San Pedro Retreat im Cusco Healing Tree Center

Für uns war ein wichtiger Grund, um Südamerika zu bereisen, dass vor einigen Jahren die Erdkundalini Energie von Tibet nach Peru gewandert ist (Buchempfehlung: Schlange des Lichts von Drunvalo Melchizedek). Was also noch für unsere Eltern das spirituelle Highlight des Himalaya Gebirges war, ist heute auf dem Südamerikanischen Kontinent zu finden. Während die Energie des letzten Zyklus‘ eher männlich geprägt war, ändert sie sich mit der Wanderung in die Anden und das Amazonasgebiet in eine weibliche Qualität. Was für die Tibeter noch die Meditation auf der Krone der Welt war, ist für die südamerikanische Schamanen die Verbindung mit Mutter Erde und die Arbeit mit der Heilkraft der Pflanzen des Dschungels und der Anden, um das Herz und das Bewusstsein der Menschen für die Schöpfung und die Liebe zu öffnen.

Die in Peru praktizierten Rituale und Zeremonien sind teilweise mehrere tausend Jahre alt. Nach unserem ersten Kontakt mit dem Inkareich auf dem Machu Picchu sind wir sehr gespannt, die Bekanntschaft mit dem Schamenen Toribio aus der Q’ero Comunity zu machen, die in der Nähe des heiligen Berges Apu Ausangate liegt. Die Q’ero Community ist selbst heute noch nur über einen mühsamen Fußmarsch zu erreichen, so abgeschieden liegt sie in den Bergen. Dadurch hat sie fast unberührt die Kolonialzeit und alle weiteren Revolutionen überdauert und ihr reiches Wissen der Ureinwohner über die heilende Kraft der Natur bis heute erhalten.

Anfahrt zum Cusco Healing Tree Center

Zum Glück brauchen wir uns heute nicht mit dem Maultier auf ins Gebirge zu machen. Denn zusammen mit mehreren anderen Schamanen aus dem Andenland und dem Amazonasgebiet arbeitet Toribo im Healing Tree Center eine halbe Stunde nördlich von Cusco. Ganz so einfach stellt sich die Anreise für uns dann allerdings doch nicht dar, da uns das GPS zielsicher in die Pampa lotst. Was auf der Karte wie eine ganz normale Straße aussieht, ist zunächst eine Piste, dann ein Fußpfad für Lamas und Schafe, vorbei an bunt gekleideten und verwundert dreinschauenden einheimischen Bauern. Beherzt ackern wir uns mit den Motorrädern voran, schließlich wissen wir, dass das Healing Tree Center inmitten der grünen Hügel, wilden Felsen und verstreuten Inkaruinen liegt. Kurz darauf endet aber auch der Trampelpfad und es geht querfeldein über Stock und Stein weiter. Das Terrain wird zunehmend schwieriger und wir müssen unsere V-Stroms zu zweit und nacheinander durch die Passagen manövrieren. Dann der Gau: Nach einem Sturz springt mein Motor nicht mehr an. Aufgrund erfolgloser Fehlersuche teilen wir uns auf. Felicitas bleibt bei meinem Motorrad und ich fahre mit ihrer Maschine weiter zum Zentrum.

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Das wars: so ziemlich der ungünstigste Ort um mit Starterschaden liegenzubleiben.

Mittlerweile wird es dunkel, was die Routenfindung zwischen Gestrüpp, Felsen und Abhängen nicht einfacher macht. Zwischendurch laufe ich zu Fuß ein Stück vor, um das Gelände zu erkunden, lasse die V-Strom dann aber doch rund fünfhundert Meter vor dem Ziel an einem Hang liegen und stolpere den Rest durch die Nacht in Richtung der erleuchteten Fenster.

Herzlicher Empfang im Healing Tree Center

Mitarbeiterin Jenny empfängt mich herzlich am Healing Tree Center und ich bin erleichtert, dass wenigstens die Zielkoordinaten stimmen. Ungläubig schaut sie mich an, als ich erzähle, wo Felicitas und die Motorräder sind und schüttelt den Kopf. Eine Straße gibt es in dieser Richtung auf keinen Fall. Nur aus Richtung Cusco und die endet vor der Haustür. Da ist der digitale Fortschritt definitiv der Realität voraus.

Jenny telefoniert und wenige Minuten später ist ein Rettungsteam zusammengestellt, dass sich aus Cusco auf den Weg macht. Bis die anderen eintreffen, machen Jenny und ich uns mit Taschenlampen auf den Weg, um immerhin die gelbe V-Strom schon mal bis zum Center zu bringen. Jenny kennt sich hier aus und nur drei Stürze später ist das erste Motorrad wohlbehalten im Zentrum.

Mittlerweile sind Chef Italo und zwei weitere Männer eingetroffen und wir laufen mit GPS, Decken und Tee bewaffnet durch die Nacht zu Felicitas. Das Höhentraining auf dem Machu Picchu zahlt sich aus und so bin ich auch nur FAST völlig fertig, als wir bei Felicitas ankommen. Die hat sich wegen der eisigen Kälte unser Zelt aufgestellt.

Gemeinsam ziehen wir mein Motorrad mit Starterschaden aus der misslichen Passage und wenden es mit vereinten Kräften hangabwärts. Ich will versuchen, ob wir die Maschine wenigstens im dritten Gang anschieben können. Mit Stirnlampe am Helm rumple ich den Hang hinab, bis die nötige Geschwindigkeit erreicht ist. Kupplung kommen lassen und – tadaa, der Motor springt an, als wäre nichts gewesen! Jetzt bloß nicht abwürgen. Zum Glück zeichnet unser GPS die gefahrene Route auf, sodass wir wenigstens den selben Weg zurück ins letzte Dorf nehmen können, wo die Piste beginnt.

Als wir den Trampelpfad erreichen, läuft einer der Männer zurück, um das Auto zu holen. Er will die anderen in der Puebla abholen. Statt um fünf Uhr Nachmittags sitzen wir spät abends im Healing Tree Center bei einer heißen Hühnersuppe und feiern unser kleines Abenteuer.

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Glücklich am nächsten Morgen im Healing Tree Center mit Manager Italo

San Pedro Zeremonie (Wachuma)

Vor Reisebeginn hatten wir uns gar nicht genauer mit südamerikanischem Schamanismus auseinandergesetzt. Nordamerikanische Zeremonien wie z.B. Schwitzhütten hatten wir bereits in Belgien bei unseren Freunden Maja und Andreas im Institut für Schamanismus und Geomantie kennengelernt. Vor einigen Wochen begann ich also, mich mehr mit den Ritualen und Zeremonien der Inka zu befassen.

Eine der berühmtesten Erfahrungen, die man in Peru machen kann, ist wohl die San Pedro Zeremonie. Während des ein oder mehrtägigen Retreats wird unter schamanischer Anleitung und Supervision eine bittere Medizin getrunken, die aus einem einheimischen Kaktus der Anden gewonnen wird. Des Gebräu  öffnet zusammen mit den schamanischen Gesängen und Reinigungsritualen das Bewusstsein für eine erweiterte Wahrnehmung der Realität und verbindet den Teilnehmer mit der Liebe für Erde, Kosmos – und für sich selbst.

Wir haben bisher keine Erfahrung mit psychoaktiven Substanzen in unserem Leben gemacht. Getreu unserer Mütter „Kind, lass die Drogen sein!“ beschränken sich unsere Experimente auf den spärlichen Genuss alkoholischer Getränke. Davon werde ich aber hauptsächlich müde, sodass mich weitere Eskapaden bisher nicht interessiert haben.

Mich im Hinblick auf Heilung von Herz, Seele und Verstand dem Thema unter professioneller Leitung und jahrtausendealter Erfahrung und Tradition zu stellen, macht mich dann aber doch gespannt und neugierig. Schließlich werden die heutigen Inkas teilweise deutlich über hundert Jahre alt und verfügen weder über einen Arzt noch eine Apotheke in ihren Dörfern.

Volcanic Water Cleansing

Bevor das San Pedro Retreat allerdings beginnt, steht zunächst eine körperliche Grundreinigung mit Volcanic Water aus den Anden auf dem Programm. Ich muss 4,5 l der eklig salzigen Flüssigkeit in mich hineinschütten. Felicitas kommt besser weg, sie ist schon nach 3 l fertig. Danach verbringen wir ein paar Stunden auf dem Klo, bis die Sulfatlake unsere Innereien blitzeblank gespült hat. Italo erklärt uns, dass diese Entgiftung vor der Einnahme von Wachuma wichtig ist. So können unerwünschte Nebenwirkungen deutlich reduziert werden.

Ganz so schlimm, wie sich diese Prozedur anhört, ist sie dann aber zum Glück doch nicht. Kurz darauf dürfen wir schon wieder essen und erfreuen uns an dem köstlichen Mittagessen im Center.

San Pedro Retreat im Healing Tree Center

Am nächsten Morgen trifft Schamane Toribo ein und erklärt uns den Ablauf des Retreats. Mitarbeiterin Jenny übersetzt und wir beginnen den Tag mit einer Unification Zeremonie mit Coca Blättern, bei der um die Unterstützung des Kosmos, der Erde und der Ahnen gebetet wird.

Kurz darauf sind wir bereit, von der San Pedro Medizin zu kosten. Hier in Peru nimmt man den Begriff der „bitteren Medizin“ noch wörtlich. Wachuma ist eine unappetitliche, zähflüssige Substanz. Wir bemühen uns, die dargereichte Dosis in einem Zug zu trinken und schlucken und kauen den Becher mit leicht gequälten Gesichtszügen in uns hinein. Geschafft!

Jetzt dürfen wir erst einmal eine Stunde im Garten liegend die Sonne genießen bis die Wirkung sanft einsetzt. Dann packen wir unsere Rucksäcke und machen uns auf die Wanderung in die wunderschöne Natur. Mittlerweile ist die Wirkung des Kaktus nicht mehr zu leugnen. Wie pubertierende Teenager, die sich heimlich eine Schnapsflasche reingezogen haben, kichern und prusten wir durch die grünen Wiesen. Toribo deutet uns, dass wir uns zwischen Felsen an einem Wasserlauf niederlassen sollen.

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Schamane Toribo betet zu den Kräften der Natur

Ich liege im Gras und schaue in den Himmel. Wo die anderen sind, weiß ich nicht genau. Von unten vom Wasser höre ich Toribo auf seiner Flöte spielen. Die Musik trägt mich fort und ich verliere jegliches Raum- und Zeitgefühl. Ich fühle mich einfach nur glücklich und mit der Natur verbunden. Die Grenzen zwischen mir und dem Rasen verschwimmen merklich. Ich fühle mich eher als Teil der Erde und stelle mir vor, wie ich als erster Mensch vom Sonnenlicht erwärmt aus der Erde geschöpft werde. Ich verstehe nun vollständig, warum Sonne und Erde für die Naturvölker von so unglaublicher Wichtigkeit sind. Ich fühle einen Strom der Liebe zwischen Sonne und Erde durch mich fließen und bin ganz ergriffen von diesem Erlebnis.

Etwas torkelnd mache ich mich unbestimmte Zeit später auf den Weg zu den anderen am Wasser. Toribo flötet immer noch geheimnisvolle schamanische Melodien. Ich entledige mich meiner Kleider und klettere in den Bach. Ich hocke mich unter einen kleinen Wasserfall und verliere erneut jegliches Zeitgefühl. Als ich wieder zu mir komme, umarme ich gerade einen Felsen. Jenny steht am Ufer und bittet mich, doch endlich etwas anzuziehen. Die anderen Wanderer würden schon gucken…

Kuti Reinigungszeremonie

Zur Mittagszeit suchen wir uns ein schattiges Plätzchen. Dass ich zwischendurch immer wieder wegdrifte, macht mir etwas Sorgen und ich bitte Toribo, meine Hand zu halten. Das schenkt mir Vertrauen und erdet mich wieder. Jetzt steht die große Reinigungszeremonie an. Wie in der Einführung erklärt, bittet uns Jenny, noch einmal auf all das zu konzentrieren, was wir nicht mehr in unserem Leben haben wollen. Wir tun, wie uns geheißen und Toribo macht sich mit Tabak, Marakas, einer Condorfeder und diversen weiteren schamanischen Werkzeugen daran, unsere Energiekörper zu reinigen. Und dann ist es um mich geschehen.

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Maestro Toribo in Tracht bei der Arbeit

Ich fühle mich plötzlich überhaupt nicht mehr gut, stattdessen kommen mir wie in einem Alptraum alle möglichen Emotionen, Ängste und Visionen hoch. Das kann Teil des Ausleitprozesses sein, wie ich am nächsten Tag erfahre. Jetzt ist das ganze jedoch erschreckend real. Felicitas scheint es auch nicht besser zu gehen, Jenny und der Schamane betreuen sie schon eine gefühlte Ewigkeit. In mir ringt mein Glaubenssatz „Ich schaffe das alleine, ich brauche keine Hilfe!“ mit den überschäumenden Ängsten. Dann geht mir wieder das Zeitgefühl verloren.

Wir machen uns auf den Rückweg. Felicitas wird immer noch von den beiden unterstützt und ich stapfe stoisch hinterdrein. Mir ist es ein Rätsel, wie hier nur so viel Müll in dieser wunderbaren Landschaft rumliegen kann. Einer kosmischen Eingebung folgend, mache ich mich daran, Plastikteile entlang des Pfades aufzusammeln. Jenny kommt mit dem Auto zurück und bittet mich, doch bitte mit Toribo und Felicitas Schritt zu halten. Wortlos nicke ich und reiche ihr den gesammelten Müll ins Auto. Kurz vor dem Center hole ich Felicitas wieder ein, die sich bei unserem Schamanen untergehakt hat.

Wie ich genau ins Bett gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Von schlimmer Angst geplagt wache ich auf. Immer noch kämpfe ich mit mir: “Nein ich brauche keine Hilfe. Es ist viel wichtiger, dass Felicitas versorgt ist.“ Die scheint allerdings unten zu sein, ich bin allein im Zimmer. Langsam dämmert mir in meinem Hirn, dass wohl Teil der Reinigung ist, die alten Glaubensmuster loszulassen. Es kostet mich große Überwindung, schließlich doch nach dem Schamanen zu rufen. Um auch wirklich etwas zu lernen, muss ich scheinbar sogar zehnmal rufen. Ob ich bei den ersten Versuchen überhaupt einen Ton über die Lippen gebracht habe, weiß ich nicht. Endlich erscheint Toribo mit seiner Condorfeder, hält meine Hand und betet. Ich döse wieder weg.

Im Halbschlaf erscheinen mir Visionen meiner Ahnen. Ich bitte sie, alle Verträge und Erwartungen von mir zu nehmen und sie verschwinden wieder.

Ich tapse die Treppe runter in die Küche. Felicitas sitzt da und sieht ziemlich fertig aus. Ich bitte auch sie, alle Verantwortung von mir zu nehmen. Müde nickt sie. Jenny hatte heute morgen in der Einführungsrunde wohl einen entscheidenden Satz gesagt: „Der wichtigste Mensch in unserem Leben sind wir selber.“ Das klang heute morgen noch sehr einfach.

Während ich hier sitze und die Reinigung über mich ergehen lasse, wird mir scheibchenweise klar, wie verstrickt wir doch alle sind. Wie wir uns um alle möglichen Menschen unter dem Deckmantel der Liebe kümmern und dabei überhaupt nicht richtig für uns selbst sorgen können. Heute am Fluss habe ich die bedingungslose Liebe der Schöpfung erlebt, wie ich Teil des Ganzen bin. Jetzt, wo meine Dämonen aus dem Keller kommen, merke ich aber deutlich, wo ich diese reine Form der Liebe gar nicht in mir habe. Ich sehe mich mit all meinen Verletzungen konfrontiert, wo ich Handelsbeziehungen der Liebe eingegangen bin. Und ich darf noch einmal durch alle Ängste gehen, die ich in meinem Leben unterdrückt habe, als ich keine bedingungslose Liebe als Menschenkind erfahren habe.

Nachts um drei hocken Felicitas und ich noch immer in der Küche und zählen unsere Finger. Das wackelige Gefühl fängt langsam an zu schwinden und unser Geist beginnt, die Grenzen unseres physischen Körpers wieder als eine doch ganz gute Form der Realität zu akzeptieren. Was für ein Tag. Wir zwingen uns noch etwas Suppe zu essen, um unseren Stoffwechsel in Gang zu bringen und schleppen uns mit einem heißen Tee ins Bett. Dass eine schamanische Reinigung mit ein bisschen Kaktus und Geflöte so reinhauen kann… Und morgen das Ganze nochmal! Ich werde auf jeden Fall eine kleinere Dosis nehmen.

Ein paar Tage später sitze ich in den grünen Hügeln über dem Healing Tree Center und sinne über das Erlebnis nach. Seit dem San Pedro Retreat bin ich sehr still und in mich gekehrt. Ich fühle mich zentrierter, weniger abgelenkt vom Außen. Das Gefühl der Anbindung an Erde und Kosmos ist immer noch da. Meine Ängste aus der Nacht sind verschwunden. Ich fühle den Strom der Liebe zwischen Himmel und Erde durch mich fließen, so wie ich ihn unten am Fluss gespürt habe. Wie das wohl wäre, wenn alle Menschen ihre Ängste überwunden haben werden und sich in der reinen Liebe befinden?

Andreas


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Du selbst schreibst deine Geschichte

Weißt du noch, wie du als Kind spieltest? Du spieltest in deine Geschichten Prinzessin, Feuerwehr, Astronaut (oder wahlweise Kosmonaut), Zauberin, Cowboy, Indianer, Vater, Mutter, Kind oder Superheld. Nein, du spieltest es nicht nur, du warst es in dem Moment! Da gab es keine Einschränkung. Du warst Herrscherin eines gesamten Reiches, hattest magische Kräfte, konntest zum Mond und in entfernte Galaxien fliegen oder jedes Ziel aus einem Kilometer Entfernung mit verbundenen Augen mit dem Pfeil ins Schwarze treffen. Es gab keinen Zweifel. Du wusstest, konntest und hattest alles, was du brauchtest, um genau das sei sein, was du wolltest.

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Wer willst du sein?

Und dann? Was ist dann passiert? Dann wurdest du erwachsen. Dann ging das alles auf einmal nämlich nicht mehr. Für die Prinzessin fehlte das Schloss, für den Astronauten die Rakete und die romantischen Indianer aus den Westernfilmen gibt es so heute auch nicht mehr. Schade eigentlich. Geschichte vergessen, Träume begraben, Fähigkeiten auch gleich mit. Und obwohl du immer größer wurdest, wurdest du gleichzeitig immer kleiner.

Deine Geschichte, die von deinen Abenteuern und Freuden erzählt, beschreibt nun nur noch wie du alles daran setzt, deinen Job zu behalten, wie du deine Steuererklärung machst oder das Haus putzt und dich im Hamsterrad drehst.

Und was wäre, wenn du diese, deine Geschichte wieder in die des Cowboys und der Zauberin umschreiben könntest? Geht nicht? Zu spät? Zug schon abgefahren? Dann habe ich hier ein Beispiel von historischer Bedeutung, das das Gegenteil zeigt! Erzählt hat uns dieses unser neuer Freund Leo als wir mit ihm Tempelruinen in Mexico City besuchen.

Wie die Azteken ihre Geschichte schreiben

Also begeben wir uns zurück in das 14. Jahrhundert und zwar nach Mexiko zu den Azteken. Diese zählten zu einem der wüstesten Stämme, die im heutigen Raum Mexikos lebten. Sie waren sogar so wüst, dass die anderen Stämme nichts mit ihnen zu tun haben wollten – sogar dann nicht, als die Azteken hungernd nach Hilfe suchten wurden sie fortgejagt. So zogen sie rund um den See herum, der heute Mexiko Stadt ist, und waren irgendwann vermutlich ziemlich verzweifelt. Aber weg gingen sie offenbar davon auch nicht.

Also sannen die anderen nach einer neuen Möglichkeit, die Azteken loszuwerden. Schließlich überlegten sie sich, den gemeinsamen Feind einfach auf die Insel inmitten des Sees zu schicken. Diese wurde nämlich nur von überaus giftigen Schlangen bevölkert und die sollten dann den unliebsamen neuen Nachbarn endlich den Garaus machen.

Doch es kam irgendwie ganz anders als gedacht: Die Azteken fingen die zahlreichen Kriechtiere und aßen sie einfach auf. Dann entwässerten sie den Boden, gruben Kanäle und bauten Gemüse an – teilweise sogar in Booten. Sie wurden richtig sesshaft und fingen auch alsbald an, ihren Göttern zu huldigen. Die Hauptgötter waren Tlalok, der Gott des Regens, und Huitzilopochtli, der Gott des Krieges. Beide nahmen ausschließlich Menschenopfer als Gabe an. Du kannst dir vorstellen, wie es weiterging. Die Azteken überfielen mit ihren berüchtigten Truppen die Nachbarstämme, machten Sklaven und ließen das Blut in Strömen fließen.

Vom geächteten Stamm zum Erschaffer einer Nation

Ihre Götter wünschten sich offenbar alle 52 Jahre eine neue Schicht um den ihnen geweihten Tempel. Das hatte nebst eines vergrößerten Bauwerks allerdings eine Einweihungszeremonie zur Folge, in der das But nur so strömte. Natürlich primär das Blut von Nicht-Azteken. Die umliegenden Nachbarn bekamen es entsprechend ziemlich intensiv mit der Angst zu tun und versuchten es mit Tributzahlungen bzw. wurden zu diesen angehalten. Die wurden selbstverständlich gerne angenommen, doch die Götter forderten weiterhin ihren Blutzoll. Also schauten die Azteken immer mal wieder bei ihren Nachbarn vorbei und nahmen welche mit.

Nach und nach entwickelten sich die Azteken zum mächtigsten Stamm in Mittelamerika. Da sollte die Geschichte des vertriebene Volksstammes nicht als Makel an ihnen haften bleiben. Sie entschlossen sich also, einen kleinen Kunstgriff zu tätigen und schrieben die Geschichte einfach neu: Die Azteken waren auf der Suche nach einem Ort, um sesshaft zu werden. Es erschien ihnen dabei ein Adler über einer Insel. Er flog auf diese herab und fing eine Schlange, um sie zu verspeisen. So wussten sie, dass dort die ihnen von den Göttern angedachte Heimat sei. Jetzt brauchst du nur zu wissen, dass die Azteken den Adler als einen besonderen Vogel verehrten, um zu verstehen, warum er ihnen so eindrücklich den Weg aufzeigte.

Tja, und weil die Azteken so bedeutend waren, ein Imperium und die heutige Hauptstadt Mexikos gründeten, bekam ihre Adler-Vision das Wahrzeichen auf der Nationalflagge. Wer es ganz genau wissen will, kann ja noch ein bisschen weiter recherchieren.

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Pyramid of the Sun in Teotihuacán

Die Geschichte verändern, darf man das denn?

Tja, aus psychologischer Sicht handelt sich dabei sogar um ein probates Therapiemittel. Denn, es gibt einen interessanten Fakt: Unser Gehirn kann zwischen Realität, was das objektiv auch immer betrachtet sein mag, und Fiktion nicht differenzieren. Das kennst du ja schon von deine Spielen als Kind. Du warst ganz real ein Indianer oder Astronaut. Eine Geschichte ist also genau dasselbe für unser Denkorgan wie etwas tatsächlich Erlebtes. Vielleicht haben die Azteken das auch schon herausgefunden? Sie haben sich vielleicht auch gedacht, warum als Vertriebener, unliebsamer Stamm durch die Epoche schleichen, wenn man auch als Superstamm Weltgeschichte schreiben kann? Sozusagen vom Tellerwäscher zum Millionär, wenn du verstehst, was ich meine.

Doch derartige Pläne, Millionär, Superheld, Bezwinger von Herausforderungen, kann man eben nicht umsetzen, wenn man von sich das Bild eines Kriechwurms hat. So haben die Azteken es sogar als ganzes Volk geschafft, ein Bild von sich und ihrem Ziel zu entwerfen und ihre Geschichte entsprechend zu schreiben – und zwar rückwärtig und zukünftig. Und diesen Fakt finde ich spannend. Sie hätten ja auch einfach in der Stunde ihrer Not aufgeben und verhungern oder sich den Reptilien zum Fraß vorwerfen können. Wollten sie aber nicht und so haben sie für sich gekämpft. Sie hatten von sich das Bild eines prosperierenden Stammes mit Kultur und offenbar auch weitreichendem Einfluss.

Ach ja, nur um eines sicherzustellen, ich meine jetzt nicht, dass man einzeln oder als komplettes Volk die eigene Geschichte verleugnen oder bei der Verwirklichung seiner Träume über Leichen gehen soll. Die eigene Geschichte zu kennen, ist wichtig. Denn wenn man weiß, wo man herkommt, löst das einige Fragen in der Findung der eigenen Identität. Die Azteken haben sich so verhalten, wie es in ihrer Zeit üblich war. Da standen eben noch Menschenopfer und das gegenseitige Überfallen hoch im Kurs. Heute ist das glücklicherweise aus der Mode gekommen. Ich finde es jedenfalls faszinierend, wie ein ausgestoßener, fast dem Ende geweihter, zugegebenermaßen sehr kriegerischer Stamm, sich einen Lebensraum schafft, eine Kultur aufbaut und über Jahrhunderte die Weltgeschichte prägt.

Experiment: Die eigene Geschichte entwerfen!

Und wie ist das bei uns selbst? Haben wir eine Vision von und für uns? Kämpfen wir immer für das, was uns wichtig ist? In vielen Fällen lautet die Antwort vermutlich: Nein, tun wir nicht. Weil, ja weil, weil wir gerade müde sind, weil der Gegenüber uns dann vielleicht nicht mehr so mag, weil uns Gegenwind erwartet, weil morgen auch noch ein Tag ist, weil unsere Geschichte nun mal die des braven Bürgers, Arbeiters, Nachbarn ist. Gründe gibt es derer viele. Ich glaube, das oft der Hauptgrund ist, dass wir uns einfach nicht vorstellen können, dass unsere Geschichte, unser Leben anders sein könnte als es das gerade ist. Lassen andere oder die Umstände für uns entscheiden und leben irgendein Leben, aber nicht das eigene.

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Wer bist du: Einsamer Steppenwolf, wildes Raubtier, flauschiger Kuschelwolf?

Ist doch ein interessantes Experiment: Ich male mir meine Lebensgeschichte mit mir als Hauptdarsteller aus. Vielleicht auch erst einmal für den nächsten Monat oder die nächste Woche – und zwar mit allen Raffinessen! Wie bin ich? Was zeichnet mich aus? Was erlebe ich? Wie fühle ich mich? Und dann verhalte ich mich eben einfach entsprechend meiner Geschichte. Denn, ich bin ja ihr Autor, ich kann schreiben, was passiert. Und wenn es mal unangenehm ist, überlege ich eben, wie sich der Held der Geschichte verhalten soll und tue es eben. Beim Spielen als Kind kannte ich als Zauberin beispielsweise alle, aber wirklich alle Zauberformeln auswendig und konnte sie in jedweder Situation anwenden und diese in meinem Sinne anpassen. Also warum nicht einfach als Erwachsene dasselbe tun?

Das Ganze klingt zu abstrakt? Ein Beispiel: Vor drei Jahren haben wir uns entschlossen, mit den Motorrädern um die Welt zu knattern. Entsprechend haben wir unsere Geschichte so ausgemalt, dass wir eine tolle Reise erleben werden, Menschen begegnen werden, Herausforderungen meistern, unsere Wohnung erfolgreich untervermieten, unseren Chefs unsere Pläne unterbreiten und insgesamt einer Zukunft entgegen sehen, die nur bedingt planbar ist. Ich habe mir fürderhin vorgestellt, dass ich so lässig und überzeugend zu meinem Chef ins Mitarbeitergespräch gehe, dass ich noch meinen Anschlussvertrag für ein weiteres Jahr unterschreiben und weiterhin tolle Aufgaben haben werde, obwohl ich im selben Atemzug kündige. Hat funktioniert. Musste meinem Chef nur versprechen, eine Postkarte aus Patagonien zu schicken.

Fake it until you make it!

Das ist ebenfalls eine alte Psychologenweisheit. Also einfach so tun, als hätte man die neuen Verhaltensweisen schon verinnerlicht und integriert. Das klappt. Denn, Fiktion und Realität sind dasselbe! Und wenn es nicht beim ersten Versuch funktioniert, dann beim nächsten – auch Superhelden haben ihre Lernkurve.

Die Azteken haben sich bestimmt auf ihrer Schlangeninsel ebenfalls vorgestellt, wie toll es und heimelig es dort einmal werden wird und wie sie dort in schicken Häusern wohnen und Ruhe vor ihren Nachbarn haben werden. Tja, und heute ist die Schlangeninsel sogar die Hauptstadt eines Landes, der Adler aus der Vision ist auf der Nationalflagge. Und es gibt fürderhin sogar diverse Spiele mit den Azteken zum Thema Schätzebergen, vom Brettspiel bis hin zum Online-Game, und Montezumas Rache ist uns auch allen geläufig.

Mehr zum Thema von Amy Cuddy

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=6cnldCAR710?rel=0&w=560&h=315]

Wie geht deine Geschichte?

Das Ganze Geschichteschreiben ist schön und gut, es gibt nur eine Sache zu beachten: Es funktioniert nur, wenn die Geschichte von meinen eigenen Herzenswünschen handelt. Wenn ich mir erzähle, dass ich der nächste Cocodile Dundee werde, weil Paul Hogan im Fernsehen so cool und lässig rüberkam, ich aber insgeheim nichts mit den Großechsen zu schaffen haben möchte, dann werde ich höchstens mit dem Stoffalligator beim Filmegucken glückliche Zeiten haben, das Flugticket ins Caiman-Paradies Florida aber nie bezahlen können.

Also kommen wir zurück zum Anfang: Was begeistert mich? Was macht mich glücklich? Was ist etwas, das mir entspricht? Wie soll mein Leben in den schönsten Farben gezeichnet sein? Bei welchen Tätigkeiten lache ich wieder wie ein Kind und vergesse die Welt um mich herum? Welches Verhalten inspiriert mich, lässt mich wachsen, mein Potential entfalten? Wie soll meine Lebensgeschichte lauten, wenn ich sie meinen Enkeln einmal erzähle?

Von diesen Dingen soll meine Geschichte handeln! Denn so wird es keine 0815-Kino-Story, sondern meine ganz eigene. Und das geht nur, wenn sie von meinen Herzenswünschen erzählt. Denn für diese lohnt es sich zu kämpfen, zu arbeiten und Herausforderungen zu bezwingen. Und für die Umsetzung von Herzenswünschen sehen plötzlich alle erforderlichen Ressourcen zur Verfügung.

Also, den mentalen Stift gezückt, die eigene Herzensgeschichte schreiben und sich so erfinden, wie man es sich schon immer vorgestellt hat! Viel Vergnügen dabei, denn das soll das Ganze ja ebenfalls bringen. Zur Inspiration gibt es noch passend zum Thema einen Song der Indie-Band Madsen aus dem Jahre 2006. Den find ich persönlich inspirierend, weil hier die Konfrontation mit uns allen bekannten Herausforderungen in den Kontext der Ewigkeit gesetzt wird und die Quintessenz für mich lautet, dass wir eben mehr sind als nur ein kleiner Augenblick im Getriebe der Zeit. So wie die Azteken.

Madsen – Du schreibst Geschichte

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=d9KcHGm1Qog?rel=0&w=560&h=315]

Weil die Welt sich so schnell dreht
Weil die Zeit so schnell vergeht
Kommst du nicht hinterher
Weil die Hektik sich nicht legt
Und du in der Masse untergehst
Bist du ein Tropfen im Meer

Doch du lebst länger als ein Leben lang
Du bist das womit alles begann
Denn du schreibst Geschichte
Mit jedem Schritt
Mit jedem Wort
Setzt du sie fort
Du schreibst Geschichte
An jedem Tag
Denn jetzt und hier
Bist du ein Teil von ihr

Weil ein Monster vor dir steht
Und dir bedrohlich in die Augen sieht
Bist du lieber still
Weil jeder dir erzählt
Wer du bist und was dir fehlt
Vergisst du, was Du sagen willst

Doch du lebst länger als ein Leben lang
Du bist das womit alles begann
Denn du schreibst Geschichte
Mit jedem Schritt
Mit jedem Wort
Setzt du sie fort
Du schreibst Geschichte
An jedem Tag
Denn jetzt und hier
Bist du ein Teil von ihr

Weil du nur einmal lebst
Willst du, dass sich was bewegt
Bevor du gehst
Bevor du gehst

Doch du lebst länger als ein Leben lang
Du bist das womit alles begann
Denn du schreibst Geschichte
Mit jedem Schritt
Mit jedem Wort
Setzt du sie fort
Du schreibst Geschichte
An jedem Tag
Denn jetzt und hier
Bist du ein Teil von ihr

Felicitas


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Licht in die Schattenseiten bringen

Wir besuchen die Lavalandschaft Craters of the Moon. Um uns herum ist alles schwarz, kein saftiges Grün, kein Nix. Trampelpfade führen zu Höhlen, vorbei an eingesunkener, versteinerter Lavakruste. Keine Vogelstimmen in der Luft, alles wirkt irgendwie gedämpft.

Auf einem Lavaberg, auf dem sich ein einzelner Baum wacker gegen den tosenden Wind hält, können wir in die Weite sehen und gewinnen den Eindruck, in einem einzigen Schatten zu stehen. Farben sind erst wieder außerhalb eines Kilometer breiten Radius‘ erkennbar. Hinter uns türmen sich Berge, in denen sich ein Gewitter zusammenbraut.

In dieser Atmosphäre klettern wir in eine Höhle. Entgegen der Anweisung haben wir keine Taschenlampe oder andere Lichtquelle am Start. Ganz alleine stehen wir in der Dunkelheit, sehen kaum die Hand vor Augen und dabei sind wir erst kurz hinterm Eingang. Weiter hinten soll es Eiszapfen zu bestaunen geben. Doch wir kommen wir dahin? Der Boden ist voller Geröll und alles ist tiefschwarze Nacht. Wir bleiben stehen und lassen unsere Augen sich an unsere Umgebung anpassen. Langsam, ganz langsam erkennen wir Umrisse, die sich zuvor unserem Blickfeld entzogen haben. Nun sind wir für die nächsten Schritte bereit. Intuition und Schemen leiten uns immer weiter in das Dunkle hinein. Irgendwann stehen wir in der Höhle und sehen sogar die uns jetzt erst erscheinenden weißen Eiszapfen. Wir genießen die neue Perspektive.

Als wir dann zurück zum Licht gehen, ist es erstaunlich einfach. Der Weg, der zuvor mehr tastend bewältigt wurde, liegt auf einmal klar und hell vor uns.

Die Begegnung, die wir mit der Dunkelheit physisch erlebt haben, wirkt emotional und mental weiter. Geht es uns allen nicht manchmal so, dass wir Seiten in uns tragen, die wir uns nicht gerne ansehen wollen oder die sich unserem Sichtfeld entziehen, um im Verborgenen zu bleiben? Wenn wir ihnen jedoch Zeit und Aufmerksamkeit schenken, offenbaren sie sich uns nach und nach. Auch wenn dieser Prozess häufig schmerzhaft ist, lohnt er sich. So erkennen wir oft, dass sich hinter dem ursprünglich gedachten Problem, einer unangenehmen Emotion oder Situation etwas ganz anderes verbirgt, als wir im ersten Moment annehmen. Wenn wir diesen Kern gefunden haben und liebevoll annehmen, mit Licht erfüllen, stellen wir fest, dass der Pudels Kern gar nicht schlimm ist, sondern eine Erfahrung, die wir gemacht haben und wir sind von dem Schmerz befreit. Was uns zuvor wie eine nimmer endend Nachtwanderung oder Marter erschien, kommt uns jetzt wie ein Abenteuer vor, aus dem wir sogar einen Schatz mitbringen. Es macht Lust auf mehr und ist spannend. Also unabhängig davon, wie turbulent der Alltag, Konflikte, Krisen sich darstellen, die Reise ins Innere lohnt sich. Denn eigentlich zeigen uns solche Situationen nur auf, dass es etwas Neues für uns zu entdecken gibt und die Zeit dafür reif ist bzw. wir es jetzt sind, uns damit auseinanderzusetzen.

Felicitas 


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Sandhills Nebraska – wo sich Himmel und Erde berühren

Nach der Sonnenfinsternis bleiben wir noch ein paar Tage in den Sandhills, Nebraska. In der Nähe von Mullen campieren wir irgendwo in der Unendlichkeit der Prärie.

Für uns hat diese Gegend etwas magisches, so fernab jedweder menschlicher Zivilisation. Im Geiste malen wir uns aus, wie sich wohl die Indianer an eine Bisonherde herangepirscht haben.

Während wir sinnend zwischen den Hügeln sitzen und den Blick über die Gräser schweifen lassen, wird uns bewusst, wie entfremdet von unserer Erde und unserer menschlichen Natur wir in der doch so gepriesenen westlichen Welt dahinvegetieren.

Statt uns mit der Natur zu verbinden, die Erde, das Wasser, den Wind und die Sonne zu spüren, stiert der Homo Sapiens körperlos auf PC, Fernseher und Handy. Das Leben wird virtuell.

In der unfassbaren Größe der Prärie fühlen wir uns sehr, sehr klein. Außer unserem Campingkram, unseren Mopeds und einer quitschenden Windmühle, die Grundwasser in eine Kuhtränke pumpt, gibt es nichts, was an die Errungenschaften der Menschheit erinnert. Und auch nichts, was uns vom absoluten hier-und-jetzt-sein ablenkt.

Eins ist mal sicher: Wir leben in einer Komfort- und Ablenkungskultur. Taucht irgendwo ein unangenehmes Gefühl auf, ist reichlich dafür gesorgt, dass es uns gleich „wieder gut geht“. Aber nicht, indem wir uns mit uns selbst auseinandersetzen, sondern indem wir Trost im Außen suchen. Flucht in die digitale Welt, in der es ja per Definition keine negativen Gefühle gibt, ungesundes, zuckerreiches Essen, irgendwas einkaufen, das einem kurz einen Lichtfunken der Freude spendet, oder doch einfach eine Pille aus unserem ach so gut entwickelten Gesundheitssystem. Die Liste ist wahrscheinlich endlos, jeder hat seine eigenen Strategien.

Und so hält sich das System selbst am Leben: Je mehr wir uns ablenken, desto mehr entfremden wir uns von uns selbst und desto mehr sind wir bereit, Geld zum Erhalt der Illusion auszugeben.

Bis diese Illusion irgendwann platzt.

Hier in den Sandhills gibt es keine Illusion. Wir müssen wohl oder übel fühlen, was da ist. Und das ist eine spannende, tiefe persönliche Erfahrung.

Wir verbringen mehrere Tage mit Innenschau, Austausch und Meditation. Mit Fühlen, Annehmen, Verzeihen und Loslassen.

Als wir schließlich weiterfahren, fühlen wir uns genauso weit, wie die Landschaft, in die wir eintauchen durften. Ruhe, Frieden und Klarheit durchströmen uns.

Wir wollen mehr über die Menschen erfahren, die einst dieses Land bevölkerten. Die verstanden haben, wie der Mensch in Einklang mit der – und mit seiner – Natur lebt.

Andreas


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Über Beruf und Berufung

Zur Freude und Erholung besuchen wir in Madison Thomas, Andreas‘ Freund aus Schulzeiten, mit dessen Familie. Es ist ein bisschen skurril, die Heimat in der Fremde anzutreffen und gleichwohl ist es sehr schön.

Thomas ist Physiker und erforscht Teilchen in der kosmischen Strahlung mit ziemlich krassen Teleskopen. pSCT ist das eine Teleskop, was in Arizona gebaut wird. Damit sucht er nach hochenergetischer Gamma-Strahlung. Das andere heißt ARA und ist ein Teleskop am Südpol. Damit möchte er hochenergetischen Neutrinos finden. (Jetzt muss ich wohl zugeben, dass mir Thomas das so gemailt hat. Ich hab mir nur gemerkt, dass er blaue Blitze erforscht und ins Packeis in der Antarktis  guckt…. Sieh dir lieber die Seiten für genaue Details an.)

Auf mich wirkt er insgesamt so, als hätte er seine Berufung gefunden. Mal ehrlich, warum wollte man denn sonst versuchen, blaue Blitze zu fotografieren, die sonst nicht ohne weiteres sichtbar sind, und Monate lang am Südpol in Eiseskälte und Dunkelheit mit nur Pinguinen als Gesellschaft verbringen? Das war der erste Impuls in Madison zum Thema Beruf und Berufung.

Der zweite folgt bei Elspeth und Bruce, den Nachbarn von Thomas. Hier verbringen wir nämlich zwei volle Wochen, da Andreas einen Fotokurs besuchen will, Thomas und dessen Familie aber in den Urlaub fährt und deren Vermieterin keine Fremden im Haus haben will.
DSCF2632_1024Diese Konstellation stellt sich wahrlich als glückliche Fügung heraus. Das Motorrad kann hier von seinem Wasserschaden repariert werden und wir kommen in den Genuss von Elspeths Kochkunst. In ihrem Berufsleben war sie nämlich professionelle Köchin und hat eine hungrige Meute in einer Studentenverbindung für gut 20 Jahre durchgängig verpflegt.

Zwei Wochen lang bekochen wir uns nun allabendlich gegenseitig – selbstverständlich DSCF2766_1024stets mit mindestens drei Gängen – und philosophieren beim Dinner im Garten. Mal eben so kredenzt Elspeth Artischocken in Zitronenbutter, Lammrippchen vom Grill, krosse Kartoffeln aus dem eigenen Garten, Schweinebraten mit Juice oder selbstgebackenes Sauerteigbrot und Müsliecken zum Frühstück.

Tagtäglich steht sie in der Küche und komponiert köstliche Menüs mit Leidenschaft, Freude und Liebe. Dazu serviert sie in goldenen Tassen Espresso. Ich fühle mich wie im kulinarischen Himmel. Das ist der Impuls Nummer zwei zum Thema Berufung. Die Fragen drängen sich förmlich auf:

Was habe ich für Fähigkeiten?
Was mache ich gerne?
Und wie gestalte ich daraus einen Beruf, der Berufung zugleich ist? Also etwas, dass nicht nur mir, sondern auch anderen zugute kommt? Etwas, dass die Welt ein bisschen freudvoller, schöner und besser macht?

Wie oft quält man sich durch den Arbeitsalltag, steuert konstant auf den Feierabend und das Wochenende zu, nur um sich von der Woche erholen zu können. Doch von Weiterentwicklung oder Mehrwert für den nächsten ist hier selten die Rede. Kann das schon alles gewesen sein? Arbeit, Fernsehen, Schlafengehen. Und morgen wieder dasselbe?

Nein, nicht auf Dauer. Zwischenzeitlich ist das völlig in Ordnung, um Rechnungen zu begleichen oder sein Butterbrot zu finanzieren. Doch gleichwohl bin ich mir sicher, dass wir Menschen nicht auf der Erde sind, um nur herumzudümpeln, um irgendetwas zu tun.

Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass wir hier sind, weil es einen Sinn gibt und jeder die Aufgabe hat, diesen für sich herauszufinden und nach dessen Erfüllung zu streben. Im Idealfall treffen hier Beruf und Berufung aufeinander.

Felicitas


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Rollenbilder ohne Zwist – zu Gast bei den Amish People (#3)

Drittes C: Childen and Family

Traditionelle Aufgabenverteilung der Erwachsenen

Die Familien leben in mehreren Generationen zusammen. Oft in verschiedenen Häusern auf einem Gehöft. Der Gedanke ist, dass die Alten von der jüngeren Generation gepflegt werden.

Männer und unverheiratete Frauen gehen einer Arbeit nach. Das können Bereiche sein wie z.B. Pferde- und Viehzucht, Farmer, Käseherstellung. Wayne hat seine eigene Firma Pioneer Equipment gegründet und dort werden Wagen und Ackerbaumaschinen, die von Pferden gezogen werden, von knapp 50 Mitarbeitern hergestellt, beworben und vertrieben.

Ehefrauen und Mütter sind zumeist für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig. Sie kochen von früh bis spät äußerst lecker, wie wir feststellen dürfen. Die Kindererziehung ist eine Lebensaufgabe. Bei durchschnittlich sechs Sprösslingen auch kein Wunder. Mary und Wayne haben sogar zwölf Kinder und aktuell 35 Enkel.

Kleiner Exkurs zur Kleidung

Auch die Kleidung ist traditionell, trägt zum Gemeinschaftsgefühl bei und ist an der Heiligen Schrift orientiert. Mode, Schmuck und auffällige Schnitte spielen keine Rolle, da sie den einzelnen in den Mittelpunkt stellen. So tragen alle die selbst hergestellte Tracht: Frauen und Mädchen einfarbige Kleider, manchmal farblich passende Schürzen und weiße Hauben. Die Hauben rühren von einer Bibelstelle, die besagt, dass Frauen ihr Haar bedecken sollen. Männer und Jungen kleiden sich mit Hemden, Hosen mit Hosenträgern und häufig einem Strohhut. Verheiratete Männer erkennt man übrigens am flauschigen Bart.

Aufgaben der Kinder

Kinder kümmern sich schon in jungen Jahren um ein Tier – ein großes wie eine Ziege, einen Hund oder ein Pony, nicht so was kleines wie ein Meerschwein. So soll Verantwortung gelernt werden. Unsere kleinen Freunde sind sogar selbständig mit Gewinnerzielungsabsicht mit der Ahornsirupproduktion oder der Ausbildung von Ponys und Pferde zum Reit- und Zugtier betraut. Louis (13) sagt zum Thema Arbeit, dass er zwar andere Sachen lieber macht, der Rasen aber trotzdem gemäht werden will. Also macht er das eben zuerst.

Schule gibt es bis zur 8. Klasse. Berufe, die einen Colledgeabschluss erfordern, kommen bei Amish People daher nicht in Betracht. Das würde dem einfachen Leben, dem sie sich verschrieben haben, widersprechen. Trotzdem erklären uns die Kinder, dass sie bereits über ihren Berufsweg nachdenken und Arbeit finden werden, die ihren Interessen entspricht – Farmer, Handwerker, Pferdezüchter…

Wir sind überrascht: Alle Kinder wirken trotz der vielen Arbeit zufrieden. Keines sitzt gelangweilt in der Ecke  herum, wirkt traurig oder aggressiv. Im Gegenteil, alle gehen ihren Aufgaben nach, haben trotzdem genug Zeit miteinander zu spielen und sind ab einem gewissen Alter Gesprächspartner von Themen wie Berufswahl, Glaube, Pferdezucht.

Woran liegt das? Wir haben nur Erinnerungen daran, dass nie irgendwer als Kind gerne die Spülmaschien ausräumen, den Müll runterbringen oder den Kaninchenstall sauber machen wollte. Und hier wissen die Kinder, welche Arbeit getan werden muss und teilen sie sich ein. Vielleicht liegt es daran, dass keiner nur mit einer einzelnen Aufgabe wie dem Abwasch betraut ist, sondern für ein eigenens, wichtiges Projekt verantwortlich ist.

Möglicherweise ist der Grund auch, dass die gesamte Gemeinschaft mehr oder minder demselben Tagesrhythmus folgt, alle konstant beschäftigt sind und sich keiner durch den Tag schlunzt und faulenzt. Das steckt dann wohl einfach an.

Rollenbild trifft Identität

Kleidung gleich, Tage gleich, Gemeinschaft im Vordergrund. Rollenbilder sind klar verteilt. Das schafft Halt und Sicherheit in einer Zeit, in der es sonst so viele Unwägbarkeiten, Zweifel und Herausforderungen gibt. Männer, Frauen und Kinder wissen genau, wie sie als Mann, Frau oder Kind zu sein haben, was sie im Leben erwartet. Männer gehen arbeiten, geben den Ton an (sowohl im Alltag als auch beim Singen), Frauen gestalten den Rahmen, das Heim, erziehen die Kinder (dürfen aber kein Geschäft gründen oder in den Kirchenchor), Kinder helfen bei der Arbeit mit.

Basierend darauf stellt sich die Frage nach der eigenen Identität und Qualitäten bei den Amsih People vermutlich etwas anders als in deinem und meinem Alltag.  Jeder weiß, wer in der Gemeinschaft üblicherweise welche Aufgaben übernimmt und welche das sind. Also findet jeder seinen Platz und füllt diesen selbstverständlich und mit Freude aus.

Und was heißt das jetzt für mich?

Einen Platz, eine Rolle für sich zu finden, die einen ausfüllt und glücklich macht, ist manchmal nicht so einfach, weil so viele unterschiedliche Lebens- und erziehungskonzepte aufeinanderprallen und man das für sich richtige herausfinden muss – und es lohnt sich unabhängig davon, wie es im Endeffekt aussieht: Traditionell, unkonventionell, abenteuerlich, konservativ, alternativ, streng, laissez-faire…

Welche Rolle fülle ich aus und aus welcher bin ich herausgewachsen?
Worüber definiere ich mich (auch einmal unabhängig von Geschlecht und Arbeit betrachtet)?
Worauf lege ich Wert bei der Erziehung meiner Kinder?

Felicitas


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Was im Leben zählt – zu Gast bei den Amish People (#1)

Stippvisite in eine andere Welt

Knapp eine Woche sind wir von Strom, Internet, Hektik abgekoppelt. Eine unglaubliche Ruhe und Freude erfüllt uns. Für Amish People ist das keine Besonderheit, sondern Alltag. Ihr Leben dreht sich um ganz andere Themen nämlich Glaube, Gemeinschaft und Familie und das scheint glücklich zu machen.

Wir sind zu Gast bei Wayne, Mary und ihrer Familie. In Mary finden wir die gute Seele des Heims und in Wayne jemanden, der Dingen auf den Grund geht. Oft müssen wir wirklich überlegen, was wir auf seine Fragen antworten können. Gleichzeitig dürfen wir ihn mit unseren löchern. Glücklicherweise ist Wayne ein geduldiger und vor allem sehr guter Erklärer.

Nun versuchen wir ein bisschen von dem zu vermitteln, was er uns mitgeteilt hat. Allerdings möchte ich direkt anmerken, dass ich während des Schreibens des Abends Tolstoi gelesen habe. Das hatte vermutlich einen Einfluss auf Artikellänge, Inhalt, Ausschmückungen.

Die drei C’s

Die Amish People folgen einem Leben, das nur ansatzweise etwas mit dem zu tun hat, was wir damals in der Schule im Englischunterricht gehört haben. Amish zu sein, heißt zwar tatsächlich ohne Strom auszukommen (Haus und Hof werden mittels Gaslicht oder batteriebetriebenen, tragbaren Leuchten erhellt, ein Kühlschrank läuft ebenfalls mit Gas), traditionelle Tracht zu tragen und in vielen Fällen als Farmer zu arbeiten. Doch wir dürfen erfahren, dass es vielmehr bedeutet, seinen Fokus auf das Miteinander und die Gemeinschaft zu richten, das, was der Gemeinschaft nicht gut tut, zu unterlassen und füreinander da zu sein.

Insgesamt fußt das Leben der Amishen Gemeinde auf den drei C’s: Church, Community und Children (eigentlich family). Das erinnert mich ein bisschen an die drei K’s der Deutschen: Kirche, Küche, Kinder. Nur mit dem Unterschied, dass sich die K-Aufzählung auf das 50er Jahre Rollenbild deutscher Frauen bezieht und die C-Aufstellung für alle Amsihen gilt. Traditionsorientiert sind jedoch beide gleichermaßen.

Doch schauen wir uns die Church (Kirche), Community (Gemeinschaft) und Children bzw. family (Kinder und Familie) etwas genauer an! In diesem Artikel geht es um das erste C, die Kirche.

Erstes C: Church

Glaube und Historie

Im Zentrum des Lebens der Amish People steht schlicht und ergreifend der Glaube an Gott und Jesus. All ihr Streben, ihr Alltag, die Frage nach dem Warum findet hier ein Ziel, eine Antwort.

Unser Gastvater Wayne erklärt uns: Es gibt zwei Reiche – das des Himmels und das der Erde. In den Himmel will man gelangen und versucht darum, sein irdisches Sein an den Grundlagen der Bibel, des Leben Jesu‘ Christi auszurichten und entsprechend zu handeln. So entsteht eine sehr friedliche, wertschätzende Welt.

Für die Amish People stellt sich im Alter von 18 die Frage, ob sie ihr Leben in der Gemeinde verbringen wollen, ihren Glauben leben und das Gedankengut weitertragen möchten. Bevor also irgendwelche anderen Dinge im Leben wie Ehe oder Beruf entschieden werden, ist die Beziehung zu Gott zu klären. Es folgt die Taufe und die Aufnahme in die Gemeinschaft.

In Europa wurde der Gedanke der Erwachsenentaufe übrigens nicht toleriert. Die Amishe Gemeinde durchlief Jahrhunderte Verfolgung und Vertreibung, obwohl ihre Werte auf Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe beruhen (das geht sogar so weit, dass sie nicht einmal gegen jemanden gerichtlich vorgehen, wenn sie übervorteilt wurden).

Da die Wurzeln in Deutschland und der Schweiz liegen, wird in der Kirche auf Deutsch gesungen und gebetet, die Texte sind in Altgotischen Lettern niedergeschrieben. Als amerikanische Staatsbürger sprechen die Amish People Englisch und als Muttersprache einen Dialekt. Bei unseren Gastgebern ist das Pennsylvanian Dutch. Das verstehen wir sogar manchmal – es klingt ein bisschen wie Schwäbisch.

Schutzwall

Der Priester, der nebenbei einen ganz normalen Beruf ausübt, ist in der Amishen Gemeinde für seine Schäfchen verantwortlich. Ziel ist es, der Bibel und damit Gottes Wort so genau wie möglich zu folgen. Also gilt es in regelmäßigen Abständen zu prüfen, welche (technischen) Neuerungen mit der Bibel konform sind und der bewussten Lebensführung der Gemeinde dienen. Gutes wird integriert, Schlechtes nicht. Auf diese Weise wird ein Schutzwall gebildet, der alles Üble fernhalten soll.

Zum Üblen zählen beispielsweise Alkohol, technische Fahrzeuge, Handys und das Internet. Zwar ist es praktisch oft auch nützlich, an jegliche Informationen jederzeit zu gelangen. Doch hat sich bei uns der Trend entwickelt, dass häufig Kommunikation nur noch mittels Smartphone von statten zu gehen scheint: Obwohl sich Gruppen real treffen, tippen sie wild in ihrem Smartphone herum, kein Wort fällt, doch nach einer bestimmten Daumenbewegung erklingt ein Kichern. Kommunikation ohne wirklich miteinander zu sprechen. Bei den Amishen gibt es das nicht, da sie sich voll und ganz beim Austausch auf ihren Gegenüber einstellen.

Was lasse ich in mein Leben?

Ein Leben in Frieden und gefüllt mit Menschen, Handlungen und Dingen, die mir wirklich wichtig sind, die zur Weiterentwicklung hinführen, das wünsche ich mir. Für die jeweilige Amishe Gemeinde entscheidet der Priester, was gut und richtig ist, was der Schutzwall fernhalten soll, um eben dieses Ziel zu erreichen. Das hat zweifelsohne den Vorteil, dass jedem ziemlich klar ist, was hilfreich und was zu unterlassen ist.

Ich darf für mich selber entscheiden, was ich in mein Leben lasse und was nicht. So bin ich in mancher Hinsicht vielleicht freier und kann Dinge tun, die den Amish People untersagt sind. Z.B. darf ich ein Instrument spielen, ein Handy nutzen, Fotos von meinen Lieben aufnehmen, technische Mittel der Fortbewegung nutzen, eine Motorradreise mit meinem Mann machen. Und gleichzeitig kostet es im Alltag mehr Kraft und Konsequenz, mir selbst eine Richtschnur aus Werten zu spannen und mich daran zu orientieren. Den Amish People hilft hier die Gemeinschaft bei der Einhaltung des eingeschlagenen Weges. Mehr dazu im nächsten Artikel 2. C: Community.

Und was heißt das jetzt für mich?

Der Aspekt des Schutzwalls und der bewussten Lebensausrichtung bzw. -führung hat mich nachdenklich gemacht:

Was bereichert mein Leben und macht mich glücklich?
Was sind meine Werte und Ideale?
Was lenkt von deren Einhaltung ab?

Felicitas


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Über Fähigkeiten und Furcht

ÜBER FÄHIGKEITEN UND FURCHT

Zurzeit sind wir in Disraeli im francophonen Teil Kanadas und kramen unsere Französischkenntnisse aus uralten Zeiten wieder hoch. Manchmal haben wir Glück und wir verstehen unseren Gegenüber und er uns im Idealfall auch.

Während einer längeren Fahrt auf gerader Strecke gen Québec ist mir dabei etwas aufgefallen: Au francais klingt

je peux quelque chose (ich kann etwas) fast genau so wie

j’ai peur de quelque chose (ich habe Angst vor etwas).

Lediglich ein Buchstabe, ein X und ein R entscheiden also, ob mir ein Vorhaben, eine Herausforderung, eine Tat gelingt oder ich erstarre, flüchte, alles den Bach heruntergeht.

Außerdem erinnert avor peur de quelque chose mich ans Bestellen und Einkaufen, denn es wird im Französischen – so weit ich mich an den Französischunterricht in der Schule entsinne – immer ein Teil von der Gesamtmenge geordert. Zum Beispiel sage ich dann je voudrais des fraises. Ich bestelle also lediglich ein paar Erdbeeren von allen Erdbeeren dieser Welt. Auf die Angst übertragen hieße das ja, dass ich nur einen Bruchteil der Angst habe, die es insgesamt auf dieser Welt gibt.

Im Deutschen sieht das schon wieder anders aus. Hier heißt es ich habe Angst vor etwas, vor dem Umfallen mit dem Motorrad im Wald zum Beispiel. Hier gibt es keine Einschränkung und ich habe also global alle Angst, die es in dieser Welt gibt vor einer bestimmten Sache und nicht nur einen Teil der gesamt möglichen Ängste. Das ist ganz schön viel Angst auf einmal, die geschultert wird.

Zusätzlich kommt noch hinzu, dass es Angst vor etwas haben heißt. Das gefürchtete Ereignis ist zeitlich gar nicht eingetroffen, ich antizipiere es nur. Es handelt sich also um eine Fantasie, etwas Erdachtes. Und doch steuere ich durch meine Gedanken direkt darauf zu.

Hinzu kommt, dass unser Gehirn nicht zwischen Wahrheit und Fiktion unterscheiden kann. Angst als solche ist also nicht real, sondern ein Szenario, das ich sogar lenken kann.

Um bei dem Motorrad-im-Wald-Umfall-Beispiel zu bleiben: Ich habe darüber häufiger sinniert, weil wir ja von Zeit zu Zeit im Wald oder unebenen Farmgelände zelten und es hier heißt, tapfer über holperigen Untergrund zu fahren. Mein Hirn ersann sich sehr spannende Szenarien, das kann ich dir sagen. Die Sorge des Umfalles stieg also beträchtlich an und wuchs bei jedem Kiesel. Eines Tages bin ich tatsächlich beim Umsetzen im Moos stecken geblieben und das Motorrad kippte zur Seite. Es geschah also laut meinem Gehirn das Schlimmstmögliche, was passieren kann.

Und was war? …. Nix. Genau. Also einfach entspannt ablegen. Ein Motorrad mit 250 kg kann ich eben nicht immer auf rutschigem Untergrund halten. Die Kisten und Sturzbügel sind ja da und betten die Maschine weich im Moos.

Und dann? … Motor aus, absteigen, mit dem Rücken gegen die Sitzbank lehnen, eine Hand an den Lenker, die andere an den Griff neben der Sitzbank gelegt und dann heißt es lediglich dagegenstemmen.

Und tadaa, das Moped steht wieder und ich auch. Helm richten, aufsetzen, weiterfahren. Also alles ganz einfach.

Die Angst vor dem Ereignis ist groß, zieht es also an, währenddessen und danach ist sie weg, weil ich ja erst beschäftigt bin und anschließend gemerkt habe, dass sich mein Hirn nur irgendwelche Fantasien ausgedacht hat.

Außerdem habe ich mir beim Aufstellen gesagt ich kann das. Und dann ging das Motorradaufstellen auch – übrigens war das eine Premiere.

Hier hat es also gut funktioniert, das Fürchten gegen das Können auszutauschen und, um bei je peux und j’ai peur zu bleiben, das X anstelle des R zu wählen.

Felicitas


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Was ist eigentlich ein Weltenstromer?

Bei der Wahl unseres Blog-Namens haben wir einige Zeit hin und her überlegt und kamen dann zum übereinstimmenden Ergebnis, dass wir uns Weltenstromer nennen wollen. Warum das und was soll das eigentlich heißen?

Welten

Ganz einfach: Unser Wunsch und Ziel ist es, während der Reise verschiedene Welten kennen zu lernen. Dazu gehören natürlich als Kontinente die beiden Amerikas, die zahlreichen Länder, Städte und Landstriche auf dem Weg dazu. Doch wir wollen auch mit Menschen ins Gespräch kommen, erfahren, was sie antreibt und bewegt. Außerdem werden wir viel Zeit in der Natur verbringen. In Anbetracht der unglaublichen Schönheit hoffen wir auf die ein oder andere Erleuchtung.

Stromer

Zu Stromer gibt es vielzählige Assoziationen, die alle gut zu unserem Vorhaben passen:

  • wir fahren jeweils eine V-Strom
  • wir sind beständig in Bewegung
  • wir haben Ziele und legen Weg zurück
  • wir stromern durch entlegene Ecken, Straßen, Natur.

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