Mit dem Motorrad im Winter über die Lagunas Route von Uyuni nach San Pedro de Atacama

Bolivien, du bist so wunderbar! Im Sommer tust du gut, im Winter tut’s weh. Ratzifatzi entwickelt sich Bolivien zu dem Land mit der höchten Abenteuerdichte unserer Reise.

  1. Wir überleben die Death Road trotz ihres Namens.
  2. Die Kupplung von Sir Bumblebee geht in der Pampa inmitten von Sanddünen in die Fritten.
  3. Wir schleppen uns 100 km durch Salzmatsch über den Salar de Uyuni ab.
  4. In Bolivien gibt es keine V-Strom. Ersatzteile müssen aufwenig gefunden & importiert werden frei nach dem bolivianischen Motto „Alles ist möglich. Nichts ist sicher.“
  5. Wir fahren die Lagunenroute entlang und bleiben im Schnee stecken.
  6. An der bolivianischen Grenze nach Chile gibt es keinen Zoll zur Mopedausfuhr. Wir haben die Wahl: Wegegeld zahlen oder 80 km durch den Matsch zurück.
  7. Der Grenzposten nach Chile will uns nicht passieren lassen und uns durch den Matsch in die Wildnis zurückschicken.
  8. Es ist Winter & entsprechend kalt. Trotzdem gibt es nirgendwo eine Heizung.
  9. Es gibt, sofern überhaupt fließendes Wasser die Leitung verlässt, nur eiskaltes. Duschen wird zur Mutprobe.
  10. Wir schlafen mit Mütze.

So, und nun, werter Freund, komm mit zu unserem finalen Bolivien-Abenteuer: Die Lagunenroute im Schnee mit Passüberquerung nach Chile. Wir beginnen in Uyuni (Bolivien) und kommen nach drei Tagen des Nervenkitzels in San Pedro (Chile) an.

Von Uyuni nach Villa Mar

Wer Bolivien kennen lernen möchte, für den führt kein Weg an der berühmten Lagunenroute vorbei. Sie schlängelt sich im Westen Boliviens durch die menschenleere Wildnis des Altiplanos entlang farbprächtiger Lagunen mit Flamingos (!!!). Dieses Spektakel wollen wir uns natürlich auch nicht entgehen lassen. Neben ihrer einmaligen Schönheit ist die Lagunenroute aber auch für ihre anspruchsvollen offroad-Passagen berüchtigt. Die Meinungen über deren Passierbarkeit auf Motorrädern reichen von der „gar-kein-Problem-Lagerfeuerbier-Einschätzung“ bis zum „unfahrbar-seid-ihr-irre-Killerweg-Statement“. Wir dürfen also gespannt sein.

Da wir der neuen Kupplung mit den alten Federn bei Sir Bumblebee nicht ganz vertrauen und keinesfalls wieder im Nirgendwo stecken bleiben wollen, suchen wir nach einer passierbaren Strecke für uns. Das Wetter ist zum Glück seit einigen Tagen trocken, mit Schlamm brauchen wir also nicht zu rechnen. Der Pass nach Chile soll auch frei sein. So sagen unsere Freunde in Uyuni. Also los.

Um das Altiplano rund um die Lagunen zu besichtigen, gibt es unzählige Routenmöglichkeiten, die an unterschiedlichen Sehenswürdigkeiten vorbeiführen – und auch unterschiedlich schwer zu fahren sind. Um das Risiko für uns und die Motorräder so gering wie möglich zu halten, entscheiden wir uns schlussendlich für die östliche Route. Von Uyuni wollen wir über die gut ausgebaute Piste 701 zunächst bis zur letzten Tankstelle vor Chile in San Cristobal und dann weiter bis Alota fahren. Hinter Alota geht es links auf den Camino a Villa Mar y Laguna Colorada, eine knapp 200 km lange, sandige Wellblechpiste. Auch wenn wir so einige Lagunen und den berühmten Arbol de Piedra nicht sehen werden, führt uns die Strecke trotzdem zu einigen großen Heighlights, darunter die berühmte Laguna Colorada, heiße Quellen und ein weiterer Salzsee.

[googlemaps https://www.google.com/maps/d/embed?mid=1_Zx6dbE7RppKOQd0qUO7fBM4eZiTmvNx&w=640&h=480]

Von Uyuni bis Alota würden wir die Hauptstraße 701 als angenehm zu bereisen beschreiben. Doch danach fängt der große Fahrspaß an. Auf Google Maps kann man sich ab hier gar nicht verlassen, der Weg, der zu den Lagunen führen soll, ist hier nämlich unbekannt. Maps Me ist da schon besser informiert und gibt auf der Offlinekarte darüber Auskunft, dass es noch 49 km von Alota bis Villa Mar und dem Hostal Piedrita sind, wo wir die erste Nacht verbringen wollen.

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Noch reist es sich mi über 70 km/h hervorragend: die Piste 701 ist frisch gewalzt.

Fahrt durch den Tiefsand mit dem TKC70

Doch anstelle der von Maps Me veranschlagten 45 Minuten plagen wir uns gute drei Stunden durch den tiefen Sand. Der hindert allerdings weder Jeeps noch LKW daran, in Highspeed an uns vorbeizufahren und mit Staubwolken unsere Sicht schwinden zu lassen. Wenn die wenigstens alle in Reihe fahren würden, würden sie eine Fahrspur für uns plätten, aber so…

Wir lassen den Reifendruck ab. Anstelle der 2,6 bar vorne und 3,0 hinten sind die TKC70 nun mit 1,5 bar vorne und 1,8 bar hinten befüllt. Die größere Auflagefläche hilft wirklich im Tiefsand. Und wir sind wieder einmal von unseren Reifen beeindruckt, weil sie sogar in diesem Gelände super Traktion haben.

Hostels in Bolivien

Wir zählen die Kilometer runter und kämpfen nun direkt mit zwei Endgegnern: der miesen Strecke und der Zeit, denn gleich geht die Sonne unter und sobald die weg ist, wird es empfindlich kalt, um nicht zu sagen eisig. Brr.

Als wir irgendwann im Dunkeln schlotternd das Hostel erreichen, sind wir durchgefroren – und bleiben es auch. Es gibt nämlich prinzipiell keine Heizung, dafür aber ein paar dünne Decken. Her also mit der plüschigen Alpaka-Mütze und dem Handwärmer mit Kohlestäben.

Mit der V-Strom und dem TKC70 über die Wellblechpiste

Am nächsten Morgen ziehen wir Bilanz. Unser Resume des Vortages: 49 km durch den Sand in 3 Stunden. Prognose für den heutigen Tag: 201 km inklusive Pass- und Grenzüberquerung = ein nahezu unmögliches Unterfangen. Doch was wäre die Reise ohne diesen gewissen Nervenkitzel?

Also ab die Post. Es wird echt mühselig, denn weitere tiefe, sandige Passagen wechseln sich mit fetten Steinen und Geröll auf dem Pfad ab. Doch auch auf diesem anspruchsvollen Untergrund können wir uns auf den Grip des TKC70 von Conti voll verlassen! Nur gut, dass die Landschaft so unglaublich schön ist. Das hebt die Laune.

Die Laguna Colorada

Die Lagunenroute führt durch den Nationalpark Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Avaroa. Um die ganze Pracht bestaunen zu können, müssen wir saftige 150 BOL (ca. 18€) pro Person Eintritt an einem Pförtnerhäuschen bezahlen. Der Wächter händigt die Tickets aus und lässt uns die Schranke passieren. Er betont dabei, wie wichtig es sei, das Ticket griffbereit zu haben. Was er hingegen verschweigt, sind die kommenden Streckenverhältnisse…

Wir holpern also weiter durchs Gelände und visualisieren zur Motivationssteigerung die rosa Flamingos an der Laguna Colorada. Die soll besonders schön sein und in einem strahlenden Rot leuchten. Mit diesem Ziel vor Augen fährt es sich deutlich leichter.

Die Strecke besticht unverändert durch ein Wechselspiel aus Wellblech, Tiefsand und Geröll. Parallel zieht sich immer mehr der Himmel zu. Als wir endlich die sagenumwobene Laguna Colorada erreichen, ist es lausig kalt und grau. Von Flamingos keine Spur. Von anderen Lebewesen auch nicht. Die Lagune ist momentan so farbprächtig wie ein heimischer Sumpf im November. Ganz zauberhaft!

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Nix mit tollen Farben der Laguna Colorada und Flamingos: Alles steckt in usseligen Wolken.

Wetterumschwung im bolivianischen Hochpleateau

Aufgrund des Wetters- und der Wegverhältnisse beschließen wir, dass wir doch keine Pause an der Lagune brauchen und halten uns weiter ran. Unseren Plan, heute bis nach Chile zu fahren, haben wir über Bord geworfen. Wir wollen einzig und allein den bevorstehenden Pass überqueren und es bis zum Hostel in Termas de Boleques an den heißen Quellen der Laguna Chalviri schaffen. Trotzdem sind es nach einem halben Tag Gequäle immer noch 60 km to go und wir haben nur noch 4 Stunden bis die Sonne untergeht. Au Backe. Hatten wir gestern das Gefühl von Zeitdruck, wird es jetzt noch schlimmer, denn bei nächtlichen Temperaturen von -25 °C fällt notzelten auf dem Pass als Plan B flach.

Weiter geht es also. Wir sehen schon das Hochplateau und dahinter soll der Pass auf 5.000 Meter N.N. sein. Über unser Sena 10c Headset sprechen wir uns gegenseitig Mut zu. Denn jetzt zieht es sich abeneuergeschichtsmäßig richtig zu, vereinzelte Schneeflocken wehen uns drohend um die Nase und verkünden das nahende Ende unseres noch so jungen Lebens.

Allein bei zugeschneitem Weg auf dem bolivianischen Hochpleateau

Ich spüre meine Finger schon jetzt kaum noch. Es kann also nur noch besser werden, denke ich. – Und dann verschwindet plötzlich die Piste unter Schneebergen. Da kommen wir mit den Mopeds auf gar keinen Fall durch! Mist. Und jetzt?

Jetzt kostet es wirklich Anstrenung, die Gedanken auf das Erreichen des Hostals zu fokussieren und sich trotz der etwas unangenehmen Lage nicht mit Endzeitstories zu verlieren.

Wir lassen das Theme von Indiana Jones in unserem Kopf erklingen, senden Stoßgebete gen Himmel, verlassen die Straße – und brettern bergauf drauf los. Wenn ich vorher dachte, ich fahre über Steine, kann ich jetzt nur sagen: weit gefehlt. Hier liegen fette Brocken rum umgeben von Matsch und Schnee.

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Spurenlesen

Mittlerweile haben wir die Streinbrocken überlebt, pflügen uns durch einen Acker und halten uns an Reifenspuren, die Einheimische mit ihren Karren einmal hinterlassen haben als sie hier langfuhren. Nur leider enden die Spuren oft einfach irgendwo im Schnee. Langsam wird es echt nervenaufreibend. Hier oben würde es eigentlich einen normalen Weg geben – sogar einen laut Navi besser ausgebauten – und genau dieser ist einfach zugeschneit.

Doch irgendwie geht es immer weiter. Muss es. Jeder Meter zählt!

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Aus dem Regen in die Traufe: Durch den Schnee über den Hubbel geht es in die nächste Spurrille – und das Moped kippt um. Wann kommen wir endlich an??

Irgendwann stehen wir inmitten überfrorenen Gesteinfeldes und haben keine Ahnung, wo es langgehen könnte, weil um uns herum nur noch Schnee zu sehen ist. Als die Moral der Truppe den Tiefpunkt erreicht, taucht plötzlich – wie in jedem guten Abenteuerfilm im kritischen Moment – eine Reihe von fünf Jeeps aus dem Nichts auf. Die Fahrer halten und wollen wissen, ob alles okay ist. Gleichzeitig schauen Touristen neugierig aus den vollgepackt es Geländewagen auf uns und versuchen herauszufinden, was wir denn hier so treiben.

Über den Pass zwischen Bolivien und Chile im Schnee

Die Fahrer wollen vorfahren, wir sollen als Korso folgen. Doch leider sind die fünf mal so schnell wie wir. Sie brettern also weiter, doch glücklicherweise hinterlassen sie eine Spur, der wir in der Hoffnung folgen, die Schneewehen zu umfahren und irgendwann auf die Straße zu gelangen.

Zwischenstand: Noch 30 km. Immer noch Schnee. Eine Stunde bis es ganz dunkel wird.

Während wir uns das Mantra „Ich kann es! Ich will es! Ich tue es!“ aufsagen, mobilisieren wir die letzten Kräfte.

Jetzt gilt es, die Piste zu erreichen, bevor wir nichts mehr sehen können und uns heillos verfahren. Schnell noch ein paar Stoßgebete gen Himmel geschickt. Und dann: Unser Wunsch wird erhört. Bei dem unglaublichsten Sonnenuntergang, den wir jemals gesehen haben, stoßen wir auf eine Staubpiste. Erleichterung macht sich breit. Nur noch 25 km und wir sind am Ziel.

 

Jetzt gilt es, die Piste zu erreichen, bevor wir nichts mehr sehen können und uns heillos verfahren. Schnell noch ein paar Stoßgebete gen Himmel geschickt. Und dann: Unser Wunsch wird erhört. Bei dem unglaublichsten Sonnenuntergang, den wir jemals gesehen haben, stoßen wir auf eine Staubpiste. Erleichterung macht sich breit. Nur noch 25 km und wir sind am Ziel.

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Unsere Passüberquerung erreicht ihren Höhepunkt.

Rettung durch die Guides von Red Planet Expedition

Die Piste ist schneefrei und auch in der Nacht ohne Probleme befahrbar. Doch jetzt stellen wir fest, dass wir beide einen Platten haben. Fix packen wir den Airman aus, pumpen die Reifen auf und weiter gehts.

Plötzlich taucht ein Licht vor uns auf. Das Licht am Ende des Tunnels? Fast. Ein fetter Jeep hält vor uns. Die Guides und Fahrer von Red Planet Expedition, die wir vor drei Stunden in den Bergen getroffen haben, steigen aus. Sie sind zurückgekommen um zu sehen, wo wir  bleiben und uns retten kommen. Sie haben sogar heißen Tee mit.

Herzliches Willkommen im Hostal

Für uns ist es schon eine wahre Erleichterung, dem Auto mit den Helfern einfach zum Hostal hinterherzufahren. Sie lotsen uns in einen erwärmten Raum, in dem ihre Touristen gerade zu Abend essen. Sobald wir eintreten, klatschen diese wild los! Stell dir das mal vor. Alle erkundigen sich nach unserem Wohlbefinden, reichen warme Handschuhe und wollen wissen, ob sie noch was für uns tun können.

 

Für uns ist es schon eine wahre Erleichterung, dem Auto mit den Helfern einfach zum Hostal hinterherzufahren. Sie lotsen uns in einen erwärmten Raum, in dem ihre Touristen gerade zu Abend essen. Sobald wir eintreten, klatschen diese wild los! Stell dir das mal vor. Alle erkundigen sich nach unserem Wohlbefinden, reichen warme Handschuhe und wollen wissen, ob sie noch was für uns tun können.

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Wir alle strahlen – unsere einheimischen Retter Francisco und Carlitos strahlen für ihre Kollegen  Marcial, Jasmari, Ivan und Israel von der Red Planet Expedition mit.

Die Guides organisieren uns einen Tisch während unsere Hände am Heizpilz langsam auftauen. Wir werden umsorgt mit heißem Tee, der besten Suppe, die wir jemals probiert haben, und Pasta mit Hühnerbein.

Fix und fertig und gleichzeitig dankbar dafür, das Abenteuer Passüberquerung im Schnee überlebt zu haben, gehen wir direkt schlafen. Natürlich wieder ohne Heizung. Nur gut, dass wir gen Atacamawüste fahren, da wird es hoffentlich wärmer.

Schlauchlose Reifen wechseln on the Road

Am nächsten Morgen starten wir frohen Mutes. Nur noch 100 km bis San Pedro de Atacama. Doch wir haben die Rechnung ohne die Vorderreifen gemacht – die sind nämlich beide komplett platt. Beide sind mit vielen kleinen Löchern durchsiebt. Na super. Im Ort (also den zwei Häusern) gibt es keine Werkstatt, also müssen wir wohl oder übel es mit den Reifen bis nach San Pedro schaffen.

Andreas‘ Reifen beherbergt dazu noch ein fettes Loch, das er mit Pilzen flickt. Die haben bisher immer gute Dienste getan. Doch nach nur 200 Metern fahren stellen wir fest, dass diese Erste Hilfe Maßname nicht ausreicht. Und nun? So kommen wir nicht weit.

Glücklicherweise sind wir an den heißen Quellen, einem beliebten Tourziel. Und glücklicherweise treffen wir hier eine lange Reihe von Tourjeeps an. Alle bis an die Zähne mit Werkzeug ausgerüstet. Schließlich will keiner mit einer Horde Touristen im Anhänger hilflos in der Pampa stecken bleiben.

Auch diese Tourguides entpuppen sich als äußerst hilfbereit – sie leihen Werkzeug, reichen einen riesigen Flicken für den Reifen und helfen mit, den Schlauchlosreifen von der Felge zu bekommen. Drei starke Männer braucht es hierfür. Das geht bei Reifen mit Schlauch deutlich einfacher. Egal. In Rekordzeit ist der Reifen geflickt und wird wieder anmontiert – da alles sehr schnell gehen muss, leider entgegen der Laufrichtung. Na ja, Hauptsache, wir können fahren.

Bolivianische Grenzbeamte ganz entspannt

Obwohl das schlimmste Loch jetzt geflickt ist, müssen wir trotzdem alle 20 km anhalten, um Andreas‘ Reifen wieder aufzupumpen. Ehrensache, dass die Straße wieder nur aus Sand, Geröll und Wellblech besteht. Jetzt kommt noch neu hinzu: Matsch. Wenigstens ist jetzt ein platter Reifen von Vorteil. Noch nie sind wir so entspannt durch den Modder gelangt. Wir können sogar die Fahrt entlang der wunderschönen Laguna Blanca genießen.

Als wir uns bis zur Bolivianischen Grenze (bestehend aus einer Bruchbude) gekämpft haben teilen uns die Grenzbeamten mit, dass es hier keinen Zoll gäbe und wir 80 km zurück müssten, um unsere V-Stroms ausführen zu können. Ähm. Nee. Keine Option für uns. Haben sich die Bolivianer auch gedacht und bieten an, für uns die Papiere für 20 USD rüberzufahren. Faires Angebot.

Fünf Minuten später heißt es ein letztes Mal ab durch den Matsch. Und dann, sobald wir Chilenischen Boden erreichen, befinden wir uns seit Wochen auf der ersten, asphaltierten Straße. Sie ist sogar geräumt! Wahnsinn.

Chilenisches Grenzspektakel

Die Asphaltstraße führt zu einem modernen Riesengebäude mit großer Toreinfahrt. Drinnen erwarten uns mehrere Busse voller Touristen, die auch nach Chile einreisen wollen, und fließend warmes Wasser. Alles wirkt organisiert und sturkturiert. Das ist seltsam. Seit Mittelamerika haben wir an jeder Grenze Geldwechsler angetroffen, Frauen mit Ständen, die leckere Düfte vertströmten, und ein buntes Treiben aus Menschen mit traditioneller Kleidung. So nicht hier.

Der Interpol-Beamte erklärt rundheraus: Er habe jetzt Mittagspause. Wir können nicht rüber. Nach seiner Mittagspause überlegte er sich, dass er doch jetzt die Grenze für heute komplett schließen wolle und wir nach Bolivien zurück müssten. Als wir uns davon nicht abschrecken lassen, versucht er es mit der Ausrede, dass die Straße nach Chile voller Eis und Schnee wäre. Schlimmer als unsere Passeskapade kann es auf asphaltierter Straße nicht werden. Andreas nervt ihn weiter. Langsam dämmert es dem Grenzbeamten wohl, dass wir hier nicht weggehen. Es hilft, dass die 30 anderen sich auch nicht zurückschicken lassen wollen.

Er lässt sich also erweichen und lässt uns „auf eigenen Gefahr“ einreisen.

San Pedro

Als wir das Grenzgebäude verlassen, suchen wir vergeblich die katastrophalen Straßenbedingungen. Der Asphalt ist frei, die breite Fahrbahn führt in angenehmer Streckenführung den Berg herunter.

Es ist ein seltsames Gefühl, ohne genauer auf die Straßenbeschaffenheit achten zu müssen, bei 80 km/h ganz entspannt fahren zu können. Wir wissen nicht, wann wir das zum letzten Mal erlebt haben. Vermutlich in den USA.

Chile, DL650 V-Strom, Laguna Route, Sena 10c, Shoei, Stadler, TKC70, Touratech_S10C0022_1180

Nix mit gesperrtem Pass: Warum uns der Grenzbeamte nicht nach Chile einreisen lassen wollte, wird für immer ein Rätsel bleiben.

San Pedro begrüßt uns mit Wärme, Wüste und Ruhe. Wir erholen uns jetzt erst mal und werden einen Schlauch in den Vorderreifen einziehen lassen, damit wir bis nach Valparaiso zum Verschiffen kommen.

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Nach drei Tagen Dauerstrapaze dürfen wir endlich unser Zelt in San Pedro de Atacama aufstellen – und wie die anderen Zelte vermuten lassen: Es ist warm!!

Fazit: Abenteuer in Filmen oder Büchern mitzuerleben und mit den Helden mitzufiebern, ist etwas ganz anderes, als selbst in einem zu stecken. Doch sowohl in Fiktion und Realität gibt es eine Gemeinsamkeit: Es gibt ein gutes Ende!

Felicitas


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Indianische Weisheiten – Die vier Jahreszeiten

Du bist unzufrieden und gestresst? Du malochst Tag ein Tag aus und weißt nicht wofür? Du hast deinen inneren Rhythmus verloren? Du willst etwas in deinem Leben ändern, weißt aber nicht, was?

Dann lies diese kleine Indianische Weisheit über die vier Jahreszeiten und kehre zurück zu deiner menschlichen Natur.

Baum, Herbst, Yosemite National Park_DSCF5862_1024

Der Mensch ist wie ein Baum

Im Winter zieht er den Saft in die Wurzeln, die Zeit der Ruhe und Innenschau, der Meditation und Reflexion. Wie war das Jahr? Wo will ich hin? Welche neuen Fähigkeiten will ich erlernen? Eine Sprache, ein Instrument? Der Baum überlegt: Welche neuen Wurzeln braucht er dafür, welche neuen Zweige? Was muss verstärkt werden?

Im Frühjahr wird der Plan angegangen, die Säfte fließen, das erste Grün zeigt sich. Die neuen Wurzeln und Zweige beginnen zart zu wachsen. Ich lerne die ersten Vokabeln, einfache Sätze und die ersten Noten.

Im Sommer setzt der Baum all seine Energie darein zu wachsen und arbeitet mit aller Kraft an seinem Vorhaben.

Und dann kommt der farbenfrohe Herbst, der bunteste Monat. Die Früchte sind reif zur Ernte. Die Früchte sind reif, damit sie andere nähren. Damit ich mit meinen neuen Fähigkeiten anderen diene.

Aho!

Diese Geschichte habe ich in einem indianischen Museum in Chamberlain, South Dakota, gehört. Sie hat mich sehr nachdenklich gestimmt, weil sie in ihrer Einfachheit so viel Weisheit offenbart.

Und was machen wir?

Mein Eindruck ist, dass unser Winter herzlich wenig mit Einkehr und Innenschau zu tun hat. Statt dessen rennen alle im Vorweihnachtsstress von einer Feier zum Jahresabschluss, von der Arbeit zum Einkaufen. Dann der Weihnachtswahn, dann der Silvesterwahn, dann noch schnell im Januar eine Woche zum Skilaufwahn und dann ist ja auch schon Karneval.

Das Ergebnis? Halbherzige Vorsätze für das neue Jahr, noch mehr Stress, noch mehr arbeiten. Die sogenannte Früjahrsmüdigkeit ist wohl eine Volkskrankheit geworden, die mit der Natur offensichtlich nichts gemeinsam hat.

Den Sommer über malochen.

Und dann im Herbst die Früchte meiner Arbeit? Wer war schon im Herbst zufrieden, was er dieses Jahr vollbracht hat? Kommt nicht im Winter der Endspurt, um die Zahlen noch ein bisschen besser zu machen? Und vor allem: Wer hat im Herbst die Früchte seiner Arbeit verschenkt, wie der Baum? Streben wir nicht eher danach, noch mehr zu haben und uns noch weniger daran zu freuen?

Wenn mir eins auf dieser Weltreise schnell klar geworden ist, dann dass wir in einem sehr, sehr merkwürdigen System leben, das mit der Natur des Menschen und der Harmonie dieser Welt wenig zu tun hat.

Die Erkenntnis ist das eine, was wir daraus für unseren Alltag nach der Reise ableiten das andere. Wir werde weiter darüber nachdenken, wie wir unser Leben nach der Weltreise gestalten wollen.

Wenn dich die indianische Geschichte inspiriert hat, schreib uns, wie du deinen Tages-, Wochen-, und Jahresrhythmus von der Natur ableitest!

Andreas


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Murdock x 2

Bevor es losgeht, stelle dir bitte Folgendes vor:

  1. Murdock vom A-Team im Alter von ca. 80 Jahren
  2. die Moritat von Meckie-Messer aus der Dreigeoschenoper (zur Erinnerung: „Und der Haifisch, der hat Zähne. Und die trägt er im Gesicht. Doch Meckeath, der hat ein Messer und das Messer sieht man nicht.“

Wieder einmal verbringen wir eine abenteuerliche Nacht. Dieses Mal fragen wir in der überlaufenen Gegend von Gooseberry Falls an einem Hause an. Es öffnet … richtig, ein 80 Jahre alter Murdock. Er trägt einen löchrigen Schlafanzug mit Batmanmotiven auf der Hose. Dazu Lederschlappen mit Schafsfell.

Er: Was wir denn wollten?

Wir : Na ja, wir suchten nur einen Platz, wo wir zelten könnten für eine Nacht. Wir bräuchten auch nicht viel Platz, nur ein bisschen Rasen (Mr. Murdock ist im Besitz desselbigen).

Er: Mh… Alle Campingplätze im Umfeld wären ja ausgebucht. Was man da denn machen könnte. Er wolle ja sehr gerne helfen. Aber nur wie?

Wir: Wir hätten ein Zelt, bräuchten nur ein bisschen Rasen und wären auch ganz ruhig (Wir lassen nun den Blick um uns herumschweifen, um ihn etwas zu inspirieren).

Er: Mh… Er würde uns ja nur zu gerne helfen, doch er wohne nicht alleine in dem Haus. Er würde hier einen alten Mann pflegen (Wie alt der dann wohl  sein mag?). Der wäre allerdings äußerst, ja wirklich äußerst schreckhaft. Außerdem leide er an Schizophrenie. (Du spielst hier jetzt die Moritat von Meckie Messer ab und wir blicken uns jetzt jedenfalls doch etwas besorgt an. Das ist Mr. Murdock wohl auch aufgefallen.)

Er: Der Mann allerdings sei völlig harmlos und hätte keine Waffen. (Hm, sagt er, genau das war auch mein Gedanke…).

Weil uns Mr. Murdock wirklich so gerne helfen möchte, zeigt er uns die hinterste Ecke im Garten. Hier sollten wir das Zelt aufstellen, die würde sein Patient aus seinem Zimmer auch nicht einsehen können….

Gesagt, getan. Wir munkeln noch, ob Mr. Murdock vielleicht sein eigener Patient sei. Noch finden wir es lustig. Doch beim Kochen höre ich auf einmal einen Mann aufgebracht im Hause brüllen, was das denn für Leut da draußen wären. Ui. Jetzt hat er uns doch entdeckt. Zum Umkehren ist es zu dunkel. Also essen wir unser Süppchen und legen uns schlafen.

Doch es wird eine lange Nacht. Mr. Murdock I und Mr. Murdock II hantieren im Haus herum. Ständig geht das Licht an und aus. Außerdem rumpelt es dort von Zeit zu Zeit. Was die da wohl treiben? Ihre Küchenmesser wetzen?

Knapp alle zwei Stunden werden wir wach und malen uns detailreich diverse Szenarien aus vom Rausschmiss aus dem Garten bishin zur Messerattacke (hier wieder Meckie-Messer einspielen).

Mit dem ersten Tageslicht packen wir in rasantem Tempo unser Zelt zusammen. Doch Mr. Murdock ist schneller. Er hastet wieder in seinem Batmananzug und seinen Schluppen aus seinem Haus. Heute hat er sich zusätzlich einen Frotteebademantel übergeworfen.

Er: Wie wir denn geschlafen hätten.

Wir: Gaaanz toll, nahezu fantastisch. Es wäre so nett von ihm gewesen, dass wir in seinem Garten hätten zelten dürfen….

Er: Er jedenfalls hätte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Er sei so aufgeregt gewesen. (Was er sich wohl überlegt hat? Dass wir Supermansticker an seine Tür kleben? Durchs Fenster gucken, und ihn beobachten? Feuer legen? Das fragen wir ihn aber lieber nicht.) Uns geholfen hätte er auch gerne. Wir wären sogar durch das Schicksal angekündigt worden: Bevor wir klingelten, hätte er noch einem Radiokonzert mit deutschen Musikern beigewohnt. Na was für ein Glück für uns, sonst hätte es mit dem Zelten wohl gar nicht mehr funktioniert.

Und die Moral von der Geschicht: Zwei Parteien können sich lebhaft die entgegengesetzten und zueinander passenden Schreckgeschichten unabhängig voneinander vorstellen. Und eigentlich sind Menschen doch gut und wollen wirklich helfen.

Es grüßt Felicitas


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Gangster in Chicago

Wir haben es mal wieder geschafft – wir sind erneut im Gangsterviertel abgestiegen. Und das auch noch in der Stadt Al Capones. Tagsüber bestaunen wir die Stadt, die wirklich eine Reise lohnt, und abends fürchten wir uns auf dem Heimweg. Das Zimmer in der Villa war halt das einzig erschwingliche. Und außerdem wurde mit einer super sicheren Tür dafür geworben. Na gut, wir wissen jetzt auch warum…

Vielseitige Stadt

Am Tage ist Chicago Downtown schlicht und ergreifend faszinierend. Chicago, die große Zwiebel in der indianischen Sprache genannt, ist vor einiger Zeit mehr oder minder komplett abgebrannt und da dachten sich die Städtebauer, dass sie nun anstelle von Holz Stahl als neuen Werkstoff nutzen wollen und dass sie außerdem ein paar Architekten die ganze Stadt neu designen lassen können, so dass ein stylischer Gesamteindruck entsteht.

Das Flair Chicagos ist tatsächlich vielseitig. Die Metro läuft auf einer imposanten Konstruktion mehrere Meter über der Straße entlang. Unten her fahren Autos. Die Hochhäuser gleichen Kunstwerken und sogar ein Parkhaus, das bis in den Himmel reicht, hat Stil.

Fürderhin boomt die Künstlerszenerie und an fast jeder Straßenecke gibt es Statuen, Bands, Museen zu bestauenen. Wir sind sogar richtig kulturinteressiert und besuchen das National Art Museum – das soll eines der besten Museen weltweit sein. Hier gibt es von babylonischen Steinschalen über Impessionisten bis hin zur modernen Kunst alles.

Nach solcher Hochkultur widmen wir uns Willie’s Tower (ein ziemlich hoher Turm zum Runtergucken und gut für einen Panaromablick, steht als Haptattraktion im Guide). Wir freuen uns, dass wir nur 60 Minuten warten müssen – jippy, der Sonnenuntergang über Chicago ist der unsrige. Pustekuchen. Eine Stunde dauert der Spaß bis zum Security Check und eine weitere bis wir oben sind. Und dann heißt es wieder warten, um auf der Plexiglasfäche zu stehen.

Gangsterstunde

Kurz vor Mitternacht verlassen wir den Turm wieder und steigen in die Metro. Der Wagen leert sich und wir bleiben übrig mit drei kleinen Gangster-Buben um die neun Jahre, die weiße Slipper mit Goldschnalle in drei Nummern zu groß zum Reinwachsen tragen. Sie fangen an in einer unheimlichen Weise Amazing Grace zu singen und rutschen immer näher an uns ran. Vorsichtig halte ich meine Taschen zu. Was die wohl vorhaben? Und dann sprechen sie uns in krächzender Stimme an. Wo müsst ihr aussteigen? Wir nannten die Haltestelle. Die Augen unser Freunde wurden groß. Ihr wollt doch da nicht wirklich raus? Das ist gefährlich! Die überfallen alle da!

Auweia. Wir steigen trotzdem todesmutig und mit wackeligen Knien aus. Auf dem Bahnsteig erwarten uns Nebel und Dampfschwaden. Einer der Kleinen lügt aus der Metro und brüllt uns zu Traut niemandem! Dann lacht er grässlich und quietschend setzt sich die Metro wieder in Bewegung.

Wir präparieren uns: 20 Dollar in Scheinen in die Hosentasche gesteckt, um die schnell im Fall der Fälle zücken zu können. Alle Taschen zu. Route von 10 Minuten Heimweg vom Handydisplay ins Hirn gehämmert.

Möglichst einheimisch, unauffällig und lässig, aber doch zielstrebig verlassen wir die durch ein Gitter geschützte Haltestelle. Gut, dass Andreas weiß, dass wir rechts abbiegen müssen. Ich wäre schon jetzt in die andere Richtung gegangen. Wir sollten jetzt eigentlich die Straße überqueren, doch auf der anderen Seite steht eine Horde von dubios aussehenden Typen. Wir beschließen kurzerhand, doch eine Alternativroute zu wählen.

Wir laufen unter den Metroschienen entlang. Nebel, leere Geschäfte, Straßenlaternen verbreiten schummriges Licht. Keine Menschenseele ist unterwegs. Oder doch? Ich unterdrücke den Drang, mich umzudrehen und die Straße hinter uns nach möglichen Räubern zu scannen. An der Ecke, die uns in die Zielstraße führen soll, steht ein Polizeiauto. Wir sind uns nicht sicher, ob wir uns jetzt wirklich beruhigt fühlen sollen.

Nur gut, dass hinter dem Polizeiauto ein Viertel zu beginnen scheint, in dem es nur Einfamilienhäuser gibt, die Rauchschwaden sind auch weg. Uff. Schnell zur Villa gepirscht, Zahlenkombination eingetippt und Tür hinter uns verrammelt.

Als wir unseren Host später im Wohnzimmer treffen und ihm von unserem Heimweg erzählen, guckt er uns besorgt und erleichtert an. Er würde immer eine Station später im Wohngebiet aussteigen und Condor zurücklaufen und uns das selbe nahelegen.

Ein paar Tage später hören wir, dass der Süden Chicagos, also da, wo wir residiert haben, für seine Gangster bekannt sein soll. Übrigens auch für welche mit Schusswaffen…

Felicitas


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How fast can you travel?

Im Land der Freiheit fallen wir mit unseren V-Stroms bepackt mit Sack und Koffer auf. Kein Mensch fährt hier einen Japaner oder ein anderes Straßenmotorrad. Statt dessen kommen in Amerika auf eine Reiseenduro gefühlt 10.000 Harley’s. Und da natürlich Individualität für den authentischen Einheimischen ein hohes Gut ist, wird Customising groß geschrieben: Kein Motorrad sieht aus wie das nächste. Je tiefer desto besser, je spektakulärer die Sitzposition, um so origineller. Und der ganze Ort soll natürlich hören und fühlen, wenn man den Motor anlässt.

Da stechen wir auf unseren Stromern in jeder Hinsicht aus der Masse hervor, insbesondere durch die Sitzhöhe. Nicht selten ist „wow, those bikes are big!“ der Einstieg in ein Gespräch. Eine der nächsten Fragen lautet dann häufig: „How fast can you travel?“

Noch vor kurzem habe ich diese Frage mit der politisch korrekten Antwort entsprechend der Verkehrslage und der allgemeinen Interpretation der gerade vorgesehenen Höchstgeschwindigkeit beantwortet.

Doch zusehends schleicht sich ein ganz anderer Aspekt in unseren Alltag, der unsere Reisegeschwindigkeit bestimmt. Und der hat herzlich wenig mit Hubraum, Asphalt und Polizeidichte zu tun.

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„How fast can you travel“ wird immer deutlicher davon bestimmt, wie viele Eindrücke wir verarbeiten können. Eine Reise und eine lange insbesondere,  unterscheidet sich deutlich vom Strecke-Machen, wie wir es teilweise von zu hause kennen. Es liegt nicht mehr daran, dass einem der Hintern nach sechs Stunden weh tut.

Es braucht einfach Zeit, den Tag wahrzunehmen und vor allem wirken zu lassen. Neben der physischen Anstrengung einer Motorradreise gibt es jede Menge Eindrücke zu verarbeiten. Begegnungen machen nachdenklich. Kleine und große Herausforderungen säumen den Weg zwischen den vermeintlichen Sehenswürdigkeiten. Das Leben in der äußeren Freiheit eines Weltreisenden konfrontiert täglich mit den eigenen Unfreiheiten und Begrenzungen im Inneren.

Eine Weltreise stellt schlicht alles auf den Prüfstand, was man sich zu hause als liebgewonnenen Alltag aufgebaut hat. Der Alltag daheim hat nämlich einen großen Vorteil: Egal wie unzufrieden man mit ihm ist, er ist auf seine Weise angenehm, weil man sich mit ihm arrangiert hat. Es gibt wenig Unvorhergesehenes, Extremes oder gar Gefährliches, das an der Komfortzone rüttelt. Es ist viel einfacher, sich über seinen Chef zu beklagen als plötzlich die vollständige Verantwortung für einfach alles selbst zu tragen.

Die ersten paar Wochen unterwegs ist man Tourist. Man studiert den Reiseführer, macht die obligatorischen Fotos vor den allgemein anerkannten Highlights und lässt sich mit seinem Motorrad bewundern. Man kommt gut voran und fährt sechs Stunden am Tag, bis man nicht mehr sitzen kann. Man hält sich an die allgemeine Interpretation der Höchstgeschwindigkeit und versucht sich nicht erwischen zu lassen.

Doch irgendwann passiert etwas mit dem Touristen. Er wird zu einem Reisenden, der in sein Inneres unterwegs ist.

Wenn also das nächste Mal jemand unsere Motorräder bestaunt und fragt: „how fast can you travel?“ werde ich antworten: „it depends on the rider.“

Andreas


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New York

Wir sind da!

Aus dem Flieger gehüpft, illegalerweise ein Foto von uns vor dem Schild welcome to the United States of America gemacht, begrüßt uns Amerika mit einer langen Warteschlage an der Visa-Kontrolle. Endlose Reihen wartender Touristen schleppen sich durch die klimatisierte Eingangshalle gelenkt durch eine Vielzahl uniformierter Anweiser. Folgsam reihen wir und ein. Nachdem der Officer feststellt, dass weder unsere Fingerabdrücke noch unsere Fotos in einer Verbrecherdatenbank gespeichert sind, gelangen wir unerwartet entspannt und ohne langwierige Diskussionen durch die Passkontrolle.

Weg zur Unterkunft

In einem auf Eiseskälte herab klimatisierten Bus stecken wir bei unserer Direktfahrt in die Innenstadt pronto in der berühmt berüchtigten Rush Hour fest. Der Busfahrer ist etwas verwundert, dass den Touristen bei einem Temperaturgefälle von draußen zu drinnen von gefühlten 20 Grad irgendwie kalt ist. Nun ja.

Das Problem lässt sich jedenfalls schneller lösen als die Suche nach unserer fensterlosen Unterkunft irgendwo in Brooklyn, denn das New Yorker Subway System ist irgendwie auf den ersten Blick doch mit all den Blocks und Umsteigemöglichkeiten komplex. Offenbar gucken wir so ratlos mit unseren Säcken auf dem Rücken gebuckelt und den Motorradklamotten über’m Ärmel, dass wir sofort als uninformierte Touristen erkennbar sind.

Das macht sich ein gewiefter Geschäftemacher unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft  à la vom Tellerwäscher zum Millionär zu Nutze. Er zeigt uns erst ganz nett, wo wir unser Ticket kaufen können und will dann pronto ein Trinkgeld für seine Selbstlosigkeit kassieren. Die zwei Dollar-Scheine sind ihm offenkundig zu wenig und er mosert direkt los. Glücklicherweise gibt es noch andere, denen er helfen will, so dass wir in den Untergrund abtauchen können.

Nach gefühlt ewigem Gesuche kommen wir in der Zielstraße neben einen Laden an, in dem lebendige Hühner und Schafe zur Direktschlachtung angeboten werden. Wie in einem Nobelrestaurant der Gourmet sich einen Hummer wählt, wählt sich hier der Bürger von Welt ein Tier. Nun gut, zurück zur Tour. Unsere Unterkunft finden wir dann doch noch ohne weitere Zwischenfälle.

Unser Zimmer im Szene-Viertel ist, nun ja, wie gesagt ohne Außenfenster, dafür können wir allerdings durch eines ohne Scheibe in den Flur gegen die Decke gucken. Dafür ist es das günstigste und, um ganz ehrlich zu sein, das einzige, dessen wir einen Tag vor unserer Ankunft in New York habhaft werden konnten.

Stadtbild

In den nächsten Tagen verbingen wir einige Zeit in Manhattan, dem aus Funk und Fernsehen bekannten Stadtviertel. Ein Skyscraper reiht sich an den nächsten. Und, obwohl sie alle diversen Baujahren entstammen, ergeben sie ein harmonisches Gesamtbild, scheinbar wachsen Hochhäuser hier wie eine Art organischer Wald in die Höhe. Glasturm neben antiker Säule neben Park neben Stau mit Polizeisirenen. Wunderbar.

Aus dem Stadtbild sind die mobilen Essenswagen nicht wegzudenken. Zwischen den ganzen noblen Gebäuden stehen mobile Wagen, deren Besitzer vom Fallafel über Hot Dogs bis hin zu indischen Köstlichkeiten alles feilbieten, was ein hungriger Mensch braucht.

Natürlich lassen wir, also ich, es uns auch nicht nehmen, Glitzern und Funkeln zu folgen und so finden wir uns in unserer schlichten Stadt-Outdoor-Motorrad-Reisebekleidung bei Tiffanys wieder. Man gewährt und tatsächlich Eintritt. Wow. Und hinsichtlich Shopping will ich unbedingt wissen, wie denn Bloomingdale’s nun in echt aussieht. Es ist ein dunkler, magischer Ort kann ich dir sagen. Wehrlose Menschen verirren sich wie Hänsel und Gretel zwischen Tischen voller Uhren, Parfum, Taschen, Schmuck und anderen Dingen, die man auf jeden Fall kaufen muss, um je aus dem Laden heil herauszukommen. Während du also verzweifelt nach einem Ausgang suchst, stürzen plötzlich aus dem Hinterhalt geschulte Verkäufer hervor und versuchen, dich mit Komplimenten und Verkaufsproben zu locken und so in die Fänge des Konsums zu treiben.

Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass wir mit GPS und einen starren, nach vorne gerichteten Blick, im Stechschritt den Weg in die Freiheit finden. Uff. Chapeau für alle, die das zum Weihnachtsshopping durchhalten.

 

Menschen

Ansonsten ist New York wirklich sehr spannend, da es unglaublich divers und heterogen ist. In der U-Bahn sitzend können wir nur schwerlich Oberkategorien für unsere Mitreisenden finden. Menschen sämtlicher Hautfarben, Religionen, Altersgruppen, Stilrichtungen fahren munter durch die Gegend. Eine derartige durchmischte Vielfalt habe ich sonst nirgends bisher gesehen. Einfach toll. Außerdem fallen die New Yorker durch mehrere Dinge oder Eigenheiten auf:

  • Urban fragrance: Viele riechen extrem gut und verströmen einen sehr angenehmen Duft beim Vorbeigehen – wer weiß, vielleicht kaufen die ja alle bei Bloomingdale’s ein? Oder sie wollen das Aroma übertünchen, das einen zwischendurch unerwartet an einigen Ecken entgegenschlägt.
  • New Yorker sind freundlich, wir begegnen jedenfalls sehr vielen. Sobald wir mit der Karte länger als 13 Sekunden irgendwo stehen oder einfach nur so ratlos gucken, werden wir sofort angesprochen und freundlichst zu nächsten Sehenswürdigkeit oder was auch immer gelotst.
  • Jeder Menschen scheint einen konkreten Plan zu verfolgen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die New Yorker oder sind es Amerikaner – ich werde es sicher noch herausfinden – sich ihrer sehr bewusst sind. Es ist eine interessante Mischung aus Selbstsicherheit und dem Streben auf ein Ziel hin.

Werbung

Wir verbringen wahrlich einige Zeit in der Subway und können so ausgiebig Werbeplakate studieren. Im Gegensatz zu Deutschland oder anderen Städten wird in New York konkret für den New Yorker geworben. Know your rights ist ein großes Thema. Es gibt Hotlines zu offiziellen Stellen, die zu Diskriminierung, Gehalt, häuslicher Gewalt beraten – alles auf den New Yorker zugeschnitten.

Außerdem existiert eine Serie New York helped me to be confident when I had depression/panic attacks/personality disorder. Dabei handelt es sich um Plakate, auf denen ein über den gewährten Support breit lächelnder Mensch steht und signalisiert, dass NY etwas für ihn getan hat. Sympatisch finde ich auch den Slogan zur obligatorischen Sicherheit: see something, say something.

Für die Stadt, die niemals schläft und aus sämtlichen Kulturen besteht, wird tatsächlich durch Marketing eine gemeinsame Grundlage geschaffen. Das geht sogar so weit, dass Waschbären als New Yorker bezeichnet werden und der heimische Mensch sich zur Auseinandersetzung mit dem Nachbartier angeregt wird.

Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht und was uns in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das sich Streben nach Glück verschrieben hat, weiter begegnet.

Felicitas


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