Alles ist gut

Zu jeder guten Motorradweltreise gehört es, einmal irgendwo derartig im Schlamassel zu stecken, dass es aus eigener Kraft nicht möglich ist weiterzufahren und nur mit fremder Hilfe ein Vorwärtskommen sichergestellt ist. Das weiß jeder, der eine solche Himmelfahrt einmal angetreten ist aus eigener Erfahrung. Und natürlich machen wir zwei da auch keine Ausnahme – warum auch, wir wollen ja das ganz große Abenteuer erleben.

Seelisch und moralisch haben wir uns also schon vorab vorbereitet und darauf gesetzt, dass im Fall des Falles alles gut wird. Genau so wie in all den schönen Geschichten anderer Reisenden, oder so, wie wir es schon erlebt haben. Doch als es dann so weit ist, ist es kurzzeitig echt ganz schön mies und wir müssen uns schleunigst an unsere guten Vorsätze erinnern. Ja ja, Vertrauen ist schon so eine Sache, ne?!

Daheim haben wir einen guten Freund, Thomas, und der sagt uns immer, ja wirklich immer, dass alles gut ist. Egal, wie herausfordernd eine Situation auch gerade für uns sein mag. Er ist immer super gelassen und extrem entspannt, sich seiner Aussage gewiss. Alles ist gut. Wir zwei wollen das meistens nicht hören und Haare in der Suppe finden. Doch Thomas lässt sich von sowas natürlich nicht aus der Ruhe bringen. Er bleibt dabei: Habt Vertrauen, alles ist gut.

Einfach von der Straße geweht

Unser Weg führt uns nach San Cristobal, einem wirklich wundervollen Ort, zu Liliana, unserer nächsten Gastgeberin (sie ist übrigens die Schwester von Rennprofi Nicolas, den wir unterwegs kennen gelernt haben). Also ein sehr erstrebenswertes Ziel, da sie uns fürderhin als begnadete Köchin angepriesen wurde.

Bei Reisestart am Morgen ist alles normal. Es weht ein zugiges Lüftchen, das nervt jetzt nur ein bisschen. Also tun wir das, was getan werden muss: Gegen das Gebläse lehnen, aufs Moped ducken und weiterfahren. Doch irgendwie will es nicht dabei bleiben. Der Wind pustet immer heftiger. Ich rufe sicherheitshalber die ersten Schutzheiligen an. Das hilft vorerst für die nächste Distanz. Doch dann kommt eine orkanartige Sturmböe – und weht mich einfach um. Glücklicherweise fuhr ich nur langsam. Und dennoch. Irgendwie gibt es Schöneres im Leben als von der Straße geweht zu werden. Auf der Haben-Seite: Es regnet wenigstens nicht.

Palmen, Sturm_DSCF7793_1180

Der Sturm versucht sogar die Palmen auf den Boden zu drücken.

Jetzt fluche ich erstmal fürchterlich, denn die Fußraste hat sich unangenehm in meine Wade gebohrt, und schicke gleichzeitig Stoßgebete gen Himmel. Hoffentlich gelangen die durch die Turbulenzen doch ans rechte Ziel. Hilfe naht auch schon prompt in Form von Andreas. Nur mit vereinten Kräften schaffen wir es, das Moped gegen den Wind, den Orkan, das Tosen, die unsichtbare Naturgewalt wieder aufzurichten. Jetzt legt sich das Treiben so richtig ins Zeug und ich kann das Moped noch nicht mal alleine gegen den Sturm halten. Andreas hat sein Moped vorausschauend in Windrichtung abgestellt. Also drehen wir mein Moped ebenfalls schleunigst, damit wir nicht noch alle drei die Böschung runtersegeln.

Wie gehts weiter? – Nerven liegen blank im Nirgendwo

Und dann tun wir das, was Paare in dieser Situation meistens sehr gerne tun: Wir brüllen uns ordentlich an. Zum Teil auch, weil wir uns anders einfach nicht hören würden. Aber auch, um Wut, Frust und Angst loszuwerden und irgendwie einen Konsens zu finden. Ganz im Sinne, wer lauter brüllt, hat mehr recht. Vor uns eine Straße ungewisser Länge durch einen wütenden Tornado. Hinter uns eine Tankstelle. Sonst nichts. Ach ja, und konträre Ansichten, wie wir weiterverfahren wollen, haben wir auch. Also eine optimale Ausgangslage für Produktivität und die Anwendung paarlich erprobter Problemlösestrategien.

Letztendlich entscheiden wir uns, die Option Tankstelle zu wählen und dort weiter zu überlegen. Glücklicherweise fährt Andreas mein Moped bis dahin zurück. Ist mir ein Rätsel, wie er auf der Straße bleibt, ich komme kaum zu Fuß ans Ziel. Im Windschatten der Tankstelle angekommen, heißt es erstmal die schlotternden Knie zu beruhigen und darauf zu vertrauen, dass sich hier das erhoffte Wunder einstellt.

Wo bleibt die Rettung?

Wir werden prompt begrüßt und zwar von einem Typen mit Maschinengewehr. Besteht die Rettung jetzt in einer vorzeitigen Erlösung irdischen Leids durch ihn? Teilweise. Er gibt erst mal darüber Auskunft, dass die Straße berüchtigt für die stürmischen Turbulenzen sei und das auch insbesondere für die nächsten hundert Kilometer. Käse. Und dann haben wir dieselbe Idee, dass es sehr, ja wirklich sehr großartig wäre, wenn uns einfach ein LKW, Transporter oder Camionetta – wie es hier heißt – mitnähme. Schließlich gehen die Geschichten anderer Reisenden auch immer so: Aus dem Nichts materialisiert sich einfach die Hilfe.

Bei uns ist das noch nicht ganz der Fall. Also erst mal tanken, wenn wir schon mal da sind. Der Tankwart gibt Streckentipps und Alternativrouten zum Besten. Ist das jetzt die Lösung? Einfach woanders langfahren? Dableiben geht jedenfalls nicht. So richtig behaglich erscheint mir das Ganze aber auch nicht. Immerhin müssen wir dann wieder raus aus dem Windschatten und wer da auf uns wartet, wissen wir ja schon. Und nun?

Dann, plötzlich, ein roter Kleintransporter taucht auf. Magisch zieht er unsere Blicke auf sich. Wir sind uns einig, der muss es sein! Unser Ausweg! Sicherheitshalber fragen wir unseren Maschinengewehrmann, der sich übrigens als Polizist ausgibt, ob er für uns eine Mitfahrt anfragt, da unser Spanisch in der Not nicht unbedingt besser wird. Klar, will er tun. Also, er stiefelt zum Fahrer. Nach einem kurzen Plausch mit einer 1,50 m langen Waffe in der Hand seines Gegenüber findet der Fahrer offenbar auch Gefallen an einer Rettungsaktion. Zufällig muss er nämlich in genau dieselbe Richtung wie wir und zufällig ist seine Ladefläche leer.

Mit vereinten Kräften Mopeds aufladen

Tja, und dann wird es interessant. Wir müssen jetzt nämlich irgendwie die Vehikel aufladen. Und das knapp einen Meter hoch. Anlauf nehmen und springen geht nicht. Ne Rampe gibt es auch nicht. Mittlerweile ist das gesamte Tankstellenpersonal mit unserer Weiterfahrt beschäftigt. Während der Camionetta rückwärts an eine kleine Erhöhung gefahren wird, schafft nämlich einer der Männer ein fettes Brett heran. Fertig ist die Auffahrt. Man muss nur noch hochbrettern. Klingt in der Theorie einfach, ist es in der Praxis auch. Jedenfalls sagt das Andreas immer so. Also getreu seines Mottos fällt ihm der Part zu, die 200-Kilo-Maschinen herumzumanövrieren und den schmalen Steg raufzufahren.

Die Herren der Tankstelle packen mit an und mit vereinten Kräften stehen nach einer halben Stunde zwei Mopeds und vier Koffer festgezurrt auf dem roten Transporter. Weiter geht die Reise.

Die Hilfe kommt von Herzen

Zu zweit quetschen wir uns dann auf den Beifahrersitz und sind erstaunt, wie mühelos der Transporter dem Sturm standhält. Neben uns fliegen fast die Palmen aus der Bodenverankerung. Auf den Mopeds hätten wir keine Chance gehabt. Was für ein Glück, dass wir im Auto sitzen!

Unser Fahrer Hilarion ist ein wahrer Glückstreffer. Er kennt die Strecke und den dazugehörigen Wind, da er hier täglich Mangos transportiert. Außerdem ist er Besitzer einer grandiosen Autoinneneinrichtung und eines USB-betriebenen Radios. Bei mexikanischer Volksmusik erholen wir uns also für die nächsten zwei Stunden. Passenderweise ist Hilarions Zielort der Zugang zu der von uns benötigten Autobahn.

Als wir uns überlegen, wie wir uns erkenntlich zeigen können und ob sich unser Helfer eine Prämie erhofft hat und wenn ja wie hoch, sagt Hilarion, dass seine Unterstützung von Herzen – de corazon – kam. Er freut sich einfach, dass es uns gut geht. Das angebotene Geld lehnt er ab.

Kleiner Stunt zum Mopedabladen

Nun kommt irgendwie doch das Thema auf, wie wir die Mopeds wieder abladen. Und auch hier fügt sich wieder alles famos. Wir steuern auf eine Bauruine zu, die Wunder o Wunder, genau auf der Abladehöhe des Transporters liegt. Hilarion verabschiedet sich mit Handschlag und wir sind wieder auf uns gestellt.

An dieser Stelle möchte ich sagen, dass es neben all den wirklich schönen Gründen mit Andreas zusammenzufahren ein wahres Glück ist, dass der Mann schon von Kindesbeinen an auf Zweirädern unterwegs ist und auf Geländefahrten steht. Er baut sich, ganz der Ingenieur, aus herumliegendem Schutt eine Steintreppe, die von der Empore herabführt. Weil er seine Abfahrt von oben nicht sehen kann, markiert er diese mit zwei „Torsteinchen“, sodass er auch an der richtigen Stelle über die Mauer fährt. Dann bringt sich Andreas locker in Position, visiert sein Ziel an – und fährt da mal eben eine wackelige Zielgelkonstruktion runter. Ziemlich cool. Das ist sogar so cool, dass er gleich beide Mopeds auf sicheres Gelände bringt.

Letzte Hürden

Nachdem wir wieder auf der Straße sind, stellen wir fest, dass in einer Stunde die Sonne untergeht. Und es sind noch mindestens drei zu fahren. Also rangehalten. Wir brettern, was das Zeug hält. Die Landschaft nehmen wir kaum wahr, teilweise, weil wir uns so beeilen, es immer dunkler wird und teilweise, weil unser alter bekannter Freund Supersturm wieder am Start ist. Diesmal mit dicken Regenwolken.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir aber doch endlich im Stockdunkeln und durchgefroren bei Liliana an. Obwohl wir uns zum ersten Mal sehen, nimmt sie uns herzlich in Empfang wie alte Bekannte und lecker Essen gibt es auch. Wir sind fix und fertig und gleichzeitig sehr dankbar für all die Hilfe und auch dafür, noch am Leben zu sein.

Ende gut, alles gut

Heute haben wir wahrlich eine eindrucksvolle Lektion in Sachen Alles ist gut und Hab Vertrauen gelernt. Sich gewiss zu sein, dass die richtige Hilfe genau dann erscheint, wenn wir sie brauchen, dass wildfremde Menschen mitanpacken und einfach da sind. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben, Hürden zu meistern, es zu schaffen.

Als Resumé unseres Abenteuer-Tages denken wir also an Thomas und seine Worte. Auch wenn wir zwischendurch ehrlich gesagt unsere Zweifel haben, die Grundgewissheit bleibt trotzdem immer irgendwo im Hinterkopf: Irgendwie wird es eine Lösung geben. So gesehen, war sogar das Vom-Moped-geweht-Werden im Nirgendwo gut. Denn sonst hätten wir nicht an eben dieser Tankstelle haltgemacht und unseren Rettungsfahrer Hilarion getroffen.

Also Thomas, wir sehen es ja ein: Alles ist gut!

Felicitas

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6 Gedanken zu „Alles ist gut

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