Du selbst schreibst deine Geschichte

Weißt du noch, wie du als Kind spieltest? Du spieltest in deine Geschichten Prinzessin, Feuerwehr, Astronaut (oder wahlweise Kosmonaut), Zauberin, Cowboy, Indianer, Vater, Mutter, Kind oder Superheld. Nein, du spieltest es nicht nur, du warst es in dem Moment! Da gab es keine Einschränkung. Du warst Herrscherin eines gesamten Reiches, hattest magische Kräfte, konntest zum Mond und in entfernte Galaxien fliegen oder jedes Ziel aus einem Kilometer Entfernung mit verbundenen Augen mit dem Pfeil ins Schwarze treffen. Es gab keinen Zweifel. Du wusstest, konntest und hattest alles, was du brauchtest, um genau das sei sein, was du wolltest.

Kea, Neuseeland, spielendes Kind_P1030674_1180

Wer willst du sein?

Und dann? Was ist dann passiert? Dann wurdest du erwachsen. Dann ging das alles auf einmal nämlich nicht mehr. Für die Prinzessin fehlte das Schloss, für den Astronauten die Rakete und die romantischen Indianer aus den Westernfilmen gibt es so heute auch nicht mehr. Schade eigentlich. Geschichte vergessen, Träume begraben, Fähigkeiten auch gleich mit. Und obwohl du immer größer wurdest, wurdest du gleichzeitig immer kleiner.

Deine Geschichte, die von deinen Abenteuern und Freuden erzählt, beschreibt nun nur noch wie du alles daran setzt, deinen Job zu behalten, wie du deine Steuererklärung machst oder das Haus putzt und dich im Hamsterrad drehst.

Und was wäre, wenn du diese, deine Geschichte wieder in die des Cowboys und der Zauberin umschreiben könntest? Geht nicht? Zu spät? Zug schon abgefahren? Dann habe ich hier ein Beispiel von historischer Bedeutung, das das Gegenteil zeigt! Erzählt hat uns dieses unser neuer Freund Leo als wir mit ihm Tempelruinen in Mexico City besuchen.

Wie die Azteken ihre Geschichte schreiben

Also begeben wir uns zurück in das 14. Jahrhundert und zwar nach Mexiko zu den Azteken. Diese zählten zu einem der wüstesten Stämme, die im heutigen Raum Mexikos lebten. Sie waren sogar so wüst, dass die anderen Stämme nichts mit ihnen zu tun haben wollten – sogar dann nicht, als die Azteken hungernd nach Hilfe suchten wurden sie fortgejagt. So zogen sie rund um den See herum, der heute Mexiko Stadt ist, und waren irgendwann vermutlich ziemlich verzweifelt. Aber weg gingen sie offenbar davon auch nicht.

Also sannen die anderen nach einer neuen Möglichkeit, die Azteken loszuwerden. Schließlich überlegten sie sich, den gemeinsamen Feind einfach auf die Insel inmitten des Sees zu schicken. Diese wurde nämlich nur von überaus giftigen Schlangen bevölkert und die sollten dann den unliebsamen neuen Nachbarn endlich den Garaus machen.

Doch es kam irgendwie ganz anders als gedacht: Die Azteken fingen die zahlreichen Kriechtiere und aßen sie einfach auf. Dann entwässerten sie den Boden, gruben Kanäle und bauten Gemüse an – teilweise sogar in Booten. Sie wurden richtig sesshaft und fingen auch alsbald an, ihren Göttern zu huldigen. Die Hauptgötter waren Tlalok, der Gott des Regens, und Huitzilopochtli, der Gott des Krieges. Beide nahmen ausschließlich Menschenopfer als Gabe an. Du kannst dir vorstellen, wie es weiterging. Die Azteken überfielen mit ihren berüchtigten Truppen die Nachbarstämme, machten Sklaven und ließen das Blut in Strömen fließen.

Vom geächteten Stamm zum Erschaffer einer Nation

Ihre Götter wünschten sich offenbar alle 52 Jahre eine neue Schicht um den ihnen geweihten Tempel. Das hatte nebst eines vergrößerten Bauwerks allerdings eine Einweihungszeremonie zur Folge, in der das But nur so strömte. Natürlich primär das Blut von Nicht-Azteken. Die umliegenden Nachbarn bekamen es entsprechend ziemlich intensiv mit der Angst zu tun und versuchten es mit Tributzahlungen bzw. wurden zu diesen angehalten. Die wurden selbstverständlich gerne angenommen, doch die Götter forderten weiterhin ihren Blutzoll. Also schauten die Azteken immer mal wieder bei ihren Nachbarn vorbei und nahmen welche mit.

Nach und nach entwickelten sich die Azteken zum mächtigsten Stamm in Mittelamerika. Da sollte die Geschichte des vertriebene Volksstammes nicht als Makel an ihnen haften bleiben. Sie entschlossen sich also, einen kleinen Kunstgriff zu tätigen und schrieben die Geschichte einfach neu: Die Azteken waren auf der Suche nach einem Ort, um sesshaft zu werden. Es erschien ihnen dabei ein Adler über einer Insel. Er flog auf diese herab und fing eine Schlange, um sie zu verspeisen. So wussten sie, dass dort die ihnen von den Göttern angedachte Heimat sei. Jetzt brauchst du nur zu wissen, dass die Azteken den Adler als einen besonderen Vogel verehrten, um zu verstehen, warum er ihnen so eindrücklich den Weg aufzeigte.

Tja, und weil die Azteken so bedeutend waren, ein Imperium und die heutige Hauptstadt Mexikos gründeten, bekam ihre Adler-Vision das Wahrzeichen auf der Nationalflagge. Wer es ganz genau wissen will, kann ja noch ein bisschen weiter recherchieren.

Mexiko, Pyramid of the Sun, Teotihuacán_DSCF7551_1180

Pyramid of the Sun in Teotihuacán

Die Geschichte verändern, darf man das denn?

Tja, aus psychologischer Sicht handelt sich dabei sogar um ein probates Therapiemittel. Denn, es gibt einen interessanten Fakt: Unser Gehirn kann zwischen Realität, was das objektiv auch immer betrachtet sein mag, und Fiktion nicht differenzieren. Das kennst du ja schon von deine Spielen als Kind. Du warst ganz real ein Indianer oder Astronaut. Eine Geschichte ist also genau dasselbe für unser Denkorgan wie etwas tatsächlich Erlebtes. Vielleicht haben die Azteken das auch schon herausgefunden? Sie haben sich vielleicht auch gedacht, warum als Vertriebener, unliebsamer Stamm durch die Epoche schleichen, wenn man auch als Superstamm Weltgeschichte schreiben kann? Sozusagen vom Tellerwäscher zum Millionär, wenn du verstehst, was ich meine.

Doch derartige Pläne, Millionär, Superheld, Bezwinger von Herausforderungen, kann man eben nicht umsetzen, wenn man von sich das Bild eines Kriechwurms hat. So haben die Azteken es sogar als ganzes Volk geschafft, ein Bild von sich und ihrem Ziel zu entwerfen und ihre Geschichte entsprechend zu schreiben – und zwar rückwärtig und zukünftig. Und diesen Fakt finde ich spannend. Sie hätten ja auch einfach in der Stunde ihrer Not aufgeben und verhungern oder sich den Reptilien zum Fraß vorwerfen können. Wollten sie aber nicht und so haben sie für sich gekämpft. Sie hatten von sich das Bild eines prosperierenden Stammes mit Kultur und offenbar auch weitreichendem Einfluss.

Ach ja, nur um eines sicherzustellen, ich meine jetzt nicht, dass man einzeln oder als komplettes Volk die eigene Geschichte verleugnen oder bei der Verwirklichung seiner Träume über Leichen gehen soll. Die eigene Geschichte zu kennen, ist wichtig. Denn wenn man weiß, wo man herkommt, löst das einige Fragen in der Findung der eigenen Identität. Die Azteken haben sich so verhalten, wie es in ihrer Zeit üblich war. Da standen eben noch Menschenopfer und das gegenseitige Überfallen hoch im Kurs. Heute ist das glücklicherweise aus der Mode gekommen. Ich finde es jedenfalls faszinierend, wie ein ausgestoßener, fast dem Ende geweihter, zugegebenermaßen sehr kriegerischer Stamm, sich einen Lebensraum schafft, eine Kultur aufbaut und über Jahrhunderte die Weltgeschichte prägt.

Experiment: Die eigene Geschichte entwerfen!

Und wie ist das bei uns selbst? Haben wir eine Vision von und für uns? Kämpfen wir immer für das, was uns wichtig ist? In vielen Fällen lautet die Antwort vermutlich: Nein, tun wir nicht. Weil, ja weil, weil wir gerade müde sind, weil der Gegenüber uns dann vielleicht nicht mehr so mag, weil uns Gegenwind erwartet, weil morgen auch noch ein Tag ist, weil unsere Geschichte nun mal die des braven Bürgers, Arbeiters, Nachbarn ist. Gründe gibt es derer viele. Ich glaube, das oft der Hauptgrund ist, dass wir uns einfach nicht vorstellen können, dass unsere Geschichte, unser Leben anders sein könnte als es das gerade ist. Lassen andere oder die Umstände für uns entscheiden und leben irgendein Leben, aber nicht das eigene.

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Wer bist du: Einsamer Steppenwolf, wildes Raubtier, flauschiger Kuschelwolf?

Ist doch ein interessantes Experiment: Ich male mir meine Lebensgeschichte mit mir als Hauptdarsteller aus. Vielleicht auch erst einmal für den nächsten Monat oder die nächste Woche – und zwar mit allen Raffinessen! Wie bin ich? Was zeichnet mich aus? Was erlebe ich? Wie fühle ich mich? Und dann verhalte ich mich eben einfach entsprechend meiner Geschichte. Denn, ich bin ja ihr Autor, ich kann schreiben, was passiert. Und wenn es mal unangenehm ist, überlege ich eben, wie sich der Held der Geschichte verhalten soll und tue es eben. Beim Spielen als Kind kannte ich als Zauberin beispielsweise alle, aber wirklich alle Zauberformeln auswendig und konnte sie in jedweder Situation anwenden und diese in meinem Sinne anpassen. Also warum nicht einfach als Erwachsene dasselbe tun?

Das Ganze klingt zu abstrakt? Ein Beispiel: Vor drei Jahren haben wir uns entschlossen, mit den Motorrädern um die Welt zu knattern. Entsprechend haben wir unsere Geschichte so ausgemalt, dass wir eine tolle Reise erleben werden, Menschen begegnen werden, Herausforderungen meistern, unsere Wohnung erfolgreich untervermieten, unseren Chefs unsere Pläne unterbreiten und insgesamt einer Zukunft entgegen sehen, die nur bedingt planbar ist. Ich habe mir fürderhin vorgestellt, dass ich so lässig und überzeugend zu meinem Chef ins Mitarbeitergespräch gehe, dass ich noch meinen Anschlussvertrag für ein weiteres Jahr unterschreiben und weiterhin tolle Aufgaben haben werde, obwohl ich im selben Atemzug kündige. Hat funktioniert. Musste meinem Chef nur versprechen, eine Postkarte aus Patagonien zu schicken.

Fake it until you make it!

Das ist ebenfalls eine alte Psychologenweisheit. Also einfach so tun, als hätte man die neuen Verhaltensweisen schon verinnerlicht und integriert. Das klappt. Denn, Fiktion und Realität sind dasselbe! Und wenn es nicht beim ersten Versuch funktioniert, dann beim nächsten – auch Superhelden haben ihre Lernkurve.

Die Azteken haben sich bestimmt auf ihrer Schlangeninsel ebenfalls vorgestellt, wie toll es und heimelig es dort einmal werden wird und wie sie dort in schicken Häusern wohnen und Ruhe vor ihren Nachbarn haben werden. Tja, und heute ist die Schlangeninsel sogar die Hauptstadt eines Landes, der Adler aus der Vision ist auf der Nationalflagge. Und es gibt fürderhin sogar diverse Spiele mit den Azteken zum Thema Schätzebergen, vom Brettspiel bis hin zum Online-Game, und Montezumas Rache ist uns auch allen geläufig.

Mehr zum Thema von Amy Cuddy

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=6cnldCAR710?rel=0&w=560&h=315]

Wie geht deine Geschichte?

Das Ganze Geschichteschreiben ist schön und gut, es gibt nur eine Sache zu beachten: Es funktioniert nur, wenn die Geschichte von meinen eigenen Herzenswünschen handelt. Wenn ich mir erzähle, dass ich der nächste Cocodile Dundee werde, weil Paul Hogan im Fernsehen so cool und lässig rüberkam, ich aber insgeheim nichts mit den Großechsen zu schaffen haben möchte, dann werde ich höchstens mit dem Stoffalligator beim Filmegucken glückliche Zeiten haben, das Flugticket ins Caiman-Paradies Florida aber nie bezahlen können.

Also kommen wir zurück zum Anfang: Was begeistert mich? Was macht mich glücklich? Was ist etwas, das mir entspricht? Wie soll mein Leben in den schönsten Farben gezeichnet sein? Bei welchen Tätigkeiten lache ich wieder wie ein Kind und vergesse die Welt um mich herum? Welches Verhalten inspiriert mich, lässt mich wachsen, mein Potential entfalten? Wie soll meine Lebensgeschichte lauten, wenn ich sie meinen Enkeln einmal erzähle?

Von diesen Dingen soll meine Geschichte handeln! Denn so wird es keine 0815-Kino-Story, sondern meine ganz eigene. Und das geht nur, wenn sie von meinen Herzenswünschen erzählt. Denn für diese lohnt es sich zu kämpfen, zu arbeiten und Herausforderungen zu bezwingen. Und für die Umsetzung von Herzenswünschen sehen plötzlich alle erforderlichen Ressourcen zur Verfügung.

Also, den mentalen Stift gezückt, die eigene Herzensgeschichte schreiben und sich so erfinden, wie man es sich schon immer vorgestellt hat! Viel Vergnügen dabei, denn das soll das Ganze ja ebenfalls bringen. Zur Inspiration gibt es noch passend zum Thema einen Song der Indie-Band Madsen aus dem Jahre 2006. Den find ich persönlich inspirierend, weil hier die Konfrontation mit uns allen bekannten Herausforderungen in den Kontext der Ewigkeit gesetzt wird und die Quintessenz für mich lautet, dass wir eben mehr sind als nur ein kleiner Augenblick im Getriebe der Zeit. So wie die Azteken.

Madsen – Du schreibst Geschichte

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=d9KcHGm1Qog?rel=0&w=560&h=315]

Weil die Welt sich so schnell dreht
Weil die Zeit so schnell vergeht
Kommst du nicht hinterher
Weil die Hektik sich nicht legt
Und du in der Masse untergehst
Bist du ein Tropfen im Meer

Doch du lebst länger als ein Leben lang
Du bist das womit alles begann
Denn du schreibst Geschichte
Mit jedem Schritt
Mit jedem Wort
Setzt du sie fort
Du schreibst Geschichte
An jedem Tag
Denn jetzt und hier
Bist du ein Teil von ihr

Weil ein Monster vor dir steht
Und dir bedrohlich in die Augen sieht
Bist du lieber still
Weil jeder dir erzählt
Wer du bist und was dir fehlt
Vergisst du, was Du sagen willst

Doch du lebst länger als ein Leben lang
Du bist das womit alles begann
Denn du schreibst Geschichte
Mit jedem Schritt
Mit jedem Wort
Setzt du sie fort
Du schreibst Geschichte
An jedem Tag
Denn jetzt und hier
Bist du ein Teil von ihr

Weil du nur einmal lebst
Willst du, dass sich was bewegt
Bevor du gehst
Bevor du gehst

Doch du lebst länger als ein Leben lang
Du bist das womit alles begann
Denn du schreibst Geschichte
Mit jedem Schritt
Mit jedem Wort
Setzt du sie fort
Du schreibst Geschichte
An jedem Tag
Denn jetzt und hier
Bist du ein Teil von ihr

Felicitas


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Auf der Suche nach der Wahrheit

In Mexiko haben wir Gelegenheit, viele Kirchen aus der Spanischen Kolonialzeit zu besichtigen. Glaube und Religion genießen neben Familie und Freundschaft einen hohen Stellenwert in der mexikanischen Kultur. Als katholische Rheinländer staunen wir nicht schlecht, in den größeren Städten wie Puebla und Oaxaka an jeder zweiten Straßenecke ein imposantes Gotteshaus zu sehen, dass an Opulenz, Orgelwerk und Ornamenten viele deutsche Kirchen in den Schatten stellt. Wenn das die Kölner wüssten…

Insbesondere haben es uns die Statuen angetan, die hier eine bemerkenswerte Ausstrahlung haben, die wir so andernorts noch nicht erlebt haben. Während man in deutschen katholischen Kirchen vornehmlich einen gekreuzigten Christus über dem Altar und diverse Heiligenfiguren vorfindet, gibt es hier in Mexiko auch Statuen des Leichnams im Sarg und des auferstandenen Christus‘.

Bei der Darstellung des Toten gingen die Künstler für unsere Verhältnisse wenig zimperlich zu Werk. Blutüberströmt liegt Er lebensgroß mit aufgeschlagenen Knien, zerfetztem Fleisch und entstellten Gesichtszügen in einem Sarg. Niemand da, der um ihn trauert. Niemand da, der den Leichnam wäscht und salbt. Niemand da, der ihm die verdrehten Augen schließt.


Was ist das für ein Mensch, dieser Jesus von Nazareth, der die Welt seit 2000 Jahren auf den Kopf stellt?

Während ich allein mit dem Toten in einer kleinen Seitenkapelle der Kathedrale von Puebla sitze und über Sein Lebenswerk sinne, erscheint mir eine neue Vorstellung von Ihm, die mein Christusbild verändert.

Als Jugendlicher war ich leidenschaftlicher Messdiener. Bereits als Kind wusste ich, wie unsagbar wichtig den Erwachsenen die heilige Zeremonie war. Und wie hoch geschätzt es wurde, wenn die Messdiener militärisch geordnet voller Andacht ohne Gähnen und Schwanken die Messe zelebrierten. Dabei war Jesus für mich immer jemand, der heilig auf einem Sockel steht. Was hat man als kleiner Sünder schon zu melden? Jesus als Vorbild? Das schafft man doch eh nicht. Man kann nur beten und hoffen, dass man irgendwann gerettet wird.

Aber jetzt bin ich hier in Mexiko, fernab der guten rheinischen Kirchenordnung. Hier vibriert das Leben. Draußen scheppert ein LKW ohne Auspuff mit Fehlzündungen vorbei, dass fast die Scheiben aus den Fenstern fliegen und eine Blaskapelle rockt Salsa auf dem Kirchenvorplatz, dass der Lüster im Takt klirrt. Keine verklärten Heiligenbildchen, kein Weihrauch, keine rechtwinklig schreitenden Messdiener. Fernab von Andacht und ordentlichem Benehmen habe ich Gelegenheit, Christus von einer ganz anderen Seite – nämlich als Menschen kennenzulernen. Es fühlt sich förmlich so an, als würde er mit mir zusammen in der Kapelle sitzen. Nur wir beide.

Und da geschieht etwas mit mir, mit meinem Herzen. Ich fühle die Wahrheit. Den Kosmos und das Sandkorn, die Ewigkeit, die Leere und die Stille. Plötzlich ist Er nicht mehr in unerreichbarer Ferne, sondern ganz nah und reicht mir die Hand. Er ist mein Bruder.

Ich fühle auf einmal Seine Kraft und Stärke, mit der Er durchs Leben ging, die Wahrheit, die von Ihm ausstrahlt. Kein lieber netter Heiliger, der ganz fromm gebeugt und demütig sein Haupt neigt, so wie wir im Rheinland Messe feiern. Ich begegne einem Mann mit der Ausstrahlung eines Kriegers. Einem Mann, der eine Vision in die Welt bringt für die er bereit ist, alle irdischen Prüfungen auf sich zu nehmen. „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. (Mt 10,34-35; EU)“. Ich treffe einen Mann, der gekommen ist, um kompromisslos die Illusionen abzutrennen von dem Licht. Denn was kann bestehen, beim Anblick der Wahrheit?

Diese Stunde mit Christus ist nun schon ein paar Tage her und beschäftigt mich immer noch. Was passiert, wenn man endlich den ganzen Firlefanz der Religionen ablegt, endlich aussteigt aus dem Karussell „mein Gott ist aber besser als deiner“? Und sich auf den Weg zu seinem Herzen macht? Sich aufmacht zu sich selbst, zu seinem Ursprung? Sich aufmacht, dass Göttliche in sich zu finden? Auszusteigen aus den Hamsterrädern der Gesellschaft, um ein wahrhaftiges und authentisches Leben zu führen, das einem jeden entspricht, jeden Tag, jeden Moment? Seine Talente zu entfalten und Licht in die Welt zu bringen? Und bereit zu sein, damit anzuecken, das Salz zu sein, das dem faden Dasein wieder Pepp verleiht?

In diesem Sinne inspirierende Grüße von einer Reise durch die Welten

Andreas


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Licht in die Schattenseiten bringen

Wir besuchen die Lavalandschaft Craters of the Moon. Um uns herum ist alles schwarz, kein saftiges Grün, kein Nix. Trampelpfade führen zu Höhlen, vorbei an eingesunkener, versteinerter Lavakruste. Keine Vogelstimmen in der Luft, alles wirkt irgendwie gedämpft.

Auf einem Lavaberg, auf dem sich ein einzelner Baum wacker gegen den tosenden Wind hält, können wir in die Weite sehen und gewinnen den Eindruck, in einem einzigen Schatten zu stehen. Farben sind erst wieder außerhalb eines Kilometer breiten Radius‘ erkennbar. Hinter uns türmen sich Berge, in denen sich ein Gewitter zusammenbraut.

In dieser Atmosphäre klettern wir in eine Höhle. Entgegen der Anweisung haben wir keine Taschenlampe oder andere Lichtquelle am Start. Ganz alleine stehen wir in der Dunkelheit, sehen kaum die Hand vor Augen und dabei sind wir erst kurz hinterm Eingang. Weiter hinten soll es Eiszapfen zu bestaunen geben. Doch wir kommen wir dahin? Der Boden ist voller Geröll und alles ist tiefschwarze Nacht. Wir bleiben stehen und lassen unsere Augen sich an unsere Umgebung anpassen. Langsam, ganz langsam erkennen wir Umrisse, die sich zuvor unserem Blickfeld entzogen haben. Nun sind wir für die nächsten Schritte bereit. Intuition und Schemen leiten uns immer weiter in das Dunkle hinein. Irgendwann stehen wir in der Höhle und sehen sogar die uns jetzt erst erscheinenden weißen Eiszapfen. Wir genießen die neue Perspektive.

Als wir dann zurück zum Licht gehen, ist es erstaunlich einfach. Der Weg, der zuvor mehr tastend bewältigt wurde, liegt auf einmal klar und hell vor uns.

Die Begegnung, die wir mit der Dunkelheit physisch erlebt haben, wirkt emotional und mental weiter. Geht es uns allen nicht manchmal so, dass wir Seiten in uns tragen, die wir uns nicht gerne ansehen wollen oder die sich unserem Sichtfeld entziehen, um im Verborgenen zu bleiben? Wenn wir ihnen jedoch Zeit und Aufmerksamkeit schenken, offenbaren sie sich uns nach und nach. Auch wenn dieser Prozess häufig schmerzhaft ist, lohnt er sich. So erkennen wir oft, dass sich hinter dem ursprünglich gedachten Problem, einer unangenehmen Emotion oder Situation etwas ganz anderes verbirgt, als wir im ersten Moment annehmen. Wenn wir diesen Kern gefunden haben und liebevoll annehmen, mit Licht erfüllen, stellen wir fest, dass der Pudels Kern gar nicht schlimm ist, sondern eine Erfahrung, die wir gemacht haben und wir sind von dem Schmerz befreit. Was uns zuvor wie eine nimmer endend Nachtwanderung oder Marter erschien, kommt uns jetzt wie ein Abenteuer vor, aus dem wir sogar einen Schatz mitbringen. Es macht Lust auf mehr und ist spannend. Also unabhängig davon, wie turbulent der Alltag, Konflikte, Krisen sich darstellen, die Reise ins Innere lohnt sich. Denn eigentlich zeigen uns solche Situationen nur auf, dass es etwas Neues für uns zu entdecken gibt und die Zeit dafür reif ist bzw. wir es jetzt sind, uns damit auseinanderzusetzen.

Felicitas 


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Zu Gast bei Indianern

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir endlich einen Kontakt zu den amerikanischen Ureinwohnern bekommen haben.

Immer, wenn wir unterwegs gefragt haben, ob jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der uns mit Indianern bekannt machen könnte, bekamen wir die selbe Antwort: Fahrt nicht in die Reservate, da ist es nicht sicher, kein guter Ort für Weiße.

Die Ausführungen machen uns zunehmend bestürzt, schließlich haben wir Deutschen dank Karl May und der legendären Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand offenbar eine sehr romantisierte Vorstellung über das Leben im Wilden Westen.

Wounded Knee Massacre

Um einen besseren Eindruck jenseits der Romanwelt zu gewinnen, besuchen wir auf unserem Weg aus den Badlands das Wounded Knee Museum in Wall, South Dakota. Es zeichnet ein tragisches Bild eines von vielen Massakern, bei denen 300 praktisch unbewaffnete Indianer, Männer, Frauen und Kinder von der siebten Kavallerie abgeschlachtet wurden. Die Überlebenden, einst stolze Krieger und Jäger, die über Jahrtausende im Einklang mit der Natur gelebt haben, werden, wie so viele andere amerikanische Ureinwohner, in Reservate gesteckt und einem westlichen Lebensstil unterworfen.

Aber auch die Indianer sind kein unbeschriebenes Blatt. Vierzehn Jahre vor dem Massaker haben sie bei der Schlacht am Little Bighorn die siebte Kavallerie kräftig auseinandergenommen.

Wir haben einen ziemlichen Kloß im Hals, als wir das Museum verlassen. Wir schämen uns für unsere weißen Brüder und all das Unrecht, das geschehen ist und scheinbar immer noch geschieht. Gold, Öl, Großwild und Größenwahn haben wohl in unserer Geschichte schon immer ausgereicht, um andere Menschen zu töten und ihren Lebensraum zu zerstören.

Doch all das ist schon über 150 Jahre her. Wie sieht das Leben heute aus?

Die Einladung ins Wind River Reservat

Wir reisen weiter. Schließlich, am Devil’s Tower, Wyoming, treffen wir auf Zita. Wir dürfen unser Zelt in ihrem Garten für die Nacht aufstellen. Als wir am nächsten Tag zum Frühstück eingeladen werden, stellt sich heraus, dass sie tatsächlich einen Indianer kennt. Er heißt Cleve, lebt in Lander und ist Kunstlehrer an der Schule im Wind River Reservat! Was lange währt…

Cleve und LeannZwei Tage später erreichen wir Lander, nachdem wir eine Nacht am Medicine Wheel in den Big Horn Mountains verbringen. Cleve, seine Frau Lee Anne und ihr lustiger Chau Oso mit Unterbiss heißen uns willkommen und wir dürfen für zwei Wochen Gäste in ihrem Holzhaus sein.

Am Abend gibt es erstmal selbstgejagten Elk (Wapiti Hirsch) für die ausgezehrten Motorradreisenden. Da es sich dabei um SEHR ausgewachsenes Großwild handelt, ist die Zubereitung eine mehrtägige Kochkunst, bis man den Vogel überhaupt kauen kann. Wir preisen Jäger und Köchin und langen zu wie lange nicht mehr, so gut schmeckt der Hirsch.

Wir erzählen von unserer Reise und unserem Anliegen, mehr über die Indianer und ihr heutiges Leben zu erfahren. Cleve verspricht uns, dass uns nicht langweilig werden wird.

Pow Wow in Arapahoe

Unser erstes Erlebnis im Reservat, zu dem Cleve und Lee Anne uns mitnehmen, ist ein Pow Wow, eine Art Tanzfestival, bei dem indianische Tänzer, Männer, Frauen und Kinder von überall herkommen, um in verschiedenen Disziplinen gegeneinander anzutreten.

Da im Reservat der Tag nach Indian Time geplant wird, passiert erstmal gar nichts. Als wir nach europäischer Zeitrechnung schon eine gute Stunde zu spät ankommen, sind alle in Seelenruhe damit beschäftigt, ihre Kostüme herzurichten. Am späten Nachmittag füllen sich dann langsam die Reihen. Erstes Getrommel ist zu hören und der Showmaster schließt die Technik an.

Als dann die Sonne fast untergeht kommt plötzlich Leben in die Truppe. Zu traditioneller Trommel und Gesang laufen die Tänzer ein – ein unbeschreibliches Schauspiel aus Charakteren und farbenfrohen Kostümen.

Schwitzhütte mit Hooter

In Belgien habe wir bereits schon mehrere schamanische Schwitzhütten besucht. Umso begeisterter sind wir, dass uns Cleve zu einer „echten“ Schwitzhütte bei seinem Freund Hooter einschleust. Wir fühlen uns sehr geehrt, sind wir doch die einzigen Weißen bei dieser Zeremonie.

In völliger Finsternis garen wir mit unseren indianischen Gastgebern in der Glut der Steine. Gesänge, Räucherwerk, Gebetsrunden, Aufgüsse und medizinische Getränke wechseln sich ab. Der große Geist durchströmt unsere Körper.

Als wir irgendwann in der Nacht nach vier Stunden wieder ins Freie torkeln, sind wir beseelt von der Freundschaft unserer Roten Brüder und Schwestern und ihrer Verbindung zu Großmutter Erde.

Indianischer Kunstunterricht

Kunstlehrer Cleve lässt sich nicht lumpen und reiht uns in die Bänke seiner Schüler ein. Thema heute: Tierschädel malen. Vor uns liegen diverse ausgeblichene Bisonschädel, jeder bekommt Zeichencarton und weiße sowie braune Kreide. Cleve doziert die Vorgehensweise: Malt die hellen und die dunklen Formen und dann, plötzlich, wird der Schädel auf eurem Papier erscheinen.

Nun, in der ersten Kunststunde erscheint was anderes auf unserem Papier, nachdem wir fleißig mit den anderen Indianerschülern helle und dunkle Formen gezeichnet haben. Nach Bisonschädel sieht das jedenfalls nicht aus. Cleve ist gnädig und prophezeit, dass Practice den Meister macht.

Da wir heute nur Kunstunterricht haben, sitzen wir auch mit den nächsten beiden Klassen bei funzliger Beleuchtung im Atelier der Wind River High School und hören Cleve’s Carlos Santana Platten, während wir helle und dunkle Formen auf Carton malen.

Und dann, plötzlich, erscheint der Schädel auf Papier! Wir sind stolz wie Brötchen, dass wir nach indianischen Gesichtspunkten doch nicht völlig talentfrei sind. Der Blutsbruderschaft steht nichts mehr im Weg. Man muss halt üben!

Weltenstromer Reisevortrag in der Wind River Elementary School

Jedenfalls sind Cleve’s Schüler sehr neugierig auf uns geworden. Mit dem Motorrad um die Welt zu fahren begeistert alle.

Cleve drängt uns, in der Schule einen Vortrag am Freitagnachmittag über unsere Reise zu halten. Wie wir über den Tellerrand hinauszublicken, unsere Ängste überwinden und unserem Herzen folgen.

Wir haben also noch zwei Tage Zeit, unseren ersten Reisevortrag aus dem Boden zu stampfen. Es sollte schließlich auch nicht langweilig werden, wie Cleve uns ja eingangs ankündigte. Wir sehen unsere Fotos durch und basteln den Plot um unsere spannendsten Erlebnisse auf dieser Reise. Wie wir in New York ankommen, Doris uns in Amerika willkommen heißt und uns mit den Amish People bekannt macht, wie wir uns vor Kojoten und Bisons fürchten. Und wir erzählen von der unglaublichen Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, die uns überall begegnet.

Als wir wegen Indian Time den Vortrag dann am Freitag in der Turnhalle spontan doch um die Hälfte einkürzen müssen, schauen uns fünfzig Paar begeisterte braune Augen an. Unser erster öffentlicher Auftritt ist ein voller Erfolg. Kinder und Lehrer schütteln uns die Hände, Fotos werden gemacht.

Friedensarbeit

Die nächsten Tage verbringen wir leise und denken über unser Leben nach. Immer wieder kommen wir zu dem Schluss, wie wichtig es ist, dass wir endlich begreifen, dass alle Völker auf dieser Erde friedlich zusammenleben und lernen, einander zu bereichern. Weiße sind gut darin, sich technischen Kram auszudenken, Rote sind gut darin, Harmonie mit der Erde herzustellen. Wer kann sagen, dass das eine besser sei als das andere? Wir können sagen, dass beides einander bedingt. Beide können voneinander lernen und sich helfen. Und nur so kann unser blauer Planet gerettet werden.

Wir werden von Bill und Joann zu einer Friedenspfeifen Zeremonie anlässlich des Attentats auf die Twin Tower in New York am elften September 2001  eingeladen. Im Kreis von Roten und Weißen wandert die Friedenspfeife von Hand zu Mund. Unsere Herzen beten für den Frieden in der Welt und dass die Menschen endlich verstehen, dass sie jeden Krieg immer nur gegen sich selbst führen.

Nach zwei intensiven und bewegenden Wochen machen wir uns wieder auf die Räder. Im Yellowstone Nationalpark soll jeden Moment der erste Schnee fallen und wir wollen diese Landschaft, die einst der Lebensraum der Indianer war, auf jeden Fall noch sehen. Wir verabschieden uns von Cleve, Lee Anne und Oso.

May peace become our presence.

Ahough.

Andreas


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