlichen Egozentriker, der nur um sich selber zirkelt und keinen Blick mehr auf seine Mitmenschen links oder rechts verliert. Das Risiko scheint mir ehrlich gesagt gering. Der Kerngedanke ist ja schließlich nicht, alles wegzuignorieren und mit einer Schneise der Verwüstung hinter sich lassend durch das Leben zu spazieren. Die Idee ist vielmehr sich so zu verhalten und zu entscheiden, wie es einem wichtig ist, was einem gut tut und einem entspricht und sich von diesem Kurs eben NICHT abhalten zu lassen. Das macht auf Dauer nämlich glücklich und frei.

Für diejenigen handelt es sich um einen interessanten Weg:

  • die neugierig etwas Neues ausprobieren wollen
  • deren Stimme im Hinterkopf gerne hinderliche bzw. einschränkende Botschaften flüstert
  • die ein Thema damit haben, Nein zu sagen
  • die sich zu oft an dem ausrichten, was andere sagen oder meinen könnten
  • die für den letzten Schritt der Umsetzung noch etwas Mut brauchen
  • denen viele Dinge oder Handlungen peinlich sind
  • die nicht immer so können, wie sie wollen.

Klar bleibt der Leitsatz nach wie vor bestehen, dass der Ton die Musik macht. Man braucht ja nun nicht jeden direkt umzunieten, wenn er etwas anderes sagt als man persönlich gerade denkt.

Ruhe da oben – Stimme im Kopf leisestellen

Eine Strategie, um entspannt seinen Weg zu gehen, besteht im Vorbeiziehenlassen, Gehenlassen, Loslassen. Das jedenfalls empfehlen Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Meditation. Diese Methode klappt bei mir leider bei bestimmten Sachverhalten nur bedingt, darum braucht es etwas mehr Krawumms. Meine Glaubenssätze, Emotionen oder Befürchtungen kann ich in den meisten Momenten zwar gut wahrnehmen und auseinanderdröseln – das geht durch ein bisschen Achtsamkeitstraining einfach – doch die Stimme im Kopf brüllt trotzdem konstant in einer ziemlichen Lautstärke munter weiter, was denn jetzt zu tun wäre. Das hält dann von dem eigentlichen Handlungsziel etwas ab.

Darum finde ich den Ansatz, sich kurzzeitig mit dem Gefühl am-Arsch-vorbei zu verbinden, so erfrischend. Der Stimme im Kopf im Moment des Geschehens zu sagen:

„So, Schluss jetzt. Ich brauche jetzt einen klaren Kopf und keine Beratung deinerseits. Alles, was du jetzt sagst, schicke ich an meinem Arsch direkt vorbei. Klappe jetzt!“.

Ein Beispiel: Ist es eine gute Idee, Paragliding auszuprobieren? Klar! Der professionelle Partner hat ja auch ein gesteigertes Interesse, heil auf dem Boden anzukommen. Nein, ausgerechnet mein Sprungprofi ist jetzt kein selbstmordgefährdeter Soziopath oder Terrorist oder noch schlimmer Anfänger. Nein, auch der Landevorgang wird ganz super, alle Füße bleiben heil – wenn das anders wäre, würde der Fluglehrer ja nicht mehrmals täglich durch die Gegend fliegen. Ja, wir werden abheben, wenn wir auf den Abhang runterrennen und rechtzeitig vor dem Wald in der Luft sein. Also, Ruhe jetzt – ich mache das! Danke für dein Wohlmeinen, werte Stimme, doch halt einfach deine Klappe. Es wird super werden, glaub mir. Was soll ich sagen – es war fantastisch, viel zu kurz und eine Hammer Erfahrung.

Paragliding in Ecuador – man beachte gelungenen Start und heile Landung

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=lymLhTLUXUk?rel=0&controls=0&showinfo=0&w=560&h=315]

Am-Arsch-vorbei ist nicht alles

Bei all der Befreiung, Zielgerichtetheit und Aktivität der am-Arsch-vorbei-Methode sind aus meiner Sicht wichtig:

  1. Sich zu verinnerlichen, dass es sich lediglich um eine Methode handelt, Ruhe im zarten Hirn zu schaffen, und nicht um eine Lebenseinstellung.
  2. Sich später in Ruhe die Zeit zu nehmen und herauszufinden, warum einem bestimmte Situationen so an die Nieren gehen und die Ursache zu bearbeiten. Denn sonst verdrängt man einfach nur und erlebt das, was man vermeiden möchte, und findet sich in unterschiedlichsten Szenarien immer wieder bis die Lektion gelernt ist.
  3. Sich klarzumachen, dass die Stimme unser innerer Ratgeber ist und nur das Beste für uns möchte, es gut meint. Sie hat all die Jahre mit uns verbracht, schon einiges Schlimmes miterlebt und möchte uns nur vor dem nächsten Leid oder dem Super-GAU beschützen. Es heißt also, sich dem Ratgeber trotz deutlicher Ansage liebevoll und wertschätzend zuzuwenden.

Beim Thema Ratgeber denke ich  übrigens immer automatisch an Kettcar und die Aussage „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ und freue mich daran

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=sG7cTUdGZTQ?rel=0&controls=0&showinfo=0&start=10&w=560&h=315]

Synthese aus achtsamer Neugierde und am-Arsch-vorbei

Weil das Ziel ist, sich Freiraum in bestimmten Situationen zu schaffen und nicht, sich alles am Allerwertesten vorbeirauschen zu lassen, finde ich es toll, die unschuldige Begeisterung aus achtsamer Neugierde mit der lässigen Ansage am-Arsch-vorbei zu kombinieren.

Von meinem Experiment mit der achtsamen Neugierde habe ich dir ja schon berichtet. Davon,

  • wie spannend es ist, sich in einer Situation selber auf allen Ebenen wahrzunehmen
  • sich dann vorzustellen, der Hauptdarsteller im eigenen Leben zu sein
  • wie man neugierig wird, wie es weitergeht, wenn man sich anders/neu/authentisch/… verhält.

Wie die Ansage zum am-Arsch-vorbeiziehenlassen geht, weißt du jetzt auch schon. Und jetzt sehen wir uns am Beispiel von bissigen Hunden an, wie man beides kombiniert:

Achtsamkeit

Eines Tag schlendere ich an einem peruanischen Strand entlang. Plötzlich rasen zwei wildgewordene Hunde mit gezogenen Lefzen auf mich zu. Ich gehe einfach weiter, versuche möglichst unauffällig zu sein, hoffe nebenbei, dass ich hier lebend rauskomme. Glücklicherweise ziehen die Mistviecher bellend nachdem sie ein paar Kreise um mich gedreht haben, ihrer Wege.

Mein Herz rast, ich bin etwas verkrampft, ich habe echt ziemliche Angst, fühle mich wehrlos. Wie weh tut eigentlich ein Hundebiss? Töten die einen? Bleibe ich verwundet mutterseelenallein am Strand zurück? Wie soll das denn enden, wenn ich hier auf dem Rückweg wieder lang muss?

Voll Achtsamkeit habe ich also wahrgenommen, wie es mir physisch, emotional und mental geht.

Neugierde

Zweihundert Meter weiter kommen schon wieder zwei Prachtexemplare der Rasse wildgewordener Straßenköter (echte Hunde, keine Trethupe in Meerschweingröße) auf mich zu. Mir wird es langsam echt unheimlich. Sonst war am Strand niemand und nun ziehe ich die Viecher offenbar magisch an. Da gibt es also noch ein unfinished Business. Huch, die zwei verfolgen mich jetzt auch noch. Zwar nicht belled, aber offenbar auf meine Haxen fixiert.

Mein Innenleben kenne ich ja schon von der Begegnung mit den Hunden vor wenigen Augenblicken, also her mit der Neugierde! Was passiert, wenn ich mein Auftreten von verängstigter Spaziergängerin auf furchteinflößende Löwenbändigerin abwandle? Das ist mal eine interessante Frage. Jetzt bin ich doch gespannt, wie der Strandspaziergang weitergeht

Am-Arsch-vorbei

Jetzt mischt sich die Stimme allerdings wieder bezüglich Schmerz und Hundebiss ein (siehe oben, die Stimme ist ja nicht sonderlich kreativ, nur sehr ausdauernd). Dann wird es mir zu bunt. Der Hund verfolgt mich, mein Kopf erzählt wenig Hilfreiches. Ich denke ganz laut: „Am Arsch vorbei. Am Arsch vorbei mit den Hunden. Am Arsch vorbei mit dem Biss. Am Arsch vorbei mit der Angst!“ Und dann übernehme ich das Gefühl, dass es mir wirklich in dem Moment egal ist.

Ha! Ruhe im Hirn. Das Bild der Löwenbändigerin ist wieder da. Ich drehe mich um. Mache mich groß und brülle diese hinterhältigen Kreaturen erst mal so richtig an: „Sagt mal, habt ihr nen Knall?! Verpisst euch!“ Und dann gehe ich noch meine Latschen schwingend auf sie zu. Von wegen, mit Höflichkeit und guten Manieren kommt man aus jeder Situation heraus. Manchmal muss es eben Klartext sein. Die Tölen treten jedenfalls mit eingekniffenem Schwanz den Rückweg an.

Ich stelle fest, meine Kopfstimme konnte ich super in die Wüste schicken und für Handlungsalternativen frei sein.

Beim inneren Ratgeber bedanken und Ursachenforschung

Jetzt bin ich wieder für mich und kann in Ruhe über die vorhergehende Situation nachsinnieren. Ich bedanke mich bei meinem Ratgeber für die Gedanken, um mich vor Gefahr zu bewahren. Und dann falle mir verschiedene Situationen mit Hunden ein, die ich erlebt habe und als unangenehm erlebt habe. Die kürzeste liegt einen Tag zurück. Da ist ein Hund nämlich auf mich losgegangen als ich einen Laden betreten habe, um Wasser zu kaufen. Der hat nicht nach Arm oder Wade geschnappt, nein, der Köter ging direkt aufs Ganze und schnappte in meinen Bauch. Glücklicherweise bin ich unversehrt.

Jedenfalls hatte ich trotz Bearbeitung des Erlebnisses eine Restangst vor Hunden abgespeichert. Also heißt es, sich das Ganze noch mal von vorne anzugucken und die Sorge vor den Tieren loszulassen. Das funktioniert – hier gibt es außerdem genügend Situationen, um sich dessen gewahr zu werden. Wenn ich jetzt mit dem Motorrad irgendwo langfahre und eine Horde wütend kläffender Hunde auf mich zugesprescht kommt, habe ich keine Angst mehr. Stattdessen halte ich den Kurs – notfalls auch auf sie zu-, gebe Gas und teile Fußtritte aus. Dann bin ich wieder ohne nerviger Meute on the road.

Und passend zum Thema: die Ärzte

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=ZQDI-8YfzWQ?rel=0&controls=0&showinfo=0&w=560&h=315]

Viel Vergnügen beim Ausprobieren

Felicitas

Faustformel
Achtsamkeit + Neugierde + am-Arsch-vorbei = Freiheit


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Mit achtsamer Neugierde zur Freiheit

Zufällig habe ich mir einen Videoausschnitt zum Thema Raucherentwöhnung von Judson Brewers angesehen. Eigentlich seltsam, möchte man meinen, da ich mit Zigaretten oder dem Inhalieren irgendwelcher Kräutersubstanzen – außer zur Erkältungszeit – überhaupt nichts am Hut habe. Und dennoch. Ein Gedanke hat mich daraufhin nicht mehr losgelassen: Die beste Erfolgsaussicht, Rauchen oder irgendeine andere Angewohnheit, für immer aus seinem Leben zu verbannen, ist schlicht und ergreifend – und jetzt halt dich fest – ganz simpel und gleichwohl so mächtig:

achtsame Neugierde!

Und dann passiert das, was immer passiert, wenn die Zeit für eine bestimmte Idee bei mir reif ist: Sie lässt mich nicht mehr los.

Achtsamkeit kenne ich, klar. Achtsamkeit nimmt in allen Meditationsformen einen hohen Stellenwert einnimmt – ich verbinde mich z.B. bewusst mit meinem Atem. Achtsamkeit wird in sämtlichen Therapieformen praktiziert – wie fühle ich mich, wenn ich in dieser order jener Situation bin. Achtsamkeit in der Bewegung – Yoga. Achtsamkeit in der Ernährung – ich esse möglichst nur manchmal die mit furchtbar vielen E-Stoffen angereicherten Gummitiere.

Im Alltag habe ich jedoch festgestellt, dass ich alleine mit Achtsamkeit mein Verhalten zwar schön beobachten, spüren und verstehen kann, doch ändern konnte ich es bisher dadurch nur bedingt. Also weiter mit der Neugierde.

Neugierde ist mir auch bekannt, aber hallo! Sobald ich des abends ein spannendes Buch in den Händen halte, unterbricht eigentlich nur der selige Schlaf kurzzeitig den Fortgang der Geschichte. Wenn ich erst einmal richtig angefixt bin und unbedingt wissen will, wie es denn weitergeht, nehme ich auch gerne Schlafmangel in Kauf und dass es am nächsten Morgen länger dauert, aus dem Bett zu kommen.

Judson Brewer erklärt, was es mit der achtsamen Neugierde auf sich hat.

Protagonist im eigenen Leben sein = Neugierde pur

Okay, wie kombiniere ich jetzt die Abenteuer aus den Büchern, die es für den Helden zu bestehen gilt, mit mir und den großen und kleinen Abenteuern, die ich bestehen will?

Ganz einfach: Ich stelle mir in einer Situation, die ich als eine verbesserungswerte identifiziert habe, vor, ich schreibe, spiele, lese jetzt meine eigene Geschichte. Ich werde also kurzzeitig Protagonist in meinem eigenen Leben. Und wie ich im Buch erfahren will, was als nächstes passiert und alles gut ausgeht, will ich es auf einmal mit derselben Neugierde in der Realität auch herausfinden.

Und es kommt, wie es kommen muss, ich finde mich bereits kurzzeitig nach meinen Überlegungen bezüglich achtsamer Neugierde in einem super Übungsszenario wieder.

Die Sache mit dem Kaffee – das eine tun und das andere wollen

Völlig unerwartet treffe ich in Peru in einem Hostel eine sympathische Holländerin wieder, die ich bereits vor einem Monat in Bogota kennen gelernt habe. Zufälle gibt’s… Oder eben doch nicht. Mit besagter Holländerin und ihrem Reisegefährten wollen wir Cappuccino trinken gehen. Richtig leckeren Espresso mit ordentlich Milchschaum obendrauf, versteht sich. In dem Café unserer Wahl gibt es aber nur Milchkaffee. Na gut, wird ja auch lecker sein – haben wir gedacht.

Dann registriere ich, dass es nicht nur keinen einzelnen Milchaufschäumer hinter der Bar gibt, sondern auch keine Espressomaschine. Jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen zu sagen: „Hey H., ich würde sehr gerne Cappuccino trinken. Den haben die hier ja leider nicht. Ein paar Meter weiter gibt es einen Laden, da geht das. Lass uns da rübergehen. Bist du dabei?“

Doch das traue ich mich nicht, H. könnte ja schließlich denken, ich sei eingebildet oder nein sagen oder das doof finden. Also stelle ich nur achtsam fest (Erkenntnis ist immerhin der erste Schritt): Ich handele gerade entgegen meines Bauchgefühls und Wunsches. Und das rächt sich prompt. Der Kaffee kommt schwarz mit Milch in einer Milchkanne dazu – und schmeckt überhaupt nicht. Nicht mal ansatzweise.

Wie Glaubenssätze Verhalten prägen

Jetzt wäre Moment Nummer zwei da gewesen, die Situation nach den eigenen Wünschen zu gestalten und entsprechend dem Barmann zu sagen: „Vielen Dank, dass du Kaffee gekocht hast. Der schmeckt leider muffig. Ich möchte den darum nicht trinken und bezahlen werde ich den auch nicht.“ Vorteile dieses Verhaltens wären gewesen:

  1. der Barmann weiß, dass er seine Kaffeekochfähigkeiten verbessern, Pulver und Filter wechseln und/oder die Kaffeemaschine mal gründlich sauber machen sollte
  2. er hätte mir etwas anderes zu trinken anbieten können und ich hätte was Leckeres vor meiner Nase gehabt
  3. ich gebe kein Geld für Dinge aus, die ich nicht mag
  4. ich wäre meinem Impuls gefolgt und hätte authentisch gehandelt.

Hab ich aber nicht. Ich bin in einer Zeit und Region aufgewachsen, in der mein anvisiertes Ideal-Verhalten verpönt gewesen wäre. Die Devise lautete dort nämlich: froh zu sein, dass es überhaupt Kaffee gibt und dieser ist darum auch zu trinken – bis auf den letzten Schluck. Außerdem, was sollen denn die Leute denken. Zu sagen, dass es nicht schmeckt, ist arrogant und anmaßend und es gehört sich nicht. Die anderen mögen keine Meckerziegen. Und dann stehst du am Ende ganz alleine da.

Puh, solche Glaubenssätze sitzen tief. Entsprechend fühle ich mich in meiner Handlungsfreiheit von der Stimme in meinem Kopf gehemmt, nehme also Geschmacksverirrung in Kauf, um nicht als Nörglerin und Kaffeesnob dazustehen – nicht einmal vor Menschen, die ich gar nicht kenne und vermutlich auch nie wieder sehen werde. H. nicht, weil wir uns schon zum zweiten Mal über den Weg gelaufen sind (man trifft sich ja bekanntermaßen immer nur zwei mal und nicht dreimal) und den Barmann nicht, weil ich da aus o.g. bekannten Gründen nicht mehr hingehen werde.

Und all der Krampf nur wegen eines Heißgetränks. Bei der Wahrnehmung dieser Glaubenssätze und meiner Innenwelt hocke ich nun etwas verkrampft auf meinem Hocker mit verzagtem Gesicht, innerer Zerrissenheit und flacher Atmung, zweifle, was zu tun sei, und nippe währenddessen an dem Teufelsgebräu. Andererseits ist es auch wieder praktisch, dass es sich um eine so banale Situation handelt. Da fällt mir das Beobachten meines Innenlebens deutlich einfacher als beispielsweise im Angesicht des Endgegners.

Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?

H. und ich versuchen mittlerweile, den Ekelkaffee mit Milch zu retten – Milch soll ja bekanntermaßen sogar Vergiftungen neutralisieren. Wir hoffen also auf Rettung. Leider Fehlanzeige. Wir kommen dann gemeinsam zu dem Ergebnis, dass wir den bitteren Kelch des Leidens nicht austrinken und an uns vorbeiziehen lassen wollen.

Jetzt ärgere ich mich über mich dass ich nichts gesagt habe. Ich meine, ganz ehrlich, was wäre denn hier die Konsequenz gewesen? Im besten Fall: ein leckeres Getränk. Im schlimmsten Fall: nichts, genau! Es heißt jetzt also, den Vorsatz achtsame Neugierde auszuprobieren. Dabei liegt die Betonung auf Neugierde, denn mit der Achtsamkeit klappt es ja schon ganz gut.

Ich frage mich also gespannt, was passiert, wenn ich zumindest beim Bezahlen meine Meinung kund tue – ich hab jetzt einfach schon zu lange an dem Gesöff gesessen, als dass ich sagen könnte „Nee, mag ich nicht, bezahl ich nicht“.  Und interessanterweise, werde ich neugierig. Werde ich was sagen? Wie reagiert der Barmann? Was macht H.? Wie es weitergeht, erfahren Sie in der nächsten Folge.

Da ich aber nicht bis zur nächsten Folge oder schlechten Kaffee warten möchte, sage ich zum Barmann (und aus voller Neugierde, was denn dann passiert, bin ich sehr deutlich und verwende keine Höflichkeitsfloskeln, ist ja ein Experiment): „Hast du schon einmal deinen Kaffee probiert?“. Er schaut zur Seite (ich habe auch so eine Vermutung, woran das liegt). Ich: „Ganz ehrlich, der schmeckt furchtbar. Den kannst du deinen Gästen so nicht anbieten. Ich habe den Kaffee bestellt, zu lange gesessen, ohne etwas zu sagen, also bezahle ich den auch. Aber wirklich, der geht echt leider gar nicht.“ Der Barmann reagierte ziemlich mürrisch, pikiert und schimpft los. Ich hab mich umgedreht und bin gegangen.

H. übrigens war ganz begeistert, dass ich dem Barmann über die Mittelmäßigkeit, na ja, Unterirdischkeit seines Hexengebräus hingewiesen habe. Also ehrlich, Stimme im Kopf, du hast da echt Blödsinn erzählt.

Yeah! Ich hab es getan und lasse Revue passieren:

  • Schritt eins: Ich hab es getan entgegen der Stimme in meinem Kopf.
  • Schritt zwei: Mir auf die Schulter klopfen, weil ich mich getraut habe.
  • Schritt drei: Feststellen, dass überhaupt nichts Schlimmes passiert ist als ich es getan hab.
  • Schritt vier: Herausfinden, warum es so lange mit Schritt eins gedauert hat.

Auch Fettes Brot kann darüber ein Lied singen, ob man etwas tun sollte oder nicht.

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Oft sind wir nicht authentisch

Jetzt fragst du dich vielleicht, warum ich ein kleines, ja gar zahmes Beispiel wie Rückmeldung zum Ekel-Kaffee zu geben gewählt habe und es so ausführlich beschreibe. Ganz einfach, weil das eine banale Situation ist, die sich zum einen gut beobachten lässt und zum anderen sie jeder in verschiedenen Ausprägungen schon einmal erlebt hat und entsprechend aus eigener Erfahrung kennt. Es läuft letztendlich darauf hinaus, dass wir uns oft schwertun, das zu sagen, was wir meinen und das zu meinen, was wir sagen.

Ich habe genug Menschen beider Geschlechts auf allen Kontinenten in allen Altersgruppen – jawohl, allen – getroffen, die sich nicht erlauben, authentisch zu sein und dafür etwas tun, was ihnen im Grunde ihres Herzens  und Wollens nicht entspricht. In der Schule muss man diesen oder jenen Stil tragen, um cool zu sein. Man muss sich gut mit den Nachbarn stellen, weil man die ja so oft sieht. Man muss mehr Aufgaben übernehmen als man Zeit hat, um gut vorm Chef dazustehen und seinen Job zu behalten. Bla, bla, bla.

So, jetzt haben wir uns meinen Selbstversuch genauer angesehen, eine Situation achtsam wahrzunehmen und neugierig als Protagonist im eigenen Leben neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Jetzt heißt es nur noch, diese lästige Stimme im Hinterkopf ruhig zu stellen. Wie das geht, erzähle ich dir beim nächsten Mal.

Zum Thema authentisch sein, haben Wir sind Helden eine tolle Botschaft

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Viel Vergnügen beim Neugierigsein auf das eigene Leben!

Deine Felicitas

Die Faustformel:
Achtsamkeit + Neugierde = Freiheit


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Mit dem Motorrad auf den Vulkan Telica

Die Vulkane in Zentral-Amerika haben es uns angetan. Nach dem wir schon den Atitlán in Guatemala bestaunt und den San Cristóbal in Nicaragua erklommen haben, steht Telica als nächstes auf unserer Liste. Hier soll man sogar mit etwas Glück Lava sehen können.

Telica ist ein recht aktiver Vulkan und wegen seiner mühseligen Anreise gleichzeitig touristisch nicht überlaufen. Ganz im Sinne des deutschen Sicherheitsempfindens kann man auch diesen Krater besteigen, sich oben auf allen Vieren über die vertrauenseinflößende Kante beugen und seine Lungen mit den nach einer antiken Heilquelle duftenden und mindestens ebenso gesunden Gasen und Dämpfen füllen. Mit  etwas Glück soll man sogar zwischen den Schwaden glühende Lava erspähen können. Außerdem soll es eine tolle Aussicht auf die umliegende Vulkanlandschaft inklusive San Cristóbal im Sonnenuntergang geben. Damit aber noch nicht genug: Für den letzten Adrenalin-Kick schnürt eine Übernachtung im Zelt am Krater noch einen Sonnenaufgang auf das Paket. Wer kann da noch widerstehen? Klingt nach einem Highlight unserer Reise!

Anreise zum Vulcan Telica

Diverse organisierte Touren karren den gut situierten Backpacker von Welt im Allradfahrzeug oder per zwei Tage Hike in den Park. Als eingefleischte Motorrad-Weltreisende wollen wir aber natürlich das ganz große Abenteuer (und uns die Kohle sparen) und planen unsere Anreise mit den Mopeten. Schließlich wollen wir (ich) den wahren offroad-Fähigkeiten unserer V-Stroms auf den Zahn fühlen!

Es braucht dann allerdings doch zwei Anläufe, um das Projekt erfolgreich in die Tat umzusetzen. Unsere erste Anreise auf unseren beiden Motorrädern müssen wir leider schon nach zwei Kilometern abbrechen, weil die Sandpiste ab Las Mercedes für unsere vollbepackten Schiffe auch mit abgelassenem Reifenluftdruck nicht fahrbar ist. Enttäuscht müssen umdisponieren.

Wir fahren in das benachbarte Léon und kehren die Nacht im Blue Hat Hostel ein. Diese Expedition braucht offensichtlich eine ernstere Vorbereitung, da sie mit Abstand die schwierigste Etappe unserer bisherigen Weltumrundung darstellt. Wir beschließen, mit nur einem Motorrad zu fahren und Gepäck im Hostel zwischenzulagern. Werkzeug, Ersatzteile, Campingausrüstung und acht Liter Wasser müssen aber trotzdem mit. Wir können hoffentlich Kraft sparen, weil wir zu zweit nur eine Maschine durch die schwierigen Passagen baggern müssen. Auch die Route arbeiten wir detailliert aus, um alles zeitlich zu schaffen. Die Touri-Jeeps fahren um zwei Uhr los, also starten wir um elf. Das sollte uns hoffentlich genug Reserve geben.

Zweiter Anlauf zum Krater

Am nächsten Tag steht meine V-Strom abfahrbereit vor dem Hostel, während Felicitas ihr Töff auf einem Parqueo zur Bewachung abgibt. Vorsorglich erhöhe ich die Federvorspannung an meinem Touratech-Fahrwerk. Mit der geringen Bodenfreiheit der V-Strom werden wir jeden Millimeter zwischen Geröll und Unterfahrschutz brauchen.

DL650, Gepäck, Nicaragua, TKC70, Touratech, V-Strom, Vulkan Telica_DSCF9055_1180

Fertig gepackt steht meine V-Strom vor dem Hostel, bereit, Vulkan Telica zu bezwingen!

Dann geht es los. Wieder in Las Mercedes lassen wir den Reifenluftdruck aus unseren TKC70 ab. Vorne 1,4 bar, hinten 1,6 bar. Ich bin immer wieder fasziniert, dass diese kleine Maßnahme darüber entscheidet, ob man über Sand fahren kann oder sich hoffnungslos eingräbt. Die ersten zwei Kilometer kennen wir ja bereits, ein gewisser Lerneffekt hat sich auch schon eingestellt. Gutmütig und stoisch arbeitet sich die DL650 mit zwei Personen und Gepäck durch wechselnde Böden zwischen Sand und Geröll. Doch dann kommt eine Passage mit sehr tiefem Sand. Ich fahre sie zu schnell an, das Vorderrad schwimmt zur Seite weg und wir stürzen in Zeitlupe. Nix passiert, ist ja alles puderweich hier. Als sich die Staubwolke legt, halten zwei Locals auf ihrem Moped und helfen uns auf. Kein Wunder, dass hier alle höchstens auf 150 kg und 200 ccm³ unterwegs sind. Mit einer großen Reisenduro sind diese Straßen bei über dreißig Grad das reinste Fatburn-Workout. Anschieben müssen sie dann aber auch noch. Stehenbleiben auf Sand ist einfach nicht gut. Ist wie Skifahren im Tiefschnee, wenn es nicht runter geht…

Reserva Natural Complejo Volcánico Telica Rota

Nach einer Stunde erreichen wir schwitzend Cristo Rey. Seit einer ganzen Weile begegnen uns nur noch Menschen entweder zu Fuß oder zu Pferd. Es leuchtet uns absolut ein, dass kein Fahrzeug der Welt an die Agilität der zahmen Vierbeiner herankommt, die trittsicher Wasserkanister, Maissäcke und alles mögliche andere durch die Wildnis tragen.

Hier in Cristo Rey geht es rechts ab in den Vulkan Park. Es gibt sogar ein offizielles Schild vom Tourismusverein. Wahrscheinlich, damit die verrückten Reisenden wenigstens nur auf dieser Strecke stecken bleiben und nicht die anderen Pfade mit liegengebliebenen Fahrzeugen verstopfen. Ab hier geht es richtig ans Eingemachte. War die Fahrt bis hierher einfach nur anstrengend, geht es ab jetzt auch richtig technisch zur Sache. Die neuen Etappengegner heißen Steigung (wir wollen ja auf den Vulkan RAUF) und Lavabrocken. Ich muss jetzt im Stehen fahren, anders komme ich nicht durch den Parkour gezirkelt. Definitiv eine Strecke für ausgewachsene Geländefahrzeuge – oder Pferde. Ein Glück durften wir vor ein paar Monaten mit dem Motocross-Champion Nicolás España in Mexiko auf seiner Hausstrecke trainieren. Die gelernten Skills sind hier Gold wert.

Der Anstieg zieht sich schier endlos. Auch wenn die ganze Offroad-Etappe nur knapp zwanzig Kilometer bis zum Basiscamp ist, sind wir schon zwei Stunden unterwegs. Immer wieder setzen wir knirschend mit dem Unterfahrschutz auf. Wenn Suzuki doch endlich mal den Auspuff verlegen würde. Aber auch in der vierten V-Strom-Generation verläuft das Geröhre unter dem Motor lang und kostet mindestens fünf Zentimeter Geländetauglichkeit.

Langsam aber sicher verlassen mich Konzentration und Kraft. In einem schwierigen Hang stürzen wir erneut, weil mir die Traktion am Hinterrad auf losem Geröll verloren geht. Unser Schwung reicht nicht, um über den rutschigen Bereich hinwegzukommen und gehalten kriege ich die V-Strom auf dem unebenen Untergrund auch nicht mehr. Wieder nichts passiert, aber es ist so steil hier, dass wir das Motorrad zu zweit ohne Weiteres nicht mehr gegen den Hang aufrichten können. Fluchend müssen wir das Gepäck abladen, dann geht es. Felicitas gibt Anschiebehilfe und ich fahre den restlichen Hang mit keilendem Heck alleine nach oben. Jetzt ist definitiv Zeit für eine Pause – es gibt Wasser und Kuchen von einem französischen Bäcker aus Léon.

Andreas, DL650, Gelände, Gepäck, offroad, Sturz, V-Strom_DSCF9059_1180.jpg

In einer steilen Passage stürzen wir erneut als das Hinterrad auf losem Untergrund wegrutscht.

Etappe zum Parkplatz

Wieder bei Kräften satteln wir auf und gehen das letzte Stück bis zum „Parkplatz“ an. Man kann sich kaum vorstellen, dass am Ende dieser „Straße“ ein „Parkplatz“ sein soll, doch so ist es. Der örtliche Tourismusverein steht offenbar im engen internationalen Austausch und hat aus sicherer Quelle in Erfahrung gebracht, dass ein Tourist der nördlichen Hemisphäre einen Parkplatz vor einer Sehenswürdigkeit erwartet. Zehn mal zehn Meter sind von Lavabrocken freigeräumt, es gibt ein Plumpsklo und einen einheimischen Ranger, der im Schatten eines Wellblechunterstands sitzt. Sein Pferd knabbert in der Mittagsglut an der spärlichen Vegetation. Wir stellen das Motorrad ab und reißen uns die durchgeschwitzte Schutzkleidung vom Laib.

Und dann stehen wir vor ihm: Vulkan Telica! Seine gedrungene Erscheinung sieht von hier aus wie ein intergalaktischer Maulwurfshügel. An seiner Aktivität besteht offensichtlich kein Zweifel. Aus dem Sand quellen schweflige Dämpfe wie aus einem Druckkessel. Der Geruch lässt allerdings an den Absichten des Kochs zweifeln. Wenn dieses Gericht mal serviert wird, wird heiß gegessen. Wir setzen uns in den Schatten eines Baumes und begutachten aus sicherer Entfernung das Naturschauspiel. Viel Zeit zum Staunen haben wir allerdings nicht, denn gleich rollen schon die Touri-Jeeps an. Wir müssen noch ein Stückchen weiter zum Grundstück eines Vulkanforschers, wo wir unser Nachtlager aufschlagen werden.

Letzte Auffahrt

Ab jetzt fahre ich alleine, Felicitas läuft das letzte Stück. Technisch sauber fahre ich nicht mehr, dafür ist meine Konzentration zu erschöpft. Mit Körperkraft wuchte ich die V-Strom durch die Kurven und die Hänge hinauf. Wieder stürze ich in einem steilen und gerölligen Abschnitt. In mir existiert nur noch ein einziger Gedanke – irgendwie ankommen, ich schaffe das. Ich bin der erste V-Strom-Fahrer, der den Telica bezwingt (unrecherchierte Behauptung, freue mich auf Zuschriften). In mir werden ungeahnte Kräfte frei. Alleine stemme ich mein vollbepacktes Motorrad wieder in die Senkrechte – und fluche. Beim Sturz ist meine Maschine ein Stück den Hang hinabgerutscht. Dabei ist meine rechte Fußraste abgebrochen. Scheiße! Egal, muss ich halt sitzend und einbeinig bis zum Basislager kommen. Fußbremse geht noch. So fräse ich mich mit heulendem Motor, glühender Kupplung, rutschendem Vorderreifen und durchdrehendem Hinterrad den letzten Kilometer zum Ziel – geschafft!

Felicitas kommt fast zeitgleich mit mir an. Der Vulkanforscher empfängt uns zwischen seinen Hühnern und Hunden und zeigt uns, wo wir übernachten können. Alles sicher heute, die gemessenen Temperaturen liegen absolut im Normbereich. Jetzt heißt es erstmal: Raus aus der Mopedmontur, rein in die Wanderschuhe und auf zum Gipfel! In einer Stunde geht die Sonne unter.

Sonnenuntergang auf dem Vulcan Telica

Zum Glück ist der Trail im Vergleich zur zwölfstündigen Besteigung von San Cristóbal ein Spaziergang. Und dann stehen wir auf dem Kraterrand und spähen in die Tiefe. Ein steifer Wind pfeift uns um die Ohren, die Gase brennen in den Lungen. Lava gibt es heute wohl nicht zu sehen, dafür sind die Schwaden zu dicht. Aber schon ein irres Gefühl, so unmittelbar auf einem aktiven Vulkan zu stehen. Der Sand ist ganz warm und in der Tiefe gibt es absonderliche Geräusche. Hustend treten wir zurück und wandern noch ein Stück um den Schlund herum, um den Sonnenuntergang und San Cristóbal zu bestaunen. Die Backpacker-Flotte ist auch eingelaufen und hat sich mit Selfi-Sticks bewaffnet am Westhang aufgereiht. Der Wind ist so stark, dass man kaum stehen kann und peitscht Vulkansand in unsere Augen. Eine Bö erfasst meine Kamera und sie stürzt samt Tripod auf die Felsen. Glück im Unglück hatte ich einen Filter auf dem Objektiv – der ist allerdings komplett hinüber. Aber wenigstens ist der Kamera nix passiert.

Nicaragua, Sunset, Vulkan San Cristóbal, Vulkan Telica_DSCF9105_1180.jpg

Von Telica aus hat man eine epische Aussicht im Sonnenuntergang auf San Cristóbal.

Erschöpft treten wir den Rückweg zum Basecamp an. Uns steht eine kurze Nacht bevor, morgen früh wollen wir um vier noch einmal zum Kraterrand klettern, in der Hoffnung, in der mondlosen Finsternis der Nacht einen Blick auf die rote Glut erhaschen zu können. Um die abgebrochene Fußraste zu reparieren bin ich heute zu müde. Aber ich bin zuversichtlich, dass mir nach einer Mütze Schlaf schon etwas einfallen wird. Ich arbeite schließlich in der Vorentwicklung, da gibt es immer eine Lösung. Felicitas kocht ein deliziöses Abendessen auf unserem Campingkocher. Dann fallen wir in unsere Schlafsäcke.

Telica im Sternenlicht

Um 3:45 Uhr klingelt der Wecker. Was für eine Uhrzeit. Kommt uns nach dem Start um 2:45 Uhr zum San Cristóbal vor ein paar Tagen aber richtig erholsam vor. Eine sternenklare Nacht erwartet uns. Der Wind hat sich etwas gelegt und wir stapfen zum zweiten Mal den Pfad zum Kraterrand empor. Gestern haben wir uns alles genau eingeprägt, damit wir uns in der Finsternis nicht verlaufen. Telica schmaucht unverändert vor sich hin – und wieder können wir in der Tiefe nichts erkennen. Ich stelle die Kamera auf den Tripod und mache eine Langzeitbelichtung. Wenn dort unten irgendetwas glüht, wird die Kamera es aufnehmen. Und siehe da: Nur weil man etwas mit bloßem Auge nicht sieht heißt es nicht, dass es nicht existiert! Dieses Foto war die Strapazen wert und wird uns immer an ein hartes Abenteuer erinnern.

Krater, Lava, Nacht, Nicaragua, Starlight, Vulkan Telica_DSCF9134_1180.jpg

Telicas Lava im Sternenlicht

Der Sonnenaufgang ist dagegen schon eher Kür. Ungeduldig scharre ich mit den Füßen. Ich habe ausgeknobelt, wie ich meine Fußraste reparieren kann. Zum Glück haben wir bei der Gepäckauswahl nicht auf Werkzeug und Bastelkram verzichtet. Eine Stunde später ist mit Gefeile, Geschraube und dank der Kraft von Knetmetall – extra stark (lieber unbekannter Erfinder, ich preise dich) die Fußauflage wieder hergestellt.

Die Abfahrt hat sie tatsächlich auch gehalten. Mal sehen, wie viele Länder sie noch übersteht…

Andreas

GPS Track – How to drive Volcano Telica on a Motorcycle

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Mach dich frei!

Als wir uns unsere Weltreise ausgemalt haben, hatten wir uns einiges vorgestellt: Fremde Kulturen, epische Landschaften, kulinarische Köstlichkeiten. Wir wollten unser altes Leben hinter uns lassen und Neues ausprobieren. Unsere Grenzen überwinden und über uns hinauswachsen.

Was immer das auch sein könnte.

Dabei war dieses unser nächste Abenteuer allerdings definitiv nicht auf unserer To-Do Liste. Wenn uns jemand vor der Reise gefragt hätte, ob wir nicht mal ein paar Wochen mit Nackedeis über Kakteen springen wollen, hätten wir ihm ganz klar einen Vogel gezeigt.

Wie es dann doch dazu kam

Vor einigen Monaten trafen wir im Grand Canyon auf Motorrad-Rocker Ray und seine Freunde. Sie tourten auf ihren Schlitten durch die USA und genossen ihre Ferien mit einem gepflegten Road-Trip. Nach einem längeren Plausch über Hubraum und Harleys lud uns Ray kurzerhand zu sich nach Corona in die Nähe von Los Angeles ein.

Nun, er lebt allerdings in einem Nudisten-Resort. Ein Wohnwagen Park für nackte Menschen. Äh – sollen wir da wirklich hinfahren?

Bei der Vorstellung, nackt über einen Camping-Platz zu laufen ist uns gar nicht so richtig wohl. Sind Nudisten nicht alle komisch?

Klarer Fall von Vorurteilen und klarer Fall einer weiteren Chance, aus unserer Komfortzone zu treten und über unser Beschränkungen hinauszuwachsen. Auch wenn der erste Schritt zu dieser Erfahrung mit Sicherheit die größte Überwindung bisher gekostet hat.

Andere Zeiten, andere Sitten

Wie kommt es eigentlich, dass wir in unserer Kultur so skeptisch über unsere Körper denken? Dass wir alles bedecken wollen? Dass wir uns schämen, vor anderen nackt zu sein?

Die Geschichte zeigt, dass das nicht immer so war. Schaut man sich z.B. griechische Statuen an, gab es offensichtlich Zeiten, wo Körper und Nacktheit einen anderen Stellenwert hatten. Zeiten, in denen der nackte Körper verehrt wurde. Er wurde im Ringkampf gestählt, mit edlen Ölen und Salben gepflegt.

Grundsätzlich kann also nichts daran falsch sein, nackt zu sein. Auch nicht in der Öffentlichkeit. Trotzdem muss wahrscheinlich jeder bei der Vorstellung schlucken, jetzt nackt vor die Haustür auf die Straße zu treten.

Wir wollen dieser Frage auf den Grund gehen und uns dem Selbstversuch stellen. Was verändert sich, wenn alle nackt sind?

Make yourself comfortable – get naked!

Als wir nun tatsächlich einige Wochen später im Nudist-Resort Glen Eden aufschlagen, bekommen wir, wie jeder neue Gast, erstmal eine Führung über das weitläufige Gelände. Wo die Klos sind, der Pool und der Tennisplatz. Eigentlich völlig unspektakulär. Der einzige Haken an der Sache: Die Tour findet nackt statt. Ist halt ein Nudisten-Resort.

Manager Art gibt sich persönlich die Ehre, die weitgereisten deutschen Gäste in seinem Golf-Cart herumzuführen. Erster Halt: die Umkleidekabine. „Make yourself comfortable – get naked!“ sind seine Worte. In dem Moment kann ich mir kaum einen widersinnigeren Satz vorstellen.

Aber wir sind ja hier unterwegs, um uns unseren Ängsten zu stellen und über uns hinauszuwachsen. Manchmal muss man sich sein Motto einfach nochmal bewusst machen. Also raus aus den Hüllen, rein in die Freiheit!

Etwas frierend sitzen wir wenige Minuten später unbekleidet auf unseren Handtüchern in Arts Golf-Cart und fahren die örtlichen Sehenswürdigkeiten ab.

Glen Eden ist ein ziemlich großes Wohnwagen-Resort. Viele Bewohner haben hier einen vollausgestatteten Dauerplatz mit Veranda und Vorgarten. Ein paar Kanadier kommen sogar zum Überwintern.

Außer einem Bäcker gibt es hier alles, was das Herz begehrt. Neben diversen Sportplätzen gibt es eine Töpferei, eine Disco, eine Kantine, eine Bücherei, ein Second-Hand Geschäft. Alle paar Minuten treffen wir paradiesisch gekleidete Menschen, die uns zuwinken.

Art lässt es sich nicht nehmen uns auch gleich mit ein paar „Einheimischen“ bekannt zu machen, die zum Teil selbst deutsche Wurzeln haben. Wir scheinen eine kleine Attraktion zu sein, jeder interessiert sich für unsere Geschichte. Motorradweltreisende kommen hier wohl eher selten vorbei.

Die Gesamtsituation könnte skurriler nicht sein. Wir stehen nackt in einer Traube ebenfalls nackter Menschen und erzählen von unseren Abenteuern. Keinen der Umstehende scheint es auch nur im geringsten zu interessieren, dass keiner was an hat.

Ganz vorsichtig schleicht sich die Erkenntnis in unser Bewusstsein, dass es vielleicht wirklich egal sein könnte, keine Klamotten zu tragen. Es dauert dann aber doch noch einige Tage, bis wir nicht mehr darüber nachdenken.

Als Kind war es mir egal nackt zu sein

Bis dahin sinne ich darüber, was für mich eigentlich die Herausforderung darstellt, nackt zu sein.

Als Kind habe ich es Sommer geliebt, nackt im Garten unter dem Rasensprenger herumzutollen. Auch die Öffentlichkeit konnte meine Freude an Wasserfontänen nicht schmälern. Im Park rannten eigentlich alle kleinen Kinder nackt zwischen den Springbrunnen umher. Erwachsene haben das nie gemacht. Waren halt Erwachsene.

Schon wenige Jahre später hatte ich dann schon zumindest eine Unterhose an und noch ein wenig später fühlte ich mich ohne eine offizielle Badehose nicht mehr wohl vor anderen. Unterhose wäre schon peinlich. Nackt spielen? Unvorstellbar.

Wenn im Urlaub am Meer ein FKK-Strand in der Nähe war, machten wir als Familie immer einen Bogen darum herum. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht durfte man nicht einfach am Strand weiter zum Hotel laufen, wenn man selber Klamotten anhatte. Aber darüber habe ich mir als Kind natürliche keine Gedanken gemacht. Als Kind habe ich mir nur gemerkt: Da sind nackte Menschen, da gehen wir nicht hin.

Erziehung kann uns von uns selbst entfremden

Der erste Gedanke, der mir zu Nackt-Sein einfällt ist: Das macht man nicht. Das gehört sich nicht.

Immer wenn einem der Gedanke „Das macht man nicht, das gehört sich nicht“ durch den Kopf schießt, kann man davon ausgehen, dass es sich nicht um unsere eigene Meinung handelt. Wir handeln in diesem Moment entsprechend unserer Erziehung und unserer kulturellen Prägung die uns eingetrichtert hat, was man macht und was sich gehört.

Wir haben diese Glaubenssätze wahrscheinlich nie für uns hinterfragt. Wenn wir als Kind entgegen der Ansicht unserer sozialen Gruppe gehandelt hätten, wäre die Ablehnung zu schmerzvoll gewesen. Wir haben unsere Freiheit und unsere Freude unter einem Berg von Scham und Schmerz vergraben um sicherzustellen, dass wir nie wieder auch nur versuchen, diese kulturelle Regel zu brechen. Ganz egal, wie gerne wir mit 14 Jahren nackt in den Springbrunnen gesprungen währen. Oder mit 30.

Nackte Menschen sind authentischer

Die Bewohner von Glen Eden sehen das entspannt. Sie sagen: Es werden sowieso alle nackt geboren. Und irgendwie sehen ja doch auch alle gleich aus. Warum soll man dann so ein Aufheben darum machen? Sie genießen es und finden es normal, unbekleidet mit dem Hund Gassi zu gehen, zusammen zu essen und abends mit Bier und Grillgut am Lagerfeuer zu sitzen. Alle sind sich einig: Sie fühlen sich freier.

Wir lernen also einen Strauß Menschen kennen, die einfach sind, wie sie sind. Sie scheren sich nicht um Äußerlichkeiten. Es ist egal, welchen Job man hat, es ist egal, welches Auto man fährt. Es ist egal, wie viel Geld man hat. All das sieht nämlich keiner, wenn man nackt ist. Ich glaube, dass man authentischer ist. Authentischer sein muss.

Und das fühlt sich am Anfang eben auch so unbequem an, weil man sich selbst nicht hinter Äußerlichkeiten verstecken kann.

Überwinde deine Scham, um deine Freiheit zurückzugewinnen

Dass wir uns ob unserer Nacktheit schämen, ist offensichtlich kulturell und aus unser heutigen Zeit heraus geprägt. Doch zu erleben, dass es immer wieder anders Denkende gibt, bringt die gefasste Meinung ins Wanken. Auf einmal ist es doch okay, ohne Bekleidung herumzulaufen. Und nun?

Stellen wir uns nun als Gedankenexperiment vor, dass wir in einer beliebigen schambehafteten Situationen keine solche empfinden, sondern nur Neugierde. Neugierde darüber, was passiert, wenn wir uns anders verhalten als sonst und auch mal entgegen bestehender Konventionen.

Es ändert sich plötzlich die komplette Wahrnehmung. Wir entfliehen einstudierten Mustern und gewinnen neue Perspektiven und Freiheit. Das, was wir erleben, wird Teil einer Erfahrung. Zum Beispiel wird nackt mit anderen kochen auf einmal praktisch bei 30 Grad im Schatten.

Probiere es doch einfach mal aus. Wenn du über deine alten Klamotten hinauswachsen willst, dann lass sie mal für ein paar Tage im Schrank und begegne dir und anderen ohne Verkleidung.

Andreas & Felicitas


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Ein Jahr Weltreise – und immer noch keine Zeit

Ist es nicht absurd? Da nimmt man sich ein Jahr Urlaub. Ein Jahr Zeit, um zu machen, was man will.

Haben wir gedacht.

So stellt man sich Weltreisen vor

Für zwei Wochen sind wir im Glen Eden Sun Club in der Nähe von Los Angeles untergekommen. Herzliche Dauercamper, mildes Wetter, Jacuzzi, Sauna und Ukulele-Workshops. Fast täglich werden wir irgendwo zum Essen eingeladen.

Klingt nach Wellness-Urlaub bei dem keine Wünsche offen bleiben!

Weltreisen Backstage

Tatsächlich verbringen wir die Zeit im Wesentlichen am Rechner, arbeiten neue Features in den Blog ein und entwerfen bunte Sticker und Visitenkarten, weil sich kein Amerikaner weltenstromer.com merken kann. Hätten wohl besser einen englischen Blogtitel wählen sollen. Zwischendurch gibt mein iPad den Geist auf. Schnell noch einen Artikel für unsere Sponsoren schreiben, Montag Reifen wechseln und die V-Stroms für Mexiko fertig machen. Danksagungen an unsere Hosts schreiben, neue Kontakte in Mexiko knüpfen und für unser Projekt begeistern.

Als die Sticker geliefert werden, sind sie auf weiße statt auf transparente Folie gedruckt. Also noch mal von vorne.

Wenn es ernst wird, will der Mensch doch nicht frei sein.

Uns war schon früher aufgefallen, dass unsere Reise viel Euphorie auslöst, wenn wir auf Menschen treffen. Nach 30 Sekunden Begeisterung und Träumen folgt jedoch stets die Liste an Gründen, warum gerade dieser Mensch keine Reise machen kann. Die beliebtesten Ausreden sind Job und keine Zeit. Später vielleicht.

Hier in Glen Eden könnten wir uns erholen. Wir könnten unsere Weltreise besonders an diesem Ort in vollen Zügen genießen. Mit tollen Menschen vom Brunch in die Sauna gehen und dann in den Jacuzzi springen.

Wir könnten frei sein.

Aber wir müssen ja noch so viel arbeiten. Und in einem halben Jahr müssen wir schließlich schon wieder zu Hause sein.

Weltreisen ist kein Spaß.

Andreas


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Las Vegas’ wildes Nachtleben

Wir sind hier, in der Stadt, die niemals, wirklich niemals schläft, inmitten des glamourösen, skurrilen, blinkenden, herrlichen, wunderschönen Sündenpfuhl Las Vegas – und wir genießen es durch und durch! Es sieht nebenbei wirklich aus wie in den Oceans 11-13 Filmen

Unsere Superhosts Lee, Mary Lou mit ihren Freunden Robin, Ray, Miriam und Wade haben wir im Grand Canyon kennen gelernt. Kurzerhand haben sie uns zu sich nach Hause eingeladen und zeigen uns nun die Attraktionen der Stadt. Nebenbei integrieren sie uns direkt und sehr herzlich in ihren Freundeskreis.

Luxus & Glücksspiel in den Casinos

Um uns herum existiert eigentlich nur die Wüste Nevada, doch sobald wir den Strip im Stadtzentrument entlangschländern, sind wir überzeugt, am Mittelpunkt der Welt angelangt zu sein. Pariser Eiffelturm, Venedigs Kanäle, Roms Trevi Brunnen und die New Yorker Freiheitsstatur liegen hier in direkter Nachbarschaft mit der Pyramide aus Luxor. Lichtspektakel illuminieren die Straßen und den Nachthimmel.

Dazwischen tummeln sich Glücksspieler, feine Herrschaften von Welt und ganz normale Touristen. Alle werden von den Casinos und deren Innenleben magisch angezogen. Wer mag, fröhnt seiner Leidenschaft und fordert sein Glück im Spiel heraus. Machen wir übrigens einen Abend auch und gewinnen bei einem Einsatz von sage und schreibe zwei Dollar (einer davon ist eine milde Gabe) einen ganzen zurück!

1 Dollar, Casino, Eifelturm, Las Vegas, USA_DSCF5467_1024

Ansonsten heißt es schlicht und ergreifend Schwelgen im Luxus. Dicke Teppiche, funkelnde Kronleuchter, Goldverzierungen, Marmorfliesen, geschwungene Geländer, aufwendige Dekorationen und Nobelboutiquen bilden die Kulisse um unzählige Spieltische und Spielautomaten. Jedes Casino wirbt mit einer eigenen Spezialität: Vulkanausbruch (Mirage), Rutsche durch eine Haifischaquarium (Golden Nugget), Lichtershow am Brunnen (Bellagio). Doch das allertollste ist die herbstliche Dekoration im Bellagio!

Skurrile Gestalten in der Freeman Street

Hier braucht es eigentlich keine Worte, nur Augen. Für eine Stunde können sich Schausteller ein kleines Fleckchen mieten und sich für ein paar Dollar mit Interessierten fotografieren lassen. Die Bandbreite reicht von Dominas, Superhelden, bemalten Halbnackten bis hin zu Gitarristen in einer Miniunterhose – hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Es heißt also: gucken, stauen, freuen, manchmal auch erschrecken.

Abendprogramm

Unsere Gastgeber sind ziemlich vielseitig. Sie zeigen uns nicht nur die schönsten Ecken, machen Mopedtouren mit uns und schmeißen eine Party, nein sie zeigen uns sogar einen ganz speziellen Teil des Nachtlebens. Sie sind nämlich u.a. mit dem Besitzer eines Swinger Clubs befreundet. Tja, und der hat uns allesamt zu sich eingeladen, um uns ahnungslosen Touristen mal zu zeigen, wie in Las Vegas zelebriert wird.

Lee und Mary Lou erklären uns sicherheitshalber, was es denn mit so einer Art Vergnügen auf sich hat. Mit etwas Muffensausen ob der Dinge, die uns dort erwarten mögen, machen wir uns auf die Socken. Stolz zeigt uns Charles sein Etablissement. Wir trinken lecker Whisky und spielen ganz klassisch Pool Billard. Bevor die Party am Abend allerdings losgeht, Gäste eintrudeln und das wilde Treiben beginnt, fahren wir schon nach Hause. War auch so aufregend genug.

Las Vegas war in jeder Hinsicht ein Abenteuer! Vielen Dank ihr lieben alle für die grandiose und aufregende Woche.

Felicitas


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Wüstenfahrt

So wie sich Moses mit seinem Volk auf den Weg durch die Wüste zum gelobten Land macht, tun wir es auch. Allerdings nicht gleich 40 Jahre. Ein paar Tage reichen schon und ins gelobte Land wollen wir auch nicht, sondern nach Boulder, Utha. Und fliehen oder auswandern, tun wir auch nicht. Wir kommen aus Salt Lake City und wollen in die Nationalparks im Süden Richtung Grand Canyon.

Die Strecke ist wirklich malerisch und führt an spektakulären Felsformationen vorbei. Teilweise fahren wir in Gesellschaft von Campingwagen über den kurvigen Asphalt.

 

Als wir dann die vom Navi angezeigte Straße abbiegen, stehen wir plötzlich ziemlich alleine da. Und das auf einer Schotterstraße. Zunächst lässt uns das erst mal kalt. Wir sind nämlich schon gewohnt, über Gravel Roads zu fahren. Doch bereits nach ein paar hundert Metern sehen wir nirgendwo mehr Kies, sondern nur noch fettes Geröll und Gesteinsbrocken, die jetzt unsere Straße darstellen sollen. Zur einen Seite Berg, zur anderen Abhang, dazwischen wir.

Irgendwie beschleichen uns jetzt leichte Zweifel, ob wir auf diesem Pfade 80 Meilen innerhalb von zwei Stunden zurücklegen können. Aber das Navi muss es ja wissen. Also weiter. Doch es wird irgendwie immer fieser, Hubbel immer größer, Kurven enger und steiler, Geröll gerölliger. Es nähert sich außerdem, um der ganzen Sache noch etwas mehr Würze zu verleihen, die Dämmerung unaufhaltsam.

Laut Navi soll es nach acht Meilen einen Campingplatz geben. Sicher sind wir uns irgendwie nicht, dass es den tatsächlich gibt, doch Alternativen sind nicht massig gesät. Zwei Stunden plagen wir uns durchs Niemandsland und der wirklich existierende Mini Wald-Campground ist eine Erlösung. Wir fragen uns nur, wie die Autos unserer paar Nachbarn diese Piste überlebt haben.

Es stellte sich heraus, dass unser Navi uns zwecks Streckenoptimierung den Hardcoreweg langgeschickt hat. Ein paar Kurven weiter hätte es die light Variante gegeben…

 

Beruhigt machen wir uns am nächsten Tag auf die Weiterfahrt. Der Schotterweg ganz passabel, doch dann stehen wir auf einmal mitten in der Wüste. Und da fühlt sich offenbar wieder keiner mehr für die Streckenbeschaffenheit verantwortlich. Matsch, Sand, steile Auffahrten. Der Schotter dazwischen schon eine Erholung.

Bei Strecken dieser Art ist Schwung dein Freund. Dein Hirn allerdings nicht, also ausschalten und auf Fahrphysik, dein Motorrad und die Reifen vertrauen. Und so heißt es dann ab durch ausgetrocknete, felsige Flussbetten. Bloß nicht nachdenken. Wäre auch nicht hilfreich, wenn nämlich was passieren würde, finden täte uns da keiner, laufen bringt auch nix, zu weit weg von allem. Kein Handyempfang, keine Menschenseele. Einfach nüscht. Nur wir zwei Reiseendurodeppen mit für die Autobahn aufgepumpten Reifen.

Läuft jedoch echt gut. Der strapaziöse acht-Meilen-Weg zum Campground war die perfekte Vorbereitung. Warum auch Endurokurse belegen, wenn man einfach im Ernstfall proben kann?

Nach einem komplett durchgeballerten Fahrtag durch die Wüste und später in schwindelerregende Höhen erreichen wir unser Ziel und asphaltierte Straßen. Wie das Navi auf zwei Stunden insgesamt Fahrzeit gekommen ist, bleibt schleierhaft. Die Fahrt war jedenfalls ein krasses Erlebnis, bei dem sogar Vorderreifen abhoben und ein echter Fluss durchquert wurde.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=OgGSvzSH95g]

Felicitas


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Über Fähigkeiten und Furcht

ÜBER FÄHIGKEITEN UND FURCHT

Zurzeit sind wir in Disraeli im francophonen Teil Kanadas und kramen unsere Französischkenntnisse aus uralten Zeiten wieder hoch. Manchmal haben wir Glück und wir verstehen unseren Gegenüber und er uns im Idealfall auch.

Während einer längeren Fahrt auf gerader Strecke gen Québec ist mir dabei etwas aufgefallen: Au francais klingt

je peux quelque chose (ich kann etwas) fast genau so wie

j’ai peur de quelque chose (ich habe Angst vor etwas).

Lediglich ein Buchstabe, ein X und ein R entscheiden also, ob mir ein Vorhaben, eine Herausforderung, eine Tat gelingt oder ich erstarre, flüchte, alles den Bach heruntergeht.

Außerdem erinnert avor peur de quelque chose mich ans Bestellen und Einkaufen, denn es wird im Französischen – so weit ich mich an den Französischunterricht in der Schule entsinne – immer ein Teil von der Gesamtmenge geordert. Zum Beispiel sage ich dann je voudrais des fraises. Ich bestelle also lediglich ein paar Erdbeeren von allen Erdbeeren dieser Welt. Auf die Angst übertragen hieße das ja, dass ich nur einen Bruchteil der Angst habe, die es insgesamt auf dieser Welt gibt.

Im Deutschen sieht das schon wieder anders aus. Hier heißt es ich habe Angst vor etwas, vor dem Umfallen mit dem Motorrad im Wald zum Beispiel. Hier gibt es keine Einschränkung und ich habe also global alle Angst, die es in dieser Welt gibt vor einer bestimmten Sache und nicht nur einen Teil der gesamt möglichen Ängste. Das ist ganz schön viel Angst auf einmal, die geschultert wird.

Zusätzlich kommt noch hinzu, dass es Angst vor etwas haben heißt. Das gefürchtete Ereignis ist zeitlich gar nicht eingetroffen, ich antizipiere es nur. Es handelt sich also um eine Fantasie, etwas Erdachtes. Und doch steuere ich durch meine Gedanken direkt darauf zu.

Hinzu kommt, dass unser Gehirn nicht zwischen Wahrheit und Fiktion unterscheiden kann. Angst als solche ist also nicht real, sondern ein Szenario, das ich sogar lenken kann.

Um bei dem Motorrad-im-Wald-Umfall-Beispiel zu bleiben: Ich habe darüber häufiger sinniert, weil wir ja von Zeit zu Zeit im Wald oder unebenen Farmgelände zelten und es hier heißt, tapfer über holperigen Untergrund zu fahren. Mein Hirn ersann sich sehr spannende Szenarien, das kann ich dir sagen. Die Sorge des Umfalles stieg also beträchtlich an und wuchs bei jedem Kiesel. Eines Tages bin ich tatsächlich beim Umsetzen im Moos stecken geblieben und das Motorrad kippte zur Seite. Es geschah also laut meinem Gehirn das Schlimmstmögliche, was passieren kann.

Und was war? …. Nix. Genau. Also einfach entspannt ablegen. Ein Motorrad mit 250 kg kann ich eben nicht immer auf rutschigem Untergrund halten. Die Kisten und Sturzbügel sind ja da und betten die Maschine weich im Moos.

Und dann? … Motor aus, absteigen, mit dem Rücken gegen die Sitzbank lehnen, eine Hand an den Lenker, die andere an den Griff neben der Sitzbank gelegt und dann heißt es lediglich dagegenstemmen.

Und tadaa, das Moped steht wieder und ich auch. Helm richten, aufsetzen, weiterfahren. Also alles ganz einfach.

Die Angst vor dem Ereignis ist groß, zieht es also an, währenddessen und danach ist sie weg, weil ich ja erst beschäftigt bin und anschließend gemerkt habe, dass sich mein Hirn nur irgendwelche Fantasien ausgedacht hat.

Außerdem habe ich mir beim Aufstellen gesagt ich kann das. Und dann ging das Motorradaufstellen auch – übrigens war das eine Premiere.

Hier hat es also gut funktioniert, das Fürchten gegen das Können auszutauschen und, um bei je peux und j’ai peur zu bleiben, das X anstelle des R zu wählen.

Felicitas


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New York

Wir sind da!

Aus dem Flieger gehüpft, illegalerweise ein Foto von uns vor dem Schild welcome to the United States of America gemacht, begrüßt uns Amerika mit einer langen Warteschlage an der Visa-Kontrolle. Endlose Reihen wartender Touristen schleppen sich durch die klimatisierte Eingangshalle gelenkt durch eine Vielzahl uniformierter Anweiser. Folgsam reihen wir und ein. Nachdem der Officer feststellt, dass weder unsere Fingerabdrücke noch unsere Fotos in einer Verbrecherdatenbank gespeichert sind, gelangen wir unerwartet entspannt und ohne langwierige Diskussionen durch die Passkontrolle.

Weg zur Unterkunft

In einem auf Eiseskälte herab klimatisierten Bus stecken wir bei unserer Direktfahrt in die Innenstadt pronto in der berühmt berüchtigten Rush Hour fest. Der Busfahrer ist etwas verwundert, dass den Touristen bei einem Temperaturgefälle von draußen zu drinnen von gefühlten 20 Grad irgendwie kalt ist. Nun ja.

Das Problem lässt sich jedenfalls schneller lösen als die Suche nach unserer fensterlosen Unterkunft irgendwo in Brooklyn, denn das New Yorker Subway System ist irgendwie auf den ersten Blick doch mit all den Blocks und Umsteigemöglichkeiten komplex. Offenbar gucken wir so ratlos mit unseren Säcken auf dem Rücken gebuckelt und den Motorradklamotten über’m Ärmel, dass wir sofort als uninformierte Touristen erkennbar sind.

Das macht sich ein gewiefter Geschäftemacher unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft  à la vom Tellerwäscher zum Millionär zu Nutze. Er zeigt uns erst ganz nett, wo wir unser Ticket kaufen können und will dann pronto ein Trinkgeld für seine Selbstlosigkeit kassieren. Die zwei Dollar-Scheine sind ihm offenkundig zu wenig und er mosert direkt los. Glücklicherweise gibt es noch andere, denen er helfen will, so dass wir in den Untergrund abtauchen können.

Nach gefühlt ewigem Gesuche kommen wir in der Zielstraße neben einen Laden an, in dem lebendige Hühner und Schafe zur Direktschlachtung angeboten werden. Wie in einem Nobelrestaurant der Gourmet sich einen Hummer wählt, wählt sich hier der Bürger von Welt ein Tier. Nun gut, zurück zur Tour. Unsere Unterkunft finden wir dann doch noch ohne weitere Zwischenfälle.

Unser Zimmer im Szene-Viertel ist, nun ja, wie gesagt ohne Außenfenster, dafür können wir allerdings durch eines ohne Scheibe in den Flur gegen die Decke gucken. Dafür ist es das günstigste und, um ganz ehrlich zu sein, das einzige, dessen wir einen Tag vor unserer Ankunft in New York habhaft werden konnten.

Stadtbild

In den nächsten Tagen verbingen wir einige Zeit in Manhattan, dem aus Funk und Fernsehen bekannten Stadtviertel. Ein Skyscraper reiht sich an den nächsten. Und, obwohl sie alle diversen Baujahren entstammen, ergeben sie ein harmonisches Gesamtbild, scheinbar wachsen Hochhäuser hier wie eine Art organischer Wald in die Höhe. Glasturm neben antiker Säule neben Park neben Stau mit Polizeisirenen. Wunderbar.

Aus dem Stadtbild sind die mobilen Essenswagen nicht wegzudenken. Zwischen den ganzen noblen Gebäuden stehen mobile Wagen, deren Besitzer vom Fallafel über Hot Dogs bis hin zu indischen Köstlichkeiten alles feilbieten, was ein hungriger Mensch braucht.

Natürlich lassen wir, also ich, es uns auch nicht nehmen, Glitzern und Funkeln zu folgen und so finden wir uns in unserer schlichten Stadt-Outdoor-Motorrad-Reisebekleidung bei Tiffanys wieder. Man gewährt und tatsächlich Eintritt. Wow. Und hinsichtlich Shopping will ich unbedingt wissen, wie denn Bloomingdale’s nun in echt aussieht. Es ist ein dunkler, magischer Ort kann ich dir sagen. Wehrlose Menschen verirren sich wie Hänsel und Gretel zwischen Tischen voller Uhren, Parfum, Taschen, Schmuck und anderen Dingen, die man auf jeden Fall kaufen muss, um je aus dem Laden heil herauszukommen. Während du also verzweifelt nach einem Ausgang suchst, stürzen plötzlich aus dem Hinterhalt geschulte Verkäufer hervor und versuchen, dich mit Komplimenten und Verkaufsproben zu locken und so in die Fänge des Konsums zu treiben.

Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass wir mit GPS und einen starren, nach vorne gerichteten Blick, im Stechschritt den Weg in die Freiheit finden. Uff. Chapeau für alle, die das zum Weihnachtsshopping durchhalten.

 

Menschen

Ansonsten ist New York wirklich sehr spannend, da es unglaublich divers und heterogen ist. In der U-Bahn sitzend können wir nur schwerlich Oberkategorien für unsere Mitreisenden finden. Menschen sämtlicher Hautfarben, Religionen, Altersgruppen, Stilrichtungen fahren munter durch die Gegend. Eine derartige durchmischte Vielfalt habe ich sonst nirgends bisher gesehen. Einfach toll. Außerdem fallen die New Yorker durch mehrere Dinge oder Eigenheiten auf:

  • Urban fragrance: Viele riechen extrem gut und verströmen einen sehr angenehmen Duft beim Vorbeigehen – wer weiß, vielleicht kaufen die ja alle bei Bloomingdale’s ein? Oder sie wollen das Aroma übertünchen, das einen zwischendurch unerwartet an einigen Ecken entgegenschlägt.
  • New Yorker sind freundlich, wir begegnen jedenfalls sehr vielen. Sobald wir mit der Karte länger als 13 Sekunden irgendwo stehen oder einfach nur so ratlos gucken, werden wir sofort angesprochen und freundlichst zu nächsten Sehenswürdigkeit oder was auch immer gelotst.
  • Jeder Menschen scheint einen konkreten Plan zu verfolgen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die New Yorker oder sind es Amerikaner – ich werde es sicher noch herausfinden – sich ihrer sehr bewusst sind. Es ist eine interessante Mischung aus Selbstsicherheit und dem Streben auf ein Ziel hin.

Werbung

Wir verbringen wahrlich einige Zeit in der Subway und können so ausgiebig Werbeplakate studieren. Im Gegensatz zu Deutschland oder anderen Städten wird in New York konkret für den New Yorker geworben. Know your rights ist ein großes Thema. Es gibt Hotlines zu offiziellen Stellen, die zu Diskriminierung, Gehalt, häuslicher Gewalt beraten – alles auf den New Yorker zugeschnitten.

Außerdem existiert eine Serie New York helped me to be confident when I had depression/panic attacks/personality disorder. Dabei handelt es sich um Plakate, auf denen ein über den gewährten Support breit lächelnder Mensch steht und signalisiert, dass NY etwas für ihn getan hat. Sympatisch finde ich auch den Slogan zur obligatorischen Sicherheit: see something, say something.

Für die Stadt, die niemals schläft und aus sämtlichen Kulturen besteht, wird tatsächlich durch Marketing eine gemeinsame Grundlage geschaffen. Das geht sogar so weit, dass Waschbären als New Yorker bezeichnet werden und der heimische Mensch sich zur Auseinandersetzung mit dem Nachbartier angeregt wird.

Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht und was uns in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das sich Streben nach Glück verschrieben hat, weiter begegnet.

Felicitas


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