Wie wir von einem kompletten Dorf adoptiert wurden

Wir sitzen in einem kleinen Restaurant mitten im Nirgendwo Guatemalas und warten auf unser Mittagessen (übrigens wird dies der beste Burger und das leckerste Hühnchen-Sandwich ever werden). Auf einmal spricht uns ein sehr sympathischer Mann und dessen Begleiter Nelson an. Wir unterhalten uns, es werden Fotos gemacht und die Stimmung ist super. Das Ende vom Lied: Wir sind bei Elder eingeladen und das, obwohl unser spanischer Wortschatz auf dem Niveau A1 rumwabert. Wir müssen lediglich drei Stunden warten, weil unsere neuen Freunde Hühnchenfleisch und Gemüse in der Nachbarstadt ausliefern. Während wir also warten, zelebriert der Gastwirt den Geburtstag seiner Köchin. Ehrensache, dass auch wir fett Kuchen und Kaffee aufs Haus bekommen.

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Das ist Elder. Mit ihm fing alles an.

Als Elder endlich da ist, knattern wir los, halten irgendwo, mehr Gemüse wechselt den Besitzer. Mittlerweile ist es dunkel und wir warten an einer Kreuzung auf irgendwelche Amigos. Die kommen und springen auf den Laster auf. Und dann sollen wir noch jemanden kennen lernen. Hm, ob wir später wirklich einen Schlafplatz haben? Irgendwann biegen wir in einen ziemlich kleinen Weg in ein ziemliches kleines Dorf. Das GPS zeigt „unbekanntes Land“. Ob das gut geht? Als vorsichtiger Weltreisender soll man ja keinesfalls in der Nacht fahren. Egal, jetzt ist es auch zu spät…

Tierisches Vergnügen

Der Ort heißt übrigens Santiago, versucht man uns im lokalen Dialekt zu erklären, besteht aus nur einer Straße, 270 Häusern und sehr warmherzigen Menschen. Ach ja, und dem Hauptarbeitgeber des Dorfes, einem Laden, der nebst üblichem Sortiment alles und jeden mit Gemüse und Hühnchen beliefert. Auch Elder arbeitet hier. Wir werden mit Lebensmitteln versorgt, dürfen das firmeneigene Moped täglich für unsere Dorfrundfahrten nutzen und fühlen uns direkt heimisch. Klar, dass wir uns die Hühnerställe auch ansehen dürfen. Noch gackern knapp 200 der 600 Hähnchen froh, ahnen sie doch nicht, dass sie eine Woche später kopfüber und kopflos in einer Vorrichtung zum Ausbluten hängen, dann in einem Riesenbottich abgekocht und in einer Art Waschmaschine mit ziemlich großen Gummistangen entfedert werden. Ich habe so etwas zuvor noch nie gesehen.

Da hat der Lieblingspapagei im Dorfladen schon mehr Glück: Er darf auf unseren Schultern sitzen und lernt nebenbei neue Wörter (unter anderem das universelle Superwort „Möff Möff“).

Apropos entfedert: Wir haben die Ehre und werden zum Sonntagsfischen in den eigenen Fischzuchtseen eingeladen. Vorher füttern wir unser Essen noch und sehen dann, wie ein paar Prachtexemplare in einer Pfanne auf Holzfeuer gebraten werden.

Es ist wie in den Ferien hier und wir genießen die Zeit. Aus einer Übernachtung wird fast eine ganze Woche Auszeit in Santiago.

Kulinarische Highlights

Elder scheint alle zu kennen und so knattern wir stets jeden anhupend durch Santiago zu unserer nächsten Einladung und Verabredung (jeden anzuhupen gehört hier einfach zum guten Ton). Wir kochen tatsächlich kein einziges Mal selbst, obwohl in unserem super luxuriösen Haus, das wir im Moment ganz alleine bewohnen, ausreichend Platz wäre.

Ein besonderes Erlebnis für mich ist, dass ich in dem heimischen Familienrestaurant einen Tag mitkochen kann. Es gibt eine Vielzahl an leckeren Gerichten und ich bin damit betraut Tortillas con Pasta de Pollo (Tortillas mit Hühnchenfüllung) für den Abend vorzubereiten. Nach einem sehr schnippelintensiven Nachmittag und ordentlich Teiggewalke geht es an die Königsdisziplin: Tortillas aus kleinen Teigbällen in der Hand formen, hin und her klatschen, so einen perfekten Kreis formen und anschließend auf dem super heißen Ofen garen. Bei Berta Julia sieht das so einfach aus….

Motocrossausritt

Damit das Adrenalin auch hier nicht fehlt, so ganz ohne geht es offenbar nicht, werden wir am Sonntagnachmittag zum Familienausflug (also knapp 20 Personen) eingeladen. Jeder, der einer kleinen Motocross-Maschine habhaft werden kann, rast mit selbiger einen ziemlich holprigen Weg in die Berge hoch. Die anderen sitzen auf der Ladefläche eines Lasters und werden durchgeschüttelt. Oben angekommen wird über Sand und Sprungschanzen gewetteifert, wer höher, weiter, besser mit dem Moped springen kann – und natürlich weitergeschmaust.

In Santiago sind scheinbar alle mit einem Zweirad motorisiert und einige unserer neuen Freunde fahren sogar Rennen mit ihnen. Krass! Zu Übungszwecken trägt man normale Straßenbekleidung. Warum auch mit Helm oder Protektoren unnötig Ballast aufbauen? Ist ja auch viel zu warm!

Bis wir uns mal wiedersehen

Als es dann Zeit für uns wird aufzubrechen, bekommen wir nach einem langen Verabschiedungsmarathon einen Abschieds- und Reisesegen von Herzen. Und es fließen auf allen Seiten reichlich Tränen. Elder bringt uns mit seinem Töff zum Schluss noch an die Straße. Jetzt sind wir wieder allein on the road. Aber versprechen mussten wir in zehn Jahren wiederzukommen.

Es berührt mich sehr, dass Elder uns einfach vom Mittagstisch weg eingeladen hat und uns direkt in sein Leben integriert hat. Wir dürfen seine Familie und Freunde kennen lernen und werden sogar ein Teil der Dorfgemeinschaft. Ich fühle mich direkt heimisch. Elder nimmt sich sogar einen Tag frei, damit er Zeit mit uns verbringen kann. Wer würde das denn bitteschön daheim tun? Fremde einsammeln und für sie blaumachen? Elders schulterzuckender Kommentar dazu: „Freunde sind wichtiger als Geld.“

Herzlichen Dank an euch alle, die uns mit ihrer Gastfreundschaft so reichlich beschenkt haben! Wir sind froh, dass wir eine so wundervolle Zeit in eurem Kreise verleben durften. Es ist für uns etwas ganz Besonderes, direkt Teil einer so großen und herzlichen Gemeinschaft zu sein. El Dios los benediga.

Felicitas


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Sag heute jemandem, dass du ihn liebst – denn später könnte es zu spät sein!

Nach einigen Tagen des Grenz-Marathons von Guatemala über El Salvador und Honduras nach Nicaragua sind wir heute in Léon angekommen. Wir checken in einem Hostel ein und endlich gibt es wieder WiFi. Eine Internetverbindung und damit Kontakt zum Rest der Welt hatten wir wohl schon seit einer Woche nicht mehr.

Eine Nachricht trifft mich dann aber doch unvorbereitet – meine Oma ist gestorben. Nach der ersten Trauer kommen Schuldgefühle in mir auf. Das letzte Mal habe ich aus den USA mit ihr telefoniert und das auch eher oberflächlich. Es ist ganz toll hier, es geht uns gut, alle sind nett und gastfreundlich und auch das Wetter hier ist ganz hervorragend. Viel besser als in Kanada, da hat es nämlich fürchterlich geregnet. Das übliche Gelaber, wenn man nicht weiß, was man sagen soll. Seit dem schiebe ich einen weiteren Anruf – wie immer – vor mir her.

Mein Verhältnis zu meiner Oma hatte ich immer ein bisschen angespannt empfunden. Als guter Vorzeigeenkel sitze ich seit ich mich erinnern kann gerade am Tisch, esse brav meinen Kuchen, lausche der neusten CD ihres Lieblingsbaritons – und weiß nie so richtig, was ich mit ihr erzählen soll. Natürlich läuft in der Schule alles glatt, auch vom Studium und von der Arbeit wird es später nichts Auffälliges zu berichten geben.

Felicitas und ich besuchen sie ein letzte Mal vor unserer großen Reise im Altersheim. Wie es auf der Arbeit ist, wie es im Altersheim ist, wie das Essen hier ist, wo wir denn hinfahren wollen. Naja, ob man sich nochmal sieht, weiß sie nicht. Aber das sagt sie schon seit zehn Jahren.

Als ich heute aufgelöst auf die Nachricht auf meinem Display starre, weiß ich ganz genau, was ich ihr eigentlich hätte sagen wollen. Ich habe mich aber nie getraut. Und dafür schäme ich mich heute

Liebe Oma,

ich habe dich sehr, sehr lieb. Ich würde dich jetzt gerne noch einmal in den Arm nehmen und dir das sagen. Es tut mir Leid, dass ich es nie geschafft habe, dir ehrlich meine Gefühle zu zeigen und mit dir über die Dinge zu sprechen, die mich wirklich beschäftigen. Ich weiß so wenig von dir. Ich hoffe, dass du gut im Himmel ankommst und dass es dir gut geht. Bitte verzeih mir meine Unzulänglichkeiten.

Dein Andreas

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Mach dich frei!

Als wir uns unsere Weltreise ausgemalt haben, hatten wir uns einiges vorgestellt: Fremde Kulturen, epische Landschaften, kulinarische Köstlichkeiten. Wir wollten unser altes Leben hinter uns lassen und Neues ausprobieren. Unsere Grenzen überwinden und über uns hinauswachsen.

Was immer das auch sein könnte.

Dabei war dieses unser nächste Abenteuer allerdings definitiv nicht auf unserer To-Do Liste. Wenn uns jemand vor der Reise gefragt hätte, ob wir nicht mal ein paar Wochen mit Nackedeis über Kakteen springen wollen, hätten wir ihm ganz klar einen Vogel gezeigt.

Wie es dann doch dazu kam

Vor einigen Monaten trafen wir im Grand Canyon auf Motorrad-Rocker Ray und seine Freunde. Sie tourten auf ihren Schlitten durch die USA und genossen ihre Ferien mit einem gepflegten Road-Trip. Nach einem längeren Plausch über Hubraum und Harleys lud uns Ray kurzerhand zu sich nach Corona in die Nähe von Los Angeles ein.

Nun, er lebt allerdings in einem Nudisten-Resort. Ein Wohnwagen Park für nackte Menschen. Äh – sollen wir da wirklich hinfahren?

Bei der Vorstellung, nackt über einen Camping-Platz zu laufen ist uns gar nicht so richtig wohl. Sind Nudisten nicht alle komisch?

Klarer Fall von Vorurteilen und klarer Fall einer weiteren Chance, aus unserer Komfortzone zu treten und über unser Beschränkungen hinauszuwachsen. Auch wenn der erste Schritt zu dieser Erfahrung mit Sicherheit die größte Überwindung bisher gekostet hat.

Andere Zeiten, andere Sitten

Wie kommt es eigentlich, dass wir in unserer Kultur so skeptisch über unsere Körper denken? Dass wir alles bedecken wollen? Dass wir uns schämen, vor anderen nackt zu sein?

Die Geschichte zeigt, dass das nicht immer so war. Schaut man sich z.B. griechische Statuen an, gab es offensichtlich Zeiten, wo Körper und Nacktheit einen anderen Stellenwert hatten. Zeiten, in denen der nackte Körper verehrt wurde. Er wurde im Ringkampf gestählt, mit edlen Ölen und Salben gepflegt.

Grundsätzlich kann also nichts daran falsch sein, nackt zu sein. Auch nicht in der Öffentlichkeit. Trotzdem muss wahrscheinlich jeder bei der Vorstellung schlucken, jetzt nackt vor die Haustür auf die Straße zu treten.

Wir wollen dieser Frage auf den Grund gehen und uns dem Selbstversuch stellen. Was verändert sich, wenn alle nackt sind?

Make yourself comfortable – get naked!

Als wir nun tatsächlich einige Wochen später im Nudist-Resort Glen Eden aufschlagen, bekommen wir, wie jeder neue Gast, erstmal eine Führung über das weitläufige Gelände. Wo die Klos sind, der Pool und der Tennisplatz. Eigentlich völlig unspektakulär. Der einzige Haken an der Sache: Die Tour findet nackt statt. Ist halt ein Nudisten-Resort.

Manager Art gibt sich persönlich die Ehre, die weitgereisten deutschen Gäste in seinem Golf-Cart herumzuführen. Erster Halt: die Umkleidekabine. „Make yourself comfortable – get naked!“ sind seine Worte. In dem Moment kann ich mir kaum einen widersinnigeren Satz vorstellen.

Aber wir sind ja hier unterwegs, um uns unseren Ängsten zu stellen und über uns hinauszuwachsen. Manchmal muss man sich sein Motto einfach nochmal bewusst machen. Also raus aus den Hüllen, rein in die Freiheit!

Etwas frierend sitzen wir wenige Minuten später unbekleidet auf unseren Handtüchern in Arts Golf-Cart und fahren die örtlichen Sehenswürdigkeiten ab.

Glen Eden ist ein ziemlich großes Wohnwagen-Resort. Viele Bewohner haben hier einen vollausgestatteten Dauerplatz mit Veranda und Vorgarten. Ein paar Kanadier kommen sogar zum Überwintern.

Außer einem Bäcker gibt es hier alles, was das Herz begehrt. Neben diversen Sportplätzen gibt es eine Töpferei, eine Disco, eine Kantine, eine Bücherei, ein Second-Hand Geschäft. Alle paar Minuten treffen wir paradiesisch gekleidete Menschen, die uns zuwinken.

Art lässt es sich nicht nehmen uns auch gleich mit ein paar „Einheimischen“ bekannt zu machen, die zum Teil selbst deutsche Wurzeln haben. Wir scheinen eine kleine Attraktion zu sein, jeder interessiert sich für unsere Geschichte. Motorradweltreisende kommen hier wohl eher selten vorbei.

Die Gesamtsituation könnte skurriler nicht sein. Wir stehen nackt in einer Traube ebenfalls nackter Menschen und erzählen von unseren Abenteuern. Keinen der Umstehende scheint es auch nur im geringsten zu interessieren, dass keiner was an hat.

Ganz vorsichtig schleicht sich die Erkenntnis in unser Bewusstsein, dass es vielleicht wirklich egal sein könnte, keine Klamotten zu tragen. Es dauert dann aber doch noch einige Tage, bis wir nicht mehr darüber nachdenken.

Als Kind war es mir egal nackt zu sein

Bis dahin sinne ich darüber, was für mich eigentlich die Herausforderung darstellt, nackt zu sein.

Als Kind habe ich es Sommer geliebt, nackt im Garten unter dem Rasensprenger herumzutollen. Auch die Öffentlichkeit konnte meine Freude an Wasserfontänen nicht schmälern. Im Park rannten eigentlich alle kleinen Kinder nackt zwischen den Springbrunnen umher. Erwachsene haben das nie gemacht. Waren halt Erwachsene.

Schon wenige Jahre später hatte ich dann schon zumindest eine Unterhose an und noch ein wenig später fühlte ich mich ohne eine offizielle Badehose nicht mehr wohl vor anderen. Unterhose wäre schon peinlich. Nackt spielen? Unvorstellbar.

Wenn im Urlaub am Meer ein FKK-Strand in der Nähe war, machten wir als Familie immer einen Bogen darum herum. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht durfte man nicht einfach am Strand weiter zum Hotel laufen, wenn man selber Klamotten anhatte. Aber darüber habe ich mir als Kind natürliche keine Gedanken gemacht. Als Kind habe ich mir nur gemerkt: Da sind nackte Menschen, da gehen wir nicht hin.

Erziehung kann uns von uns selbst entfremden

Der erste Gedanke, der mir zu Nackt-Sein einfällt ist: Das macht man nicht. Das gehört sich nicht.

Immer wenn einem der Gedanke „Das macht man nicht, das gehört sich nicht“ durch den Kopf schießt, kann man davon ausgehen, dass es sich nicht um unsere eigene Meinung handelt. Wir handeln in diesem Moment entsprechend unserer Erziehung und unserer kulturellen Prägung die uns eingetrichtert hat, was man macht und was sich gehört.

Wir haben diese Glaubenssätze wahrscheinlich nie für uns hinterfragt. Wenn wir als Kind entgegen der Ansicht unserer sozialen Gruppe gehandelt hätten, wäre die Ablehnung zu schmerzvoll gewesen. Wir haben unsere Freiheit und unsere Freude unter einem Berg von Scham und Schmerz vergraben um sicherzustellen, dass wir nie wieder auch nur versuchen, diese kulturelle Regel zu brechen. Ganz egal, wie gerne wir mit 14 Jahren nackt in den Springbrunnen gesprungen währen. Oder mit 30.

Nackte Menschen sind authentischer

Die Bewohner von Glen Eden sehen das entspannt. Sie sagen: Es werden sowieso alle nackt geboren. Und irgendwie sehen ja doch auch alle gleich aus. Warum soll man dann so ein Aufheben darum machen? Sie genießen es und finden es normal, unbekleidet mit dem Hund Gassi zu gehen, zusammen zu essen und abends mit Bier und Grillgut am Lagerfeuer zu sitzen. Alle sind sich einig: Sie fühlen sich freier.

Wir lernen also einen Strauß Menschen kennen, die einfach sind, wie sie sind. Sie scheren sich nicht um Äußerlichkeiten. Es ist egal, welchen Job man hat, es ist egal, welches Auto man fährt. Es ist egal, wie viel Geld man hat. All das sieht nämlich keiner, wenn man nackt ist. Ich glaube, dass man authentischer ist. Authentischer sein muss.

Und das fühlt sich am Anfang eben auch so unbequem an, weil man sich selbst nicht hinter Äußerlichkeiten verstecken kann.

Überwinde deine Scham, um deine Freiheit zurückzugewinnen

Dass wir uns ob unserer Nacktheit schämen, ist offensichtlich kulturell und aus unser heutigen Zeit heraus geprägt. Doch zu erleben, dass es immer wieder anders Denkende gibt, bringt die gefasste Meinung ins Wanken. Auf einmal ist es doch okay, ohne Bekleidung herumzulaufen. Und nun?

Stellen wir uns nun als Gedankenexperiment vor, dass wir in einer beliebigen schambehafteten Situationen keine solche empfinden, sondern nur Neugierde. Neugierde darüber, was passiert, wenn wir uns anders verhalten als sonst und auch mal entgegen bestehender Konventionen.

Es ändert sich plötzlich die komplette Wahrnehmung. Wir entfliehen einstudierten Mustern und gewinnen neue Perspektiven und Freiheit. Das, was wir erleben, wird Teil einer Erfahrung. Zum Beispiel wird nackt mit anderen kochen auf einmal praktisch bei 30 Grad im Schatten.

Probiere es doch einfach mal aus. Wenn du über deine alten Klamotten hinauswachsen willst, dann lass sie mal für ein paar Tage im Schrank und begegne dir und anderen ohne Verkleidung.

Andreas & Felicitas


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Wer unterstützt dich bei deinen Träumen?

Vor ein paar Tagen komme ich völlig übernächtig von einem einwöchigen Fotografiekurs im Yosemite Nationalpark mit Sony Artisan Gary Hart.

Beim Abendessen unterhalten ich mich mit Felicitas über meine neue Leidenschaft – das Fotografieren. Dabei wird mir bewusst, dass ich heute ohne meine Frau niemals so fotografieren würde, vielleicht gar nichts von dieser, meiner Leidenschaft wüsste.

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Wer unterstützt dich bei deinen Träumen und hilft dir, über dich hinauszuwachsen?

Ohne meine Frau wäre ich heute nicht Fotograf

Ich würde irgendwas anderes machen, aber ich hätte etwas sehr Wichtiges in meinem Leben verpasst: etwas, das mir sehr viel Freude macht.

Als wir uns vor gut acht Jahren kennen lernten, stand ich kurz vor dem Aufbruch zu meiner ersten großen Weltreise. Für fünf Monate sollte es von China über Australien bis Neuseeland gehen.

Es war Felicitas, die mich dazu ermutigte, eine neue Kamera für diese Reise zu kaufen. Irgendwie ahnte sie wohl schon, dass mir Fotografieren Spaß machen würde. Viele Jahre später unterstütze sie mich auch dabei, für unser Weltenstromer-Projekt eine neue Fotoausrüstung zuzulegen.

Ich stand dem Schritt zu einer Systemkamera mit Wechselobjektiven zunächst nicht nur aus finanziellen Gesichtspunkten skeptisch gegenüber. Das neue Equipment würde auch ein Vielfaches größer und schwerer als meine bisherigen Kompaktkameras sein. 3000 neue Funktionen, bewaffnet wie ein japanischer Tourist, und was ist, wenn mir das Bilderknipsen am Ende doch keinen Spaß macht?

Seit wir unterwegs sind kamen dann noch Weitwinkelobjektiv, Tripod, diverse Filter, Programme zur Bildbearbeitung und zwei Fotokurse hinzu.

Du strahlst so, wenn du davon erzählst

Auf die Frage, warum sie mich immer dazu ermutigt hat, den nächsten Schritt zu tun, egal wie teuer dieser war und wie skeptisch ich ihm gegenüber stand, sagt sie nur: „Du strahlst immer so, wenn du davon erzählst.“

Wow.

Weibliche Logik kann bestechend einfach sein

Bist du dir deiner Freude bewusst?

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Wer holt dein volles Potential aus dir heraus?

Egal, ob wir gut im Kontakt mit unserem Herzen stehen oder nicht, die meisten Menschen strahlen Freude aus, wenn sie von ihrer Leidenschaften erzählen.

Interessanterweise scheint aber gerade das etwas zu sein, was uns nicht unbedingt bewusst ist. Mir war es jedenfalls in Bezug auf Fotografieren nicht klar.

Im Gegensatz dazu sind den meisten Menschen die Schwierigkeiten, ihren Herzenswunsch umzusetzen, SEHR wohl bewusst.

An dieser Stell der wöchentliche O-Ton zur Weltreise: „Oh, das ist so toll, was ihr macht, ich will das auch – aber: Arbeit, Kinder, keine Zeit, Haus, Katze, zu alt….“

Wer unterstützt dich bei deinen Träumen?

Also: Wer ist in deinem Leben, der die leise Freude deines Herzens hört und dich dabei unterstützt, „es einfach zu tun“? Auf all die Gründe zu scheißen und es einfach zu machen, weil es DICH glücklich macht? Wer spornt dich an, es anzugehen, wer motiviert dich, wenn du einen Durchhänger hast? Wer hilft dir, deine Widerstände zu überwinden?

Wer träumt mit dir und sieht dich bereits DORT?

Nun, wenn du DEIN volles Potential und DEINE Herzenswünsche leben willst, dann sprich mal öfter mit dieser Person!

Ich wünsche dir von Herzen den Mut, alle nötigen Schritte bis zur Umsetzung zu gehen.

Andreas


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Zu Gast bei Indianern

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir endlich einen Kontakt zu den amerikanischen Ureinwohnern bekommen haben.

Immer, wenn wir unterwegs gefragt haben, ob jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der uns mit Indianern bekannt machen könnte, bekamen wir die selbe Antwort: Fahrt nicht in die Reservate, da ist es nicht sicher, kein guter Ort für Weiße.

Die Ausführungen machen uns zunehmend bestürzt, schließlich haben wir Deutschen dank Karl May und der legendären Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand offenbar eine sehr romantisierte Vorstellung über das Leben im Wilden Westen.

Wounded Knee Massacre

Um einen besseren Eindruck jenseits der Romanwelt zu gewinnen, besuchen wir auf unserem Weg aus den Badlands das Wounded Knee Museum in Wall, South Dakota. Es zeichnet ein tragisches Bild eines von vielen Massakern, bei denen 300 praktisch unbewaffnete Indianer, Männer, Frauen und Kinder von der siebten Kavallerie abgeschlachtet wurden. Die Überlebenden, einst stolze Krieger und Jäger, die über Jahrtausende im Einklang mit der Natur gelebt haben, werden, wie so viele andere amerikanische Ureinwohner, in Reservate gesteckt und einem westlichen Lebensstil unterworfen.

Aber auch die Indianer sind kein unbeschriebenes Blatt. Vierzehn Jahre vor dem Massaker haben sie bei der Schlacht am Little Bighorn die siebte Kavallerie kräftig auseinandergenommen.

Wir haben einen ziemlichen Kloß im Hals, als wir das Museum verlassen. Wir schämen uns für unsere weißen Brüder und all das Unrecht, das geschehen ist und scheinbar immer noch geschieht. Gold, Öl, Großwild und Größenwahn haben wohl in unserer Geschichte schon immer ausgereicht, um andere Menschen zu töten und ihren Lebensraum zu zerstören.

Doch all das ist schon über 150 Jahre her. Wie sieht das Leben heute aus?

Die Einladung ins Wind River Reservat

Wir reisen weiter. Schließlich, am Devil’s Tower, Wyoming, treffen wir auf Zita. Wir dürfen unser Zelt in ihrem Garten für die Nacht aufstellen. Als wir am nächsten Tag zum Frühstück eingeladen werden, stellt sich heraus, dass sie tatsächlich einen Indianer kennt. Er heißt Cleve, lebt in Lander und ist Kunstlehrer an der Schule im Wind River Reservat! Was lange währt…

Cleve und LeannZwei Tage später erreichen wir Lander, nachdem wir eine Nacht am Medicine Wheel in den Big Horn Mountains verbringen. Cleve, seine Frau Lee Anne und ihr lustiger Chau Oso mit Unterbiss heißen uns willkommen und wir dürfen für zwei Wochen Gäste in ihrem Holzhaus sein.

Am Abend gibt es erstmal selbstgejagten Elk (Wapiti Hirsch) für die ausgezehrten Motorradreisenden. Da es sich dabei um SEHR ausgewachsenes Großwild handelt, ist die Zubereitung eine mehrtägige Kochkunst, bis man den Vogel überhaupt kauen kann. Wir preisen Jäger und Köchin und langen zu wie lange nicht mehr, so gut schmeckt der Hirsch.

Wir erzählen von unserer Reise und unserem Anliegen, mehr über die Indianer und ihr heutiges Leben zu erfahren. Cleve verspricht uns, dass uns nicht langweilig werden wird.

Pow Wow in Arapahoe

Unser erstes Erlebnis im Reservat, zu dem Cleve und Lee Anne uns mitnehmen, ist ein Pow Wow, eine Art Tanzfestival, bei dem indianische Tänzer, Männer, Frauen und Kinder von überall herkommen, um in verschiedenen Disziplinen gegeneinander anzutreten.

Da im Reservat der Tag nach Indian Time geplant wird, passiert erstmal gar nichts. Als wir nach europäischer Zeitrechnung schon eine gute Stunde zu spät ankommen, sind alle in Seelenruhe damit beschäftigt, ihre Kostüme herzurichten. Am späten Nachmittag füllen sich dann langsam die Reihen. Erstes Getrommel ist zu hören und der Showmaster schließt die Technik an.

Als dann die Sonne fast untergeht kommt plötzlich Leben in die Truppe. Zu traditioneller Trommel und Gesang laufen die Tänzer ein – ein unbeschreibliches Schauspiel aus Charakteren und farbenfrohen Kostümen.

Schwitzhütte mit Hooter

In Belgien habe wir bereits schon mehrere schamanische Schwitzhütten besucht. Umso begeisterter sind wir, dass uns Cleve zu einer „echten“ Schwitzhütte bei seinem Freund Hooter einschleust. Wir fühlen uns sehr geehrt, sind wir doch die einzigen Weißen bei dieser Zeremonie.

In völliger Finsternis garen wir mit unseren indianischen Gastgebern in der Glut der Steine. Gesänge, Räucherwerk, Gebetsrunden, Aufgüsse und medizinische Getränke wechseln sich ab. Der große Geist durchströmt unsere Körper.

Als wir irgendwann in der Nacht nach vier Stunden wieder ins Freie torkeln, sind wir beseelt von der Freundschaft unserer Roten Brüder und Schwestern und ihrer Verbindung zu Großmutter Erde.

Indianischer Kunstunterricht

Kunstlehrer Cleve lässt sich nicht lumpen und reiht uns in die Bänke seiner Schüler ein. Thema heute: Tierschädel malen. Vor uns liegen diverse ausgeblichene Bisonschädel, jeder bekommt Zeichencarton und weiße sowie braune Kreide. Cleve doziert die Vorgehensweise: Malt die hellen und die dunklen Formen und dann, plötzlich, wird der Schädel auf eurem Papier erscheinen.

Nun, in der ersten Kunststunde erscheint was anderes auf unserem Papier, nachdem wir fleißig mit den anderen Indianerschülern helle und dunkle Formen gezeichnet haben. Nach Bisonschädel sieht das jedenfalls nicht aus. Cleve ist gnädig und prophezeit, dass Practice den Meister macht.

Da wir heute nur Kunstunterricht haben, sitzen wir auch mit den nächsten beiden Klassen bei funzliger Beleuchtung im Atelier der Wind River High School und hören Cleve’s Carlos Santana Platten, während wir helle und dunkle Formen auf Carton malen.

Und dann, plötzlich, erscheint der Schädel auf Papier! Wir sind stolz wie Brötchen, dass wir nach indianischen Gesichtspunkten doch nicht völlig talentfrei sind. Der Blutsbruderschaft steht nichts mehr im Weg. Man muss halt üben!

Weltenstromer Reisevortrag in der Wind River Elementary School

Jedenfalls sind Cleve’s Schüler sehr neugierig auf uns geworden. Mit dem Motorrad um die Welt zu fahren begeistert alle.

Cleve drängt uns, in der Schule einen Vortrag am Freitagnachmittag über unsere Reise zu halten. Wie wir über den Tellerrand hinauszublicken, unsere Ängste überwinden und unserem Herzen folgen.

Wir haben also noch zwei Tage Zeit, unseren ersten Reisevortrag aus dem Boden zu stampfen. Es sollte schließlich auch nicht langweilig werden, wie Cleve uns ja eingangs ankündigte. Wir sehen unsere Fotos durch und basteln den Plot um unsere spannendsten Erlebnisse auf dieser Reise. Wie wir in New York ankommen, Doris uns in Amerika willkommen heißt und uns mit den Amish People bekannt macht, wie wir uns vor Kojoten und Bisons fürchten. Und wir erzählen von der unglaublichen Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, die uns überall begegnet.

Als wir wegen Indian Time den Vortrag dann am Freitag in der Turnhalle spontan doch um die Hälfte einkürzen müssen, schauen uns fünfzig Paar begeisterte braune Augen an. Unser erster öffentlicher Auftritt ist ein voller Erfolg. Kinder und Lehrer schütteln uns die Hände, Fotos werden gemacht.

Friedensarbeit

Die nächsten Tage verbringen wir leise und denken über unser Leben nach. Immer wieder kommen wir zu dem Schluss, wie wichtig es ist, dass wir endlich begreifen, dass alle Völker auf dieser Erde friedlich zusammenleben und lernen, einander zu bereichern. Weiße sind gut darin, sich technischen Kram auszudenken, Rote sind gut darin, Harmonie mit der Erde herzustellen. Wer kann sagen, dass das eine besser sei als das andere? Wir können sagen, dass beides einander bedingt. Beide können voneinander lernen und sich helfen. Und nur so kann unser blauer Planet gerettet werden.

Wir werden von Bill und Joann zu einer Friedenspfeifen Zeremonie anlässlich des Attentats auf die Twin Tower in New York am elften September 2001  eingeladen. Im Kreis von Roten und Weißen wandert die Friedenspfeife von Hand zu Mund. Unsere Herzen beten für den Frieden in der Welt und dass die Menschen endlich verstehen, dass sie jeden Krieg immer nur gegen sich selbst führen.

Nach zwei intensiven und bewegenden Wochen machen wir uns wieder auf die Räder. Im Yellowstone Nationalpark soll jeden Moment der erste Schnee fallen und wir wollen diese Landschaft, die einst der Lebensraum der Indianer war, auf jeden Fall noch sehen. Wir verabschieden uns von Cleve, Lee Anne und Oso.

May peace become our presence.

Ahough.

Andreas


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Über Beruf und Berufung

Zur Freude und Erholung besuchen wir in Madison Thomas, Andreas‘ Freund aus Schulzeiten, mit dessen Familie. Es ist ein bisschen skurril, die Heimat in der Fremde anzutreffen und gleichwohl ist es sehr schön.

Thomas ist Physiker und erforscht Teilchen in der kosmischen Strahlung mit ziemlich krassen Teleskopen. pSCT ist das eine Teleskop, was in Arizona gebaut wird. Damit sucht er nach hochenergetischer Gamma-Strahlung. Das andere heißt ARA und ist ein Teleskop am Südpol. Damit möchte er hochenergetischen Neutrinos finden. (Jetzt muss ich wohl zugeben, dass mir Thomas das so gemailt hat. Ich hab mir nur gemerkt, dass er blaue Blitze erforscht und ins Packeis in der Antarktis  guckt…. Sieh dir lieber die Seiten für genaue Details an.)

Auf mich wirkt er insgesamt so, als hätte er seine Berufung gefunden. Mal ehrlich, warum wollte man denn sonst versuchen, blaue Blitze zu fotografieren, die sonst nicht ohne weiteres sichtbar sind, und Monate lang am Südpol in Eiseskälte und Dunkelheit mit nur Pinguinen als Gesellschaft verbringen? Das war der erste Impuls in Madison zum Thema Beruf und Berufung.

Der zweite folgt bei Elspeth und Bruce, den Nachbarn von Thomas. Hier verbringen wir nämlich zwei volle Wochen, da Andreas einen Fotokurs besuchen will, Thomas und dessen Familie aber in den Urlaub fährt und deren Vermieterin keine Fremden im Haus haben will.
DSCF2632_1024Diese Konstellation stellt sich wahrlich als glückliche Fügung heraus. Das Motorrad kann hier von seinem Wasserschaden repariert werden und wir kommen in den Genuss von Elspeths Kochkunst. In ihrem Berufsleben war sie nämlich professionelle Köchin und hat eine hungrige Meute in einer Studentenverbindung für gut 20 Jahre durchgängig verpflegt.

Zwei Wochen lang bekochen wir uns nun allabendlich gegenseitig – selbstverständlich DSCF2766_1024stets mit mindestens drei Gängen – und philosophieren beim Dinner im Garten. Mal eben so kredenzt Elspeth Artischocken in Zitronenbutter, Lammrippchen vom Grill, krosse Kartoffeln aus dem eigenen Garten, Schweinebraten mit Juice oder selbstgebackenes Sauerteigbrot und Müsliecken zum Frühstück.

Tagtäglich steht sie in der Küche und komponiert köstliche Menüs mit Leidenschaft, Freude und Liebe. Dazu serviert sie in goldenen Tassen Espresso. Ich fühle mich wie im kulinarischen Himmel. Das ist der Impuls Nummer zwei zum Thema Berufung. Die Fragen drängen sich förmlich auf:

Was habe ich für Fähigkeiten?
Was mache ich gerne?
Und wie gestalte ich daraus einen Beruf, der Berufung zugleich ist? Also etwas, dass nicht nur mir, sondern auch anderen zugute kommt? Etwas, dass die Welt ein bisschen freudvoller, schöner und besser macht?

Wie oft quält man sich durch den Arbeitsalltag, steuert konstant auf den Feierabend und das Wochenende zu, nur um sich von der Woche erholen zu können. Doch von Weiterentwicklung oder Mehrwert für den nächsten ist hier selten die Rede. Kann das schon alles gewesen sein? Arbeit, Fernsehen, Schlafengehen. Und morgen wieder dasselbe?

Nein, nicht auf Dauer. Zwischenzeitlich ist das völlig in Ordnung, um Rechnungen zu begleichen oder sein Butterbrot zu finanzieren. Doch gleichwohl bin ich mir sicher, dass wir Menschen nicht auf der Erde sind, um nur herumzudümpeln, um irgendetwas zu tun.

Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass wir hier sind, weil es einen Sinn gibt und jeder die Aufgabe hat, diesen für sich herauszufinden und nach dessen Erfüllung zu streben. Im Idealfall treffen hier Beruf und Berufung aufeinander.

Felicitas


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Wie ich zu meiner Ukulele gekommen bin

Nach ein paar schönen Tagen entlang des Mississippi sind wir wieder einmal auf der obligatorischen Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Hinter Red Wings biegen wir nach Südwesten ab, in Richtung der Badlands, die uns als nächstes großes Reiseziel vorschweben. Wir fahren durch ein malerisches Tal, das nach beiden Seiten mit Hügeln gesäumt ist, als wir eine große Scheune mit irischen Buchstaben und eine riesige Wiese mit alten Bäumen und einem Weinberg erblicken.

In der Einfahrt treffen wir auf den weißbärtigen Gary, der uns ohne Umschweife gestattet, oben auf der Wiese unser Zelt für die Nacht aufzustellen. Wir tun wie geheißen und genießen den weiten Ausblick und den Sonnenuntergang beim Abendessen vor unserem Campingkocher.

Als es dunkel wird, werden wir noch zu Kuchen und Wein von Gary und seiner Frau Eve ans Lagerfeuer unter Sternenhimmel geladen. Es sind noch weitere Gäste da und wir unterhalten uns prächtig. Auf die Frage nach den irischen Buchstaben auf der Scheune stellt sich heraus, das Gary und Eve einen Instrumentenladen Namens Hobgoblin Music betreiben und ihre Spezialität der Bau von Harfen ist. Natürlich wollen wir sofort, dass uns jemand am Lagerfeuer auf einer Harfe vorspielt.

Als wir die Intrumente holen, habe ich Gelegenheit einen Blick in das Geschäft zu werfen und darf mir für das Lagerfeuer noch eine Ukulele aussuchen. Ich zupfe an den Saiten der ausgestellten Instrumente und probiere mit ein paar Ackorden die Bundreinheit, bis ich eine Ashbury T80 in mein Herz schließe. Welch ein wunderbares Instrument! Ich habe noch nie auf so einer edlen Ukulele gespielt. Ich habe das Gefühl, dass sie es ist, die mich ausgesucht hat. Wieder am Lagerfeuer beginnt eine sphärische Jamsession mit Harfen – und einer Ukulele.

Am nächsten Tag besichtigen wir die Instrumentenwerkstatt. Gary und Eve erklären uns die Harfen und wir dürfen bei der Arbeit zusehen. Im Verkaufsraum probieren wir verschieden Harfen aus. Es ist beeindruckend, wie viele verschieden Instrumente hier hergestellt werden.

Später werden wir noch zum Abendessen mit Familie und Freunden eingeladen. Wir lernen Marian kenne, eine redselige ältere Dame mit Hut, die zwar laut eigenen Angaben nicht viel sieht und sich auf die Augen-OP nächste Woche freut, dafür aber leidenschaftlich zeichnet (unter viel kritischem Protest hat sie uns beide portraitiert!). Als wir später alle zusammen am Lagerfeuer sitzen, drückt mir Gary die Ukulele wieder in die Hand und bittet mich, zu spielen.

Marian ist sichtlich angetan und erzählt von ihrer Instrumentensammlung und ihren Gitarren, dass sie aber mit ihren alten Knochen die Griffe nicht gut hinkriegt. Ich frage sie, ob sie schonmal Ukulele gespielt hat. Schließlich sind die Griffe im Vergleich zur Gitarre viel einfacher. Ich reiche ihr das Instrument. Mehr aus Juks beginne ich ein Verkaufsgespräch. Da ich die Ukulele wirklich mag, fällt es mir nicht schwer ihre Vorzüge zu preisen. Und da sie gleichzeitig in der deutlich gehobenen Preisklasse spielt, amüsiert das Verkaufsgespräch um so mehr.

Etwas überrascht und gleichzeitig bestürzt liege ich nachts im Schlafsack, als Marian das gute Stück am Ende des Abends tatsächlich gekauft hat. Ich könnte stolz sein, aus dem Stand ein so edles Instrument verkauft zu haben. Tatsächlich fühle ich mich irgendwie leer. Als hätte ich einen Freund verhökert. Aus Spaß.

Das Gefühl wird noch verworrener, als Gary und Eve am nächsten Morgen zu unserer Abfahrt vor unserem Zelt stehen und mir mit den besten Wünschen einen schwarzen Plastiksack überreichen. Als ich auspacke, bin ich schier sprachlos. Es ist eine zweite Ukulele aus der gleichen Baureihe. Ich hatte sie im Geschäft hängen sehen. Sie wollen Sie mir schenken als Erinnerung. Gary und Eve verabschieden sich, weil sie in die Stadt müssen.

Ich sitze in meinem Campinghocker vor dem Zelt und zimble hin- und hergerissen auf dem Instrument. Ich habe mir immer eine Ukulele gewünscht für die Reise, weil sie im Vergleich zur Gitarre so schön klein ist und gut auf einem Motorrad transportiert werden kann. Vor Reiseantritt habe ich manche Stunde in Musikgeschäften zugebracht und alle möglichen ausprobiert. Nur hatte ich bisher keine gefunden, die mir wirklich gefiel. Bis auf die, die ich gestern Marian verkauft habe. Ich komme mir vor wie ein Teenager, der die Liebe seines Lebens mit einem anderen davonziehen sieht.

Heute gibt es noch einen Ukulelenworkshop bei Hobgoblin Music. Da wir nichts besonderes vorhaben, gehen wir hin. Felicitas leiht sich noch schnell ein Instrument aus dem Geschäft aus und lernt mal eben die Grundakkorde. Wir klampfen mit einer Gruppe Enthusiasten aus einem Liederbuch einschlägige Gassenhauer auf vier Saiten. Während sich alle wie die Schneekönige freuen, zupfe ich unmotiviert an den Saiten herum. Lust mitzusingen habe ich auch nicht.

Dann taucht plötzlich Marian auf, ihre Ukulele in der Hand. Sie will sie heute bezahlen, weil gestern Nacht das Geschäft schon geschlossen war. Schlagartig fährt Leben in mich. Ich bitte Marian, ob ich nicht noch einmal auf ihrer Ukulele spielen dürfte. Und obwohl es das gleiche Instrument ist wie das, welches ich heute morgen geschenkt bekommen habe, ist für mich klar, dass es diese Ukulele ist, die ich unbedingt spielen möchte. Ich flehe Marian an, ob sie nicht vielleicht doch die andere Ukuele kaufen könnte. Sie zögert und mustert kritisch das zweite Instrument. Dann sagt sie, dass sie wahrscheinlich eh nie so gut spielen könne wie ich und dass sie fände, dass ich die bessere Ukulele haben solle.

Völlig aufgeregt und voller Freude und Dankbarkeit falle ich der alten Dame um den Hals. Jetzt habe ich „meine“ Ukulele wieder!

Andreas


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Rollenbilder ohne Zwist – zu Gast bei den Amish People (#3)

Drittes C: Childen and Family

Traditionelle Aufgabenverteilung der Erwachsenen

Die Familien leben in mehreren Generationen zusammen. Oft in verschiedenen Häusern auf einem Gehöft. Der Gedanke ist, dass die Alten von der jüngeren Generation gepflegt werden.

Männer und unverheiratete Frauen gehen einer Arbeit nach. Das können Bereiche sein wie z.B. Pferde- und Viehzucht, Farmer, Käseherstellung. Wayne hat seine eigene Firma Pioneer Equipment gegründet und dort werden Wagen und Ackerbaumaschinen, die von Pferden gezogen werden, von knapp 50 Mitarbeitern hergestellt, beworben und vertrieben.

Ehefrauen und Mütter sind zumeist für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig. Sie kochen von früh bis spät äußerst lecker, wie wir feststellen dürfen. Die Kindererziehung ist eine Lebensaufgabe. Bei durchschnittlich sechs Sprösslingen auch kein Wunder. Mary und Wayne haben sogar zwölf Kinder und aktuell 35 Enkel.

Kleiner Exkurs zur Kleidung

Auch die Kleidung ist traditionell, trägt zum Gemeinschaftsgefühl bei und ist an der Heiligen Schrift orientiert. Mode, Schmuck und auffällige Schnitte spielen keine Rolle, da sie den einzelnen in den Mittelpunkt stellen. So tragen alle die selbst hergestellte Tracht: Frauen und Mädchen einfarbige Kleider, manchmal farblich passende Schürzen und weiße Hauben. Die Hauben rühren von einer Bibelstelle, die besagt, dass Frauen ihr Haar bedecken sollen. Männer und Jungen kleiden sich mit Hemden, Hosen mit Hosenträgern und häufig einem Strohhut. Verheiratete Männer erkennt man übrigens am flauschigen Bart.

Aufgaben der Kinder

Kinder kümmern sich schon in jungen Jahren um ein Tier – ein großes wie eine Ziege, einen Hund oder ein Pony, nicht so was kleines wie ein Meerschwein. So soll Verantwortung gelernt werden. Unsere kleinen Freunde sind sogar selbständig mit Gewinnerzielungsabsicht mit der Ahornsirupproduktion oder der Ausbildung von Ponys und Pferde zum Reit- und Zugtier betraut. Louis (13) sagt zum Thema Arbeit, dass er zwar andere Sachen lieber macht, der Rasen aber trotzdem gemäht werden will. Also macht er das eben zuerst.

Schule gibt es bis zur 8. Klasse. Berufe, die einen Colledgeabschluss erfordern, kommen bei Amish People daher nicht in Betracht. Das würde dem einfachen Leben, dem sie sich verschrieben haben, widersprechen. Trotzdem erklären uns die Kinder, dass sie bereits über ihren Berufsweg nachdenken und Arbeit finden werden, die ihren Interessen entspricht – Farmer, Handwerker, Pferdezüchter…

Wir sind überrascht: Alle Kinder wirken trotz der vielen Arbeit zufrieden. Keines sitzt gelangweilt in der Ecke  herum, wirkt traurig oder aggressiv. Im Gegenteil, alle gehen ihren Aufgaben nach, haben trotzdem genug Zeit miteinander zu spielen und sind ab einem gewissen Alter Gesprächspartner von Themen wie Berufswahl, Glaube, Pferdezucht.

Woran liegt das? Wir haben nur Erinnerungen daran, dass nie irgendwer als Kind gerne die Spülmaschien ausräumen, den Müll runterbringen oder den Kaninchenstall sauber machen wollte. Und hier wissen die Kinder, welche Arbeit getan werden muss und teilen sie sich ein. Vielleicht liegt es daran, dass keiner nur mit einer einzelnen Aufgabe wie dem Abwasch betraut ist, sondern für ein eigenens, wichtiges Projekt verantwortlich ist.

Möglicherweise ist der Grund auch, dass die gesamte Gemeinschaft mehr oder minder demselben Tagesrhythmus folgt, alle konstant beschäftigt sind und sich keiner durch den Tag schlunzt und faulenzt. Das steckt dann wohl einfach an.

Rollenbild trifft Identität

Kleidung gleich, Tage gleich, Gemeinschaft im Vordergrund. Rollenbilder sind klar verteilt. Das schafft Halt und Sicherheit in einer Zeit, in der es sonst so viele Unwägbarkeiten, Zweifel und Herausforderungen gibt. Männer, Frauen und Kinder wissen genau, wie sie als Mann, Frau oder Kind zu sein haben, was sie im Leben erwartet. Männer gehen arbeiten, geben den Ton an (sowohl im Alltag als auch beim Singen), Frauen gestalten den Rahmen, das Heim, erziehen die Kinder (dürfen aber kein Geschäft gründen oder in den Kirchenchor), Kinder helfen bei der Arbeit mit.

Basierend darauf stellt sich die Frage nach der eigenen Identität und Qualitäten bei den Amsih People vermutlich etwas anders als in deinem und meinem Alltag.  Jeder weiß, wer in der Gemeinschaft üblicherweise welche Aufgaben übernimmt und welche das sind. Also findet jeder seinen Platz und füllt diesen selbstverständlich und mit Freude aus.

Und was heißt das jetzt für mich?

Einen Platz, eine Rolle für sich zu finden, die einen ausfüllt und glücklich macht, ist manchmal nicht so einfach, weil so viele unterschiedliche Lebens- und erziehungskonzepte aufeinanderprallen und man das für sich richtige herausfinden muss – und es lohnt sich unabhängig davon, wie es im Endeffekt aussieht: Traditionell, unkonventionell, abenteuerlich, konservativ, alternativ, streng, laissez-faire…

Welche Rolle fülle ich aus und aus welcher bin ich herausgewachsen?
Worüber definiere ich mich (auch einmal unabhängig von Geschlecht und Arbeit betrachtet)?
Worauf lege ich Wert bei der Erziehung meiner Kinder?

Felicitas


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Schmeiß das Ego über Board – zu Gast bei den Amish People (#2)

Zweites C: Community

Sozialkontrakt

Die Amishe Gemeinde ist eine starke Enklave im amerikanischen Staat, die von ihrem Zusammenhalt lebt. Der christliche Glaube ist die Grundlage für das Gemeinschaftssystem. Der amerikanische Staat erhält zwar die Steuern, doch die Amish People agieren so weit dies geht autonom von diesem. Es werden z.B. keine Unterstützungen von diesem angenommen. Im Krankheits- oder Schadensfall kommt die gesamte Gemeinde für den Hilfsbedürftigen auf.

Wayne und Mary berichteten uns dazu, dass einmal ein Feuer das Haus einer Familie zerstört hat. Alle Nachbarn eilten sofort zur Hilfe und begannen mit dem Aufräumen als die Asche noch glühte. Aus dem ganzen Bundesstaat kamen alsdann andere Amish People zur Unterstützung. Innerhalb von drei Monaten war das Haus komplett neu aufgebaut, eingerichtet und bezugsfertig.

Auch für kleinere und größere Alltagssorgen findet jeder in der Gemeinschaft Hilfestellung. Man wendet sich bei Herausforderungen an den Priester – Glaubenskrise, Geldnot, Eheprobleme, Kindererziehung, was auch immer. Es wird eine Supportive Group eröffnet, die sich aus mehreren erfahrenen Ehepaaren zusammensetzt und sich regelmäßig trifft. Auf diese Weise plagt sich keiner alleine mit seinen Nöten herum, gewinnt neue Perspektiven und erfährt Rückhalt.

In keinem der Fälle wurde von irgendwem Gegenleistungen oder Zahlungen erwartet. Es ist für die Gemeinschaft selbstverständlich, füreinander da zu sein. Es ist wie ein Gesellschaftskontrakt: Ich weiß, dass die Gemeinde sofort ohne Einschränkung für mich einspringt, wenn ich dringend Hilfe benötige. Gleichzeitig verspreche ich dasselbe ohne Wenn und Aber für meinen Nächsten zu tun.

Arbeitsleben

Wie Gemeinschaft in Waynes und Marys Familie und deren Umfeld gelebt wird, ist  etwas Besonderes und Berührendes, denn jede Begegnung ist geprägt von aufrichtiger Herzlichkeit. Die Menschen interessieren sich wirklich füreinander und hören sich zu, dreschen keine leeren Phrasen. Das gilt sogar für das Arbeitsleben

Bei Waynes und Marys Gemeinde ist der Tag lang. Das Tageswerk beginnt um 6:00 – damit ist der Arbeitsstart gemeint. Lunch um 11:30, Supper und Arbeitsende um 17:00, weiter Werkeln, mit der Familie zusammensitzen und austauschen, 22:30 Schlafen. Sechs Tage die Woche. Am Sonntag gehen alle zur Messe (drei Stunden Gottesdienst auf dem Gelände einer Familie) und treffen sich im Anschluss.

Als wir berichten, dass in unserer Arbeitswelt häufig die Ellenbogen ausgefahren werden, um die Kollegen zu übertrumpfen, besser dazustehen und erfolgreich weiterzukommen, stößt dies bei den Amish People auf Verwunderung und Bestürzung. Hier zählt jeder gleich viel. Jeder versucht seiner Tätigkeit mit Freude nachzugehen und so ein für alle gutes Gesamtergebnis zu erreichen. Da alle so handeln, herrscht ein friedvolles, harmonisches Arbeitsklima. Und das, obwohl die Familienväter mit ihrem Einkommen für ihre Lieben (durchaus mindestens acht Personen) die Verantwortung tragen. Stell dir das mal vor! Du gehst zur Arbeit und es ist kein Kampf, sondern ein Miteinander.

Wayne sagt ganz klar, dass der einzelne sein Werken in den Dienst der Gemeinde stellen soll. Geht es der Gemeinde gut, geht es dem einzelnen gut. Ziel ist es eben nicht, mit allen Mitteln durchzusetzen, dass ein Ich im Rampenlicht steht, der Hecht im Karpfenteich zu sein und von allen Seiten bewundert zu werden. Es ist das höchste Bestreben, sein Leben nach Gottes Wort in Bescheidenheit und Selbstlosigkeit auszurichten.

Schmeiß das Ego über Board

Die Vision eines erfüllten, friedvollen Lebens in einer harmonischen Gemeinschaft, wo jeder an den anderen denkt, finde ich persönlich reizvoll. Gleichzeitig heißt das jedoch auch die Aufgabe von persönlichen Freiheiten oder Unterschieden, da ich mich ja für das Gelingen in den Gesamtkontext einordne. Das ist ein bisschen so wie mit den Ameisen. Jede hat ihre konkrete Aufgabe zum Wohle aller zu erfüllen. Da kann keine aus der Reihe springen, sonst geht im schlimmsten Fall der ganze Staat den Bach runter, wenn z.B. plötzlich nicht genügend Nahrung da ist, weil eine Gruppe heute mal keinen Bock hatte, weite Strecken zu gehen und schwere Krumen zum Bau ranzukarren.

Wie wäre also eine Kombination für uns, die nicht in einer so engen Gemeinschaft leben: Ich achte darauf, dass mein Verhalten zumindest keinem anderen schadet – sowohl in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, global gesehen – richte es sogar zum Wohle der Gesamtheit aus ohne mich selbst darum gleich verlieren zu müssen. Als Beispiel: Wertschätzung anderen Lebewesen gegenüber oder simpel seinen Müll nicht einfach irgendwo rumliegen lassen, sind meines Wissens nach zumeist einfach und intuitiv umsetzbar und machen gleichzeitig das Leben im Kleinen wie im Großen angenehm für alle Beteiligten.

Und was heißt das jetzt für mich?

Wann habe ich das letzte Mal einem anderen mit meiner vollen Aufmerksamkeit zugehört?
Wann habe ich zuletzt einen Kollegen gut vor dem Chef dastehen lassen?
Wann habe ich jemandem bei etwas geholfen, ohne dass ich etwas dafür verlangt habe (auch nicht unbewusst)?

Im nächsten Artikel schauen wir uns die Gemeinschaft in der Familie genauer an.

Felicitas


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Was im Leben zählt – zu Gast bei den Amish People (#1)

Stippvisite in eine andere Welt

Knapp eine Woche sind wir von Strom, Internet, Hektik abgekoppelt. Eine unglaubliche Ruhe und Freude erfüllt uns. Für Amish People ist das keine Besonderheit, sondern Alltag. Ihr Leben dreht sich um ganz andere Themen nämlich Glaube, Gemeinschaft und Familie und das scheint glücklich zu machen.

Wir sind zu Gast bei Wayne, Mary und ihrer Familie. In Mary finden wir die gute Seele des Heims und in Wayne jemanden, der Dingen auf den Grund geht. Oft müssen wir wirklich überlegen, was wir auf seine Fragen antworten können. Gleichzeitig dürfen wir ihn mit unseren löchern. Glücklicherweise ist Wayne ein geduldiger und vor allem sehr guter Erklärer.

Nun versuchen wir ein bisschen von dem zu vermitteln, was er uns mitgeteilt hat. Allerdings möchte ich direkt anmerken, dass ich während des Schreibens des Abends Tolstoi gelesen habe. Das hatte vermutlich einen Einfluss auf Artikellänge, Inhalt, Ausschmückungen.

Die drei C’s

Die Amish People folgen einem Leben, das nur ansatzweise etwas mit dem zu tun hat, was wir damals in der Schule im Englischunterricht gehört haben. Amish zu sein, heißt zwar tatsächlich ohne Strom auszukommen (Haus und Hof werden mittels Gaslicht oder batteriebetriebenen, tragbaren Leuchten erhellt, ein Kühlschrank läuft ebenfalls mit Gas), traditionelle Tracht zu tragen und in vielen Fällen als Farmer zu arbeiten. Doch wir dürfen erfahren, dass es vielmehr bedeutet, seinen Fokus auf das Miteinander und die Gemeinschaft zu richten, das, was der Gemeinschaft nicht gut tut, zu unterlassen und füreinander da zu sein.

Insgesamt fußt das Leben der Amishen Gemeinde auf den drei C’s: Church, Community und Children (eigentlich family). Das erinnert mich ein bisschen an die drei K’s der Deutschen: Kirche, Küche, Kinder. Nur mit dem Unterschied, dass sich die K-Aufzählung auf das 50er Jahre Rollenbild deutscher Frauen bezieht und die C-Aufstellung für alle Amsihen gilt. Traditionsorientiert sind jedoch beide gleichermaßen.

Doch schauen wir uns die Church (Kirche), Community (Gemeinschaft) und Children bzw. family (Kinder und Familie) etwas genauer an! In diesem Artikel geht es um das erste C, die Kirche.

Erstes C: Church

Glaube und Historie

Im Zentrum des Lebens der Amish People steht schlicht und ergreifend der Glaube an Gott und Jesus. All ihr Streben, ihr Alltag, die Frage nach dem Warum findet hier ein Ziel, eine Antwort.

Unser Gastvater Wayne erklärt uns: Es gibt zwei Reiche – das des Himmels und das der Erde. In den Himmel will man gelangen und versucht darum, sein irdisches Sein an den Grundlagen der Bibel, des Leben Jesu‘ Christi auszurichten und entsprechend zu handeln. So entsteht eine sehr friedliche, wertschätzende Welt.

Für die Amish People stellt sich im Alter von 18 die Frage, ob sie ihr Leben in der Gemeinde verbringen wollen, ihren Glauben leben und das Gedankengut weitertragen möchten. Bevor also irgendwelche anderen Dinge im Leben wie Ehe oder Beruf entschieden werden, ist die Beziehung zu Gott zu klären. Es folgt die Taufe und die Aufnahme in die Gemeinschaft.

In Europa wurde der Gedanke der Erwachsenentaufe übrigens nicht toleriert. Die Amishe Gemeinde durchlief Jahrhunderte Verfolgung und Vertreibung, obwohl ihre Werte auf Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe beruhen (das geht sogar so weit, dass sie nicht einmal gegen jemanden gerichtlich vorgehen, wenn sie übervorteilt wurden).

Da die Wurzeln in Deutschland und der Schweiz liegen, wird in der Kirche auf Deutsch gesungen und gebetet, die Texte sind in Altgotischen Lettern niedergeschrieben. Als amerikanische Staatsbürger sprechen die Amish People Englisch und als Muttersprache einen Dialekt. Bei unseren Gastgebern ist das Pennsylvanian Dutch. Das verstehen wir sogar manchmal – es klingt ein bisschen wie Schwäbisch.

Schutzwall

Der Priester, der nebenbei einen ganz normalen Beruf ausübt, ist in der Amishen Gemeinde für seine Schäfchen verantwortlich. Ziel ist es, der Bibel und damit Gottes Wort so genau wie möglich zu folgen. Also gilt es in regelmäßigen Abständen zu prüfen, welche (technischen) Neuerungen mit der Bibel konform sind und der bewussten Lebensführung der Gemeinde dienen. Gutes wird integriert, Schlechtes nicht. Auf diese Weise wird ein Schutzwall gebildet, der alles Üble fernhalten soll.

Zum Üblen zählen beispielsweise Alkohol, technische Fahrzeuge, Handys und das Internet. Zwar ist es praktisch oft auch nützlich, an jegliche Informationen jederzeit zu gelangen. Doch hat sich bei uns der Trend entwickelt, dass häufig Kommunikation nur noch mittels Smartphone von statten zu gehen scheint: Obwohl sich Gruppen real treffen, tippen sie wild in ihrem Smartphone herum, kein Wort fällt, doch nach einer bestimmten Daumenbewegung erklingt ein Kichern. Kommunikation ohne wirklich miteinander zu sprechen. Bei den Amishen gibt es das nicht, da sie sich voll und ganz beim Austausch auf ihren Gegenüber einstellen.

Was lasse ich in mein Leben?

Ein Leben in Frieden und gefüllt mit Menschen, Handlungen und Dingen, die mir wirklich wichtig sind, die zur Weiterentwicklung hinführen, das wünsche ich mir. Für die jeweilige Amishe Gemeinde entscheidet der Priester, was gut und richtig ist, was der Schutzwall fernhalten soll, um eben dieses Ziel zu erreichen. Das hat zweifelsohne den Vorteil, dass jedem ziemlich klar ist, was hilfreich und was zu unterlassen ist.

Ich darf für mich selber entscheiden, was ich in mein Leben lasse und was nicht. So bin ich in mancher Hinsicht vielleicht freier und kann Dinge tun, die den Amish People untersagt sind. Z.B. darf ich ein Instrument spielen, ein Handy nutzen, Fotos von meinen Lieben aufnehmen, technische Mittel der Fortbewegung nutzen, eine Motorradreise mit meinem Mann machen. Und gleichzeitig kostet es im Alltag mehr Kraft und Konsequenz, mir selbst eine Richtschnur aus Werten zu spannen und mich daran zu orientieren. Den Amish People hilft hier die Gemeinschaft bei der Einhaltung des eingeschlagenen Weges. Mehr dazu im nächsten Artikel 2. C: Community.

Und was heißt das jetzt für mich?

Der Aspekt des Schutzwalls und der bewussten Lebensausrichtung bzw. -führung hat mich nachdenklich gemacht:

Was bereichert mein Leben und macht mich glücklich?
Was sind meine Werte und Ideale?
Was lenkt von deren Einhaltung ab?

Felicitas


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