Neugierde + am Arsch vorbei = Freiheit

Manchmal bedarf es eben drastischer Worte, damit etwas passiert. Doch braucht es genau so viel Neugierde. Und wie man die grobschlächtige Formulierung „etwas am Arsch vorbeigehen lassen“ mit unschuldiger Begeisterung kombiniert, habe ich im Selbstversuch ausprobiert. Ich finde das Ergebnis herausragend befreiend!

Durch achtsame Neugierde zum Verhaltensziel

Wie es dazu kam: Zufällig habe ich mir einen Videoausschnitt zum Thema Raucherentwöhnung von Judson Brewers angesehen. Eigentlich seltsam, möchte man meinen, da ich mit Zigaretten oder dem Inhalieren irgendwelcher Kräutersubstanzen – außer zur Erkältungszeit – überhaupt nichts am Hut habe. Und dennoch. Ein Gedanke hat mich daraufhin nicht mehr losgelassen: Die beste Erfolgsaussicht, Rauchen oder irgendeine andere Angewohnheit, für immer aus seinem Leben zu verbannen, ist schlicht und ergreifend – und jetzt halt dich fest – ganz simpel und gleichwohl so mächtig: achtsame Neugierde!

Und dann passiert das, was immer passiert, wenn die Zeit für eine bestimmte Idee bei mir reif ist: Sie lässt mich nicht mehr los.

Achtsamkeit kenne ich, klar. Achtsamkeit nimmt in allen Meditationsformen einen hohen Stellenwert einnimmt – ich verbinde mich z.B. bewusst mit meinem Atem. Achtsamkeit wird in sämtlichen Therapieformen praktiziert – wie fühle ich mich, wenn ich in dieser order jener Situation bin. Achtsamkeit in der Bewegung – Yoga. Achtsamkeit in der Ernährung – ich esse möglichst nur manchmal die mit furchtbar vielen E-Stoffen angereicherten Gummitiere.

Im Alltag habe ich jedoch festgestellt, dass ich alleine mit Achtsamkeit mein Verhalten zwar schön beobachten, spüren und verstehen kann, doch ändern konnte ich es bisher dadurch nur bedingt. Also weiter mit der Neugierde.

Neugierde ist mir auch bekannt, aber hallo! Sobald ich des abends ein spannendes Buch in den Händen halte, unterbricht eigentlich nur der selige Schlaf kurzzeitig den Fortgang der Geschichte. Wenn ich erst einmal richtig angefixt bin und unbedingt wissen will, wie es denn weitergeht, nehme ich auch gerne Schlafmangel in Kauf und dass es am nächsten Morgen länger dauert, aus dem Bett zu kommen.

Judson Brewer erklärt, was es mit der achtsamen Neugierde auf sich hat.

Protagonist im eigenen Leben sein = Neugierde pur

Okay, wie kombiniere ich jetzt die Abenteuer aus den Büchern, die es für den Helden zu bestehen gilt, mit mir und den großen und kleinen Abenteuern, die ich bestehen will?

Ganz einfach: Ich stelle mir in einer Situation, die ich als eine verbesserungswerte identifiziert habe, vor, ich schreibe, spiele, lese jetzt meine eigene Geschichte. Ich werde also kurzzeitig Protagonist in meinem eigenen Leben. Und wie ich im Buch erfahren will, was als nächstes passiert und alles gut ausgeht, will ich es auf einmal mit derselben Neugierde in der Realität auch herausfinden.

Und prompt finde ich mich bereits kurzzeitig nach meinen Überlegungen bezüglich achtsamer Neugierde in einem super Übungsszenario wieder.

Die Sache mit dem Kaffee – etwas tun und was anderes wollen

Völlig unerwartet treffe ich in Peru in einem Hostel eine sympathische Holländerin wieder, die ich bereits vor einem Monat in Bogota kennen gelernt habe. Zufälle gibt’s… Oder eben doch nicht. Mit besagter Holländerin und ihrem Reisegefährten wollen wir Cappuccino trinken gehen. Richtig leckeren Espresso mit ordentlich Milchschaum obendrauf, versteht sich. In dem Café unserer Wahl gibt es aber nur Milchkaffee. Na gut, wird ja auch lecker sein – haben wir gedacht.

Dann registriere ich, dass es nicht nur keinen einzelnen Milchaufschäumer hinter der Bar gibt, sondern auch keine Espressomaschine. Jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen zu sagen: „Hey H., ich würde sehr gerne Cappuccino trinken. Den gibt es hier ja leider nicht. Ein paar Meter weiter gibt es einen Laden, da geht das. Lass uns da rübergehen. Bist du dabei?“

Doch das traue ich mich nicht, H. könnte ja schließlich denken, ich sei eingebildet oder nein sagen oder das doof finden. Also stelle ich nur achtsam fest (Erkenntnis ist immerhin der erste Schritt): Ich handele gerade entgegen meines Bauchgefühls und Wunsches. Und das rächt sich prompt. Der Kaffee kommt schwarz mit Milch in einer Milchkanne dazu – und schmeckt überhaupt nicht. Nicht mal ansatzweise.

Wie Glaubenssätze Verhalten prägen

Jetzt wäre Moment Nummer zwei da gewesen, die Situation nach den eigenen Wünschen zu gestalten und entsprechend dem Barmann zu sagen: „Vielen Dank, dass du Kaffee gekocht hast. Der schmeckt leider muffig. Ich möchte den darum nicht trinken und bezahlen werde ich den auch nicht.“ Vorteile dieses Verhaltens wären gewesen:

  1. der Barmann weiß, dass er seine Kaffeekochfähigkeiten verbessern, Pulver und Filter wechseln oder die Kaffeemaschine mal gründlich sauber machen sollte
  2. er hätte mir etwas anderes zu trinken anbieten können und ich hätte was Leckeres vor meiner Nase gehabt
  3. ich gebe kein Geld für Dinge aus, die ich nicht mag
  4. ich wäre meinem Impuls gefolgt und hätte authentisch gehandelt.

Hab ich aber nicht. Ich bin in einer Zeit und Region aufgewachsen, in der mein anvisiertes Ideal-Verhalten verpönt gewesen wäre. Die Devise lautete dort nämlich: froh zu sein, dass es überhaupt Kaffee gibt und dieser ist darum auch zu trinken – bis auf den letzten Schluck. Außerdem, was sollen denn die Leute denken. Zu sagen, dass es nicht schmeckt, ist arrogant und anmaßend und es gehört sich nicht. Die anderen mögen keine Meckerziegen. Und dann stehst du am Ende ganz alleine da.

Puh, solche Glaubenssätze sitzen tief. Entsprechend fühle ich mich in meiner Handlungsfreiheit von der Stimme in meinem Kopf gehemmt, nehme also Geschmacksverirrung in Kauf, um nicht als Nörglerin und Snob dazustehen – nicht einmal vor Menschen, die ich gar nicht kenne und vermutlich auch nie wieder sehen werde. H. nicht, weil wir uns schon zum zweiten Mal über den Weg gelaufen sind (man trifft sich ja bekanntermaßen immer zwei mal und nicht dreimal) und den Barmann nicht, weil ich da aus o.g. bekannten Gründen nicht mehr hingehen werde.

Und all der Krampf nur wegen eines Heißgetränks. Bei der Wahrnehmung dieser Glaubenssätze und meiner Innenwelt hocke ich nun ziemlich verkrampft auf meinem Hocker mit verzagtem Gesicht, zweifle, was zu tun sei, innerer Zerrissenheit und flacher Atmung und nippe an dem Teufelsgebräu. Andererseits ist es auch wieder praktisch, dass es sich um eine so banale Situation handelt. Da fällt mir das Beobachten meines Innenlebens deutlich einfacher als beispielsweise im Angesicht des Endgegners.

Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?

H. und ich versuchen mittlerweile, den Ekelkaffee mit Milch zu retten – Milch soll ja bekanntermaßen sogar Vergiftungen neutralisieren. Wir hoffen also auf Rettung. Leider Fehlanzeige. Wir kommen dann gemeinsam zu dem Ergebnis, dass wir den bitteren Kelch des Leidens nicht austrinken und an uns vorbeiziehen lassen wollen.

Jetzt ärgere ich mich über mich dass ich nichts gesagt habe. Ich meine, ganz ehrlich, was wäre denn hier die Konsequenz gewesen? Im besten Fall: ein leckeres Getränk. Im schlimmsten Fall: nichts, genau! Es heißt jetzt also, den Vorsatz achtsame Neugierde auszuprobieren. Dabei liegt die Betonung auf Neugierde, denn mit der Achtsamkeit klappt es ja schon ganz gut.

Ich frage mich also gespannt, was passiert, wenn ich zumindest beim Bezahlen meine Meinung kund tue – ich hab jetzt einfach schon zu lange an dem Gesöff gesessen, als dass ich sagen könnte „Nee, mag ich nicht, bezahl ich nicht“.  Und interessanterweise, werde ich neugierig. Werde ich was sagen? Wie reagiert der Barmann? Was macht H.? Wie es weitergeht, erfahren Sie in der nächsten Folge.

Da ich aber nicht bis zur nächsten Folge oder schlechten Kaffee warten möchte, sage ich zum Barmann (und aus voller Neugierde, was denn dann passiert, bin ich sehr deutlich und verwende keine Höflichkeitsfloskeln, ist ja ein Experiment): „Hast du schon einmal deinen Kaffee probiert?“. Er schaut zur Seite (ich habe auch so eine Vermutung, woran das liegt). Ich: „Ganz ehrlich, der schmeckt furchtbar. Den kannst du deinen Gästen so nicht anbieten. Ich habe den Kaffee bestellt, zu lange gesessen, ohne etwas zu sagen, also bezahle ich den auch. Aber wirklich, der geht echt leider gar nicht.“ Der Barmann reagierte ziemlich mürrisch, pikiert und schimpft los. Ich hab mich umgedreht und bin gegangen.

H. übrigens war ganz begeistert, dass ich dem Barmann über die Mittelmäßigkeit, na ja, Unterirdischkeit seines Hexengebräus hingewiesen habe. Also ehrlich, Stimme im Kopf, du hast da echt Blödsinn erzählt.

Yeah! Schritt eins: Mir auf die Schulter klopfen, weil ich mich getraut habe, sehr direkt meine Meinung zu formulieren entgegen der Stimme im Kopf. Schritt zwei: Feststellen, dass überhaupt nichts Schlimmes passiert ist als ich es getan hab. Schritt drei: Herausfinden, warum es so lange gedauert hat mit Schritt eins.

Auch Fettes Brot kann darüber ein Lied singen, ob man etwas tun sollte oder nicht.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=1FwA85uqvms?rel=0&controls=0&showinfo=0&w=560&h=315]

Oft sind wir nicht authentisch

Jetzt fragst du dich vielleicht, warum ich ein kleines, ja gar zahmes Beispiel wie Rückmeldung zum Ekel-Kaffee zu geben gewählt habe und es so ausführlich beschreibe. Ganz einfach, weil das eine banale Situation ist, die sich zum einen gute beobachten lässt und zum anderen jeder in verschiedenen Ausprägungen schon einmal erlebt hat und entsprechend aus eigener Erfahrung kennt. Es läuft letztendlich darauf hinaus, dass wir uns oft schwertun, das zu sagen, was wir meinen und das zu meinen, was wir sagen.

Ich habe genug Menschen beider Geschlechts auf allen Kontinenten in allen Altersgruppen – jawohl, allen – getroffen, die sich nicht erlauben, authentisch zu sein und dafür etwas tun, was ihnen im Grunde ihres Herzens  und Wollens nicht entspricht. In der Schule muss man diesen oder jenen Stil tragen, um cool zu sein. Man muss sich gut mit den Nachbarn stellen, weil man die ja so oft sieht. Man muss mehr Aufgaben übernehmen als man Zeit hat, um gut vorm Chef dazustehen und seinen Job zu behalten. Bla, bla, bla.

So, jetzt haben wir uns meinen Selbstversuch genauer angesehen, eine Situation achtsam wahrzunehmen und neugierig als Protagonist im eigenen Leben neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Jetzt heißt es nur noch, diese lästige Stimme im Hinterkopf ruhig zu stellen. Und so kommen wir zu Teil 2, den mit den drastischen Worten.

Zum Thema authentisch sein, machen Wir sind Helden eine klare Ansage

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=Vt8qY5KY9dQ?rel=0&controls=0&showinfo=0&w=560&h=315]

Wo Wege sich trennen – und etwas am Arsch vorgeht

Teil 2 beginnt ebenfalls mit einer Idee, die mich fasziniert und diese stammt aus dem Buch von Alexandra Reinwarth „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“. Wie grandios ist denn bitteschön dieser Titel?! (Obwohl das eine Wortwahl ist, die für gewöhnlich in meinem Sprachgebrauch so nicht vorkommt und ich beim Lesen manchmal doch darüber gestolpert bin. Und dann denke ich mir wie es die Autorin vormacht „Am Arsch vorbei“.)

Auch in dieser Nacht bekomme ich kaum Schlaf – es ist einfach zu göttlich zu lesen und jedes Mal zu denken „Ja. Kenn ich. Doofe Kiste. Scheiß Situation.“ Und dann: „Stimmt. Genau. Da hat sie recht. Was? So einfach geht das?“ Gefolgt von einem Kichern und Prusten in den Schlafsack, um den Mann neben mir nicht zu wecken.

Dann denke ich mir, hätte ich diese Einstellung schon etwas früher verinnerlicht, wäre vieles einfacher gewesen. Und dann stelle ich fest, dass ich diese Überlegung getrost an meinem Hintern vorbeiziehen lassen kann, um mich stattdessen daran zu freuen, dass ich es jetzt weiß.

Am Arsch vorbei geht auch ein Weg: Wie sich mein Leben von Grund auf verändert hat, als ich mich endlich locker gemacht habe von [Reinwarth, Alexandra]

Kraft durch aktives Vorbeiziehenlassen (am Arsch nämlich)

Vorbeiziehenlassen, Gehenlassen, Loslassen. Das sind Schlagwörter in Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Meditation.

Das klappt bei mir leider bei bestimmten Sachverhalten nur bedingt. Im Kaffeebeispiel oben konnte ich nämlich nicht so einfach meine Glaubenssätze und Befürchtungen auf Wolken oder Blätter setzen und sie von Wind oder Wasser oder im Gulli fortspülen lassen. Die Stimme im Kopf brüllte sie nämlich konstant in einer ziemlichen Lautstärke munter weiter. Doch letztendlich wollen uns solche Glaubenssätze, Muster, all das, was wir seit frühester Kindheit mit uns herumtragen, nicht wirklich schaden. Es handelt sich vielmehr um bewährte Programme, die uns letztendlich nur vor dem Schlimmstmöglichen, dem Super-GAU schützen und uns Leid ersparen wollen.

So gesehen, handelt es sich also um Helfer. Doch leider ist das mit den Helfern so eine Sache. Manchmal tragen die zum Erfolg einer Geschichte so überhaupt nicht bei, obwohl sie es gutmeinen.

Denn: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“

Und darum heißt es, sich diesen Schutzprogammen in Liebe und Dankbarkeit zu nähern, um sie dann ihres Weges gehen zu lassen. So der Plan, doch wie gesagt, das mit dem Gehenlassen wollen die Helferprogramme eben nicht so gerne hören. Da braucht es mehr Power! Und die finde ich persönlich in der Formulierung „Am Arsch vorbeigehen lassen“ ziemlich deutlich.

Und wie geht das jetzt? Ganz einfach. Ich sage meinem Glaubenssatz sehr bestimmt, schnörkellos und gleichzeitig wohlwollend: „Super, dass du dich so lange gut um mich gekümmert hast. Doch jetzt trennen sich unsere Wege. Meiner geht geradeaus, der Zukunft entgegen. Deiner an meinem Arsch vorbei!“ Und das meine ich nicht wertend. Wirklich nicht. Mir gefällt das Bild, voranzuschreiten und das Veraltete hinter mir zu lassen.

Zum Thema „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ gibt es was von Kettcar auf die Ohren.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=sG7cTUdGZTQ?rel=0&controls=0&showinfo=0&start=10&w=560&h=315]

Der feige Hundepascha mit den Riesenzähnen

Und auch nachdem ich mich an meiner Lektüre und den Gedanken darüber erfreut habe, kommt der Praxistest schneller als gedacht. In den Hauptrollen: Angst, Selbstbild, deutliche Worte. Eines schönen Tages wollen mein Mann und ich nämlich Wasser kaufen. Der Laden der Wahl führt nebst Getränken in 7-Liter-Flaschen auch Hundefutter. Aus mir unbegreiflichen Gründen sind die Hundefuttertüten offen, was aber augenscheinlich den Vierbeinern zu gefallen scheint. Es liegen nämlich gleich zwei mit Häkeldeckchen bekleidete Exemplare ziemlich entspannt im Geschäft herum.

Vorsichtig gehe ich an dem einen vorbei. Dieser schnufft nur und chillt weiter. Der zweite fühlt sich durch meine Anwesenheit offenbar in seiner Herrschaft über das Trockenfutter-Paradies bedroht. Er springt darum auf und schnappt nach mir – nicht in den Arm oder das Bein, nein, das Vieh lang volle Möhre zu und beschließt, seine Zähne in meinen Bauch zu schlagen.

Reflexartig drehe ich mich weg, stürze fast, kann mich gerade noch am Tresen festhalten und die Fänge der Bestie schrammen nur kurz an mir entlang. Daraufhin rennt der Feigling aus seinen Gemächern. Meine Seite ist glücklicherweise nur rot und von einem Fleck in der Größe eines fetten Mückenstich geziert. Der Spaß am Shoppen ist mir jedenfalls vergangen.

Einen Hundebiss – neugierig am Arsch vorbeiziehen lassen

Einen Tag später schlendere ich den Strand entlang. Plötzlich rasen zwei wildgewordene Hunde mit gezogenen Lefzen auf mich zu. Ich gehe weiter, hoffe, dass ich hier lebend rauskomme. Glücklicherweise ziehen die Mistviecher bellend ihrer Wege. Mein Herz rast, ich habe echt ziemliche Angst, fühle mich wehrlos. Wie weh tut eigentlich ein Hundebiss? Töten die einen? Bleibe ich verwundet mutterseelenallein am Strand zurück? Der Kratzer von gestern tut ja schon echt weh. Wie soll das denn dann hier enden? Schon wieder diese Stimme mit den wirklich wenig hilfreichen Ideen.

Zweihundert Meter weiter kommen schon wieder zwei Prachtexemplare der Rasse wildgewordener Straßenköter (echte Hunde, keine Trethupe in Meerschweingröße) auf mich zu. Mir wird es langsam echt unheimlich. Sonst war am Strand niemand und seit dem Zusammenprall mit dem Hund gestern ziehe ich die Viecher offenbar magisch an. Da gibt es also noch ein unfinished Business. Huch, die zwei verfolgen mich jetzt auch noch. Zwar nicht belled, aber offenbar auf meine Haxen fixiert.

Also schnell anwenden, was ich gelernt hab. Mein Innenleben kenne ich ja schon, also her mit der Neugierde! Was passiert, wenn ich mein Auftreten von Spaziergängerin auf Löwenbändiger abwandle? Das ist mal eine interessante Frage. Jetzt mischt sich die Stimme wieder bezüglich Schmerz und Hundebiss ein (siehe oben, die Stimme ist ja nicht sonderlich kreativ, nur sehr ausdauernd). Dann wird es mir zu bunt. Der Hund verfolgt mich, mein Kopf erzählt wenig Hilfreiches. Ich denke ganz laut: „Am Arsch vorbei. Am Arsch vorbei mit den Hunden. Am Arsch vorbei mit dem Biss. Am Arsch vorbei mit der Angst!“

Ha! Ruhe im Hirn. Das Bild der Löwenbändigerin ist wieder da. Ich drehe mich um. Mache mich groß und brülle diese hinterhältigen Kreaturen erst mal so richtig an und das mit sehr deutlichen Worten: „Sagt mal, habt ihr nen Knall?! Verpisst euch!“ Von wegen, mit Höflichkeit und guten Manieren kommt man aus jeder Situation heraus. Manchmal muss es eben Klartext sein. Die Tölen treten mit eingekniffenem Schwanz den Rückweg an.

Du bist immer dann am besten, wenn’s dir eigentlich egal ist. So beschreiben die Ärzte das „am Arsch Vorbeiziehenlassen“.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=ZQDI-8YfzWQ?rel=0&controls=0&showinfo=0&w=560&h=315]

Erlaube dir frei zu sein

Ich habe aus der Hundebegegnung gelernt, dass ich nicht nur Glaubenssätze in die Wüste schicken kann, auf dass sie dort ihre Erleuchtung finden, sondern auch meine Angst und Zweifel und wenn es sein muss, auch mal meine gute Kinderstube. Das ist befreiend. Ich erlaube mir, das zu tun, was ich gerade tun möchte, etwas Neues auszuprobieren, mich selbst zu überwinden. Ist das nicht der Wahnsinn? Frei sein!

Ein Hawaiianischer König sagte einmal: „Wenn du dein Leben ändern willst, musst du dein Leben ändern!“.

Klingt gut, doch irgendwie tut man es dann doch nicht bis zur letzten Konsequenz. Ich habe festgestellt, dass ich in manchen Situationen etwas will, es dann aber doch nicht tue, weil ich es mir schlicht und ergreifend verbiete (weil ich von der Stimme im Kopf entsprechend eingeschüchtert bin). Andersherum erlebe ich, wie viele Möglichkeiten und wie viel Potential ich plötzlich habe, wenn ich mir einfach erlaube, das zu tun, was mir entspricht. Mich macht es neugierig zu erleben, wie dann meine Geschichte weitergeht!

An dieser Stelle behalten wir trotzdem Kants kategorischen Imperativ im Kopf:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

und die Maxime der Aufklärung, das Freiheit Freiheit einschränkt. Wenn ich herausfinden möchte, wie so richtig wütend sein sich anfühlt, dann immer los damit. Im Selbstversuch Tassen gegen die Wand knallen? Kein Problem. Den entstandenen Dreck jemand anderen wegräumen lassen oder das Porzellan dem Gegenüber an die Rübe knallen? Nicht okay.

Ich bin davon überzeugt, dass man frei sein und seiner inneren Stimme folgen kann, ohne zum Egomanen oder Trampeltier zu mutieren. Da hilft die Achtsamkeit sich und anderen gegenüber. Ich kann ja frei entscheiden, wie ich mich verhalte und was ich wie verpacke und übernehme damit automatisch die Verantwortung für meine Entscheidungen und mein Handeln.

Doch mal falsch entschieden? Aufstehen, Krönchen rücken, weitergehen oder entschuldigen, wenn man Mist gebaut hat. Scham und Vorwürfe liebevoll drücken und dann wohlwollend am Arsch vorbeiziehen lassen. Jawohl!

Anderen ihre Freiheit lassen

Das, was ich für mich beanspruche, muss ich anderen auch zugestehen (siehe Kant), ganz einfache Kiste. Ist aber auch sehr befreiend. Dadurch lasse ich die Verantwortung für das Wohlergehen meines Gegenübers genau da, wo sie hingehört – bei ihm selbst nämlich.

Einfaches Beispiel, das jeder im Zusammenleben von Mann und Frau kennt. Mein Mann und ich sitzen bei einer Tasse Cappuccino (echt leckerem) in einem netten Restaurant und blicken aufs Meer. Der Mann schweigt und genießt. Die Frau will aber reden. Eine klassische Patt-Situation. Anstatt den Mann jetzt zu einem Gespräch zu nötigen und zu überlegen, ob wir jetzt ein Problem wegen des unterschiedlichen Gesprächbedarfs haben oder nicht, lasse ich uns beiden die Freiheit das zu tun, was jeder von uns gerade tun möchte. Sehr entspannend. Der Mann trinkt und guckt auf die Wellen, ich gehe, sage nur „bis später“ und beginne im Hostel mit diesem Artikel. Am Abend treffen wir uns wieder – und siehe da, der Mann hat wieder Lust, was zu erzählen.

Die Faustformel

Jetzt kennst du meine Gedanken, Erlebnisse und Erkenntnisse zum Selbstexperiment Freisein und Blödsinn einfach mal am Arsch vorbeigehen lassen und neugierig sein, was dann passiert. Ich freue mich, wenn dir das ein oder andere eine Anregung ist und gleichzeitig Heiterkeit beim Lesen und Ausprobieren bringt.

Zum Abschluss fasse ich alles in folgender Faustformel *bäm* zusammen:
Freiheit = Achtsame Neugierde + am Arsch vorbei 

Felicitas

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert