San Pedro Retreat im Cusco Healing Tree Center

Für uns war ein wichtiger Grund, um Südamerika zu bereisen, dass vor einigen Jahren die Erdkundalini Energie von Tibet nach Peru gewandert ist (Buchempfehlung: Schlange des Lichts von Drunvalo Melchizedek). Was also noch für unsere Eltern das spirituelle Highlight des Himalaya Gebirges war, ist heute auf dem Südamerikanischen Kontinent zu finden. Während die Energie des letzten Zyklus‘ eher männlich geprägt war, ändert sie sich mit der Wanderung in die Anden und das Amazonasgebiet in eine weibliche Qualität. Was für die Tibeter noch die Meditation auf der Krone der Welt war, ist für die südamerikanische Schamanen die Verbindung mit Mutter Erde und die Arbeit mit der Heilkraft der Pflanzen des Dschungels und der Anden, um das Herz und das Bewusstsein der Menschen für die Schöpfung und die Liebe zu öffnen.

Die in Peru praktizierten Rituale und Zeremonien sind teilweise mehrere tausend Jahre alt. Nach unserem ersten Kontakt mit dem Inkareich auf dem Machu Picchu sind wir sehr gespannt, die Bekanntschaft mit dem Schamenen Toribio aus der Q’ero Comunity zu machen, die in der Nähe des heiligen Berges Apu Ausangate liegt. Die Q’ero Community ist selbst heute noch nur über einen mühsamen Fußmarsch zu erreichen, so abgeschieden liegt sie in den Bergen. Dadurch hat sie fast unberührt die Kolonialzeit und alle weiteren Revolutionen überdauert und ihr reiches Wissen der Ureinwohner über die heilende Kraft der Natur bis heute erhalten.

Anfahrt zum Cusco Healing Tree Center

Zum Glück brauchen wir uns heute nicht mit dem Maultier auf ins Gebirge zu machen. Denn zusammen mit mehreren anderen Schamanen aus dem Andenland und dem Amazonasgebiet arbeitet Toribo im Healing Tree Center eine halbe Stunde nördlich von Cusco. Ganz so einfach stellt sich die Anreise für uns dann allerdings doch nicht dar, da uns das GPS zielsicher in die Pampa lotst. Was auf der Karte wie eine ganz normale Straße aussieht, ist zunächst eine Piste, dann ein Fußpfad für Lamas und Schafe, vorbei an bunt gekleideten und verwundert dreinschauenden einheimischen Bauern. Beherzt ackern wir uns mit den Motorrädern voran, schließlich wissen wir, dass das Healing Tree Center inmitten der grünen Hügel, wilden Felsen und verstreuten Inkaruinen liegt. Kurz darauf endet aber auch der Trampelpfad und es geht querfeldein über Stock und Stein weiter. Das Terrain wird zunehmend schwieriger und wir müssen unsere V-Stroms zu zweit und nacheinander durch die Passagen manövrieren. Dann der Gau: Nach einem Sturz springt mein Motor nicht mehr an. Aufgrund erfolgloser Fehlersuche teilen wir uns auf. Felicitas bleibt bei meinem Motorrad und ich fahre mit ihrer Maschine weiter zum Zentrum.

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Das wars: so ziemlich der ungünstigste Ort um mit Starterschaden liegenzubleiben.

Mittlerweile wird es dunkel, was die Routenfindung zwischen Gestrüpp, Felsen und Abhängen nicht einfacher macht. Zwischendurch laufe ich zu Fuß ein Stück vor, um das Gelände zu erkunden, lasse die V-Strom dann aber doch rund fünfhundert Meter vor dem Ziel an einem Hang liegen und stolpere den Rest durch die Nacht in Richtung der erleuchteten Fenster.

Herzlicher Empfang im Healing Tree Center

Mitarbeiterin Jenny empfängt mich herzlich am Healing Tree Center und ich bin erleichtert, dass wenigstens die Zielkoordinaten stimmen. Ungläubig schaut sie mich an, als ich erzähle, wo Felicitas und die Motorräder sind und schüttelt den Kopf. Eine Straße gibt es in dieser Richtung auf keinen Fall. Nur aus Richtung Cusco und die endet vor der Haustür. Da ist der digitale Fortschritt definitiv der Realität voraus.

Jenny telefoniert und wenige Minuten später ist ein Rettungsteam zusammengestellt, dass sich aus Cusco auf den Weg macht. Bis die anderen eintreffen, machen Jenny und ich uns mit Taschenlampen auf den Weg, um immerhin die gelbe V-Strom schon mal bis zum Center zu bringen. Jenny kennt sich hier aus und nur drei Stürze später ist das erste Motorrad wohlbehalten im Zentrum.

Mittlerweile sind Chef Italo und zwei weitere Männer eingetroffen und wir laufen mit GPS, Decken und Tee bewaffnet durch die Nacht zu Felicitas. Das Höhentraining auf dem Machu Picchu zahlt sich aus und so bin ich auch nur FAST völlig fertig, als wir bei Felicitas ankommen. Die hat sich wegen der eisigen Kälte unser Zelt aufgestellt.

Gemeinsam ziehen wir mein Motorrad mit Starterschaden aus der misslichen Passage und wenden es mit vereinten Kräften hangabwärts. Ich will versuchen, ob wir die Maschine wenigstens im dritten Gang anschieben können. Mit Stirnlampe am Helm rumple ich den Hang hinab, bis die nötige Geschwindigkeit erreicht ist. Kupplung kommen lassen und – tadaa, der Motor springt an, als wäre nichts gewesen! Jetzt bloß nicht abwürgen. Zum Glück zeichnet unser GPS die gefahrene Route auf, sodass wir wenigstens den selben Weg zurück ins letzte Dorf nehmen können, wo die Piste beginnt.

Als wir den Trampelpfad erreichen, läuft einer der Männer zurück, um das Auto zu holen. Er will die anderen in der Puebla abholen. Statt um fünf Uhr Nachmittags sitzen wir spät abends im Healing Tree Center bei einer heißen Hühnersuppe und feiern unser kleines Abenteuer.

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Glücklich am nächsten Morgen im Healing Tree Center mit Manager Italo

San Pedro Zeremonie (Wachuma)

Vor Reisebeginn hatten wir uns gar nicht genauer mit südamerikanischem Schamanismus auseinandergesetzt. Nordamerikanische Zeremonien wie z.B. Schwitzhütten hatten wir bereits in Belgien bei unseren Freunden Maja und Andreas im Institut für Schamanismus und Geomantie kennengelernt. Vor einigen Wochen begann ich also, mich mehr mit den Ritualen und Zeremonien der Inka zu befassen.

Eine der berühmtesten Erfahrungen, die man in Peru machen kann, ist wohl die San Pedro Zeremonie. Während des ein oder mehrtägigen Retreats wird unter schamanischer Anleitung und Supervision eine bittere Medizin getrunken, die aus einem einheimischen Kaktus der Anden gewonnen wird. Des Gebräu  öffnet zusammen mit den schamanischen Gesängen und Reinigungsritualen das Bewusstsein für eine erweiterte Wahrnehmung der Realität und verbindet den Teilnehmer mit der Liebe für Erde, Kosmos – und für sich selbst.

Wir haben bisher keine Erfahrung mit psychoaktiven Substanzen in unserem Leben gemacht. Getreu unserer Mütter „Kind, lass die Drogen sein!“ beschränken sich unsere Experimente auf den spärlichen Genuss alkoholischer Getränke. Davon werde ich aber hauptsächlich müde, sodass mich weitere Eskapaden bisher nicht interessiert haben.

Mich im Hinblick auf Heilung von Herz, Seele und Verstand dem Thema unter professioneller Leitung und jahrtausendealter Erfahrung und Tradition zu stellen, macht mich dann aber doch gespannt und neugierig. Schließlich werden die heutigen Inkas teilweise deutlich über hundert Jahre alt und verfügen weder über einen Arzt noch eine Apotheke in ihren Dörfern.

Volcanic Water Cleansing

Bevor das San Pedro Retreat allerdings beginnt, steht zunächst eine körperliche Grundreinigung mit Volcanic Water aus den Anden auf dem Programm. Ich muss 4,5 l der eklig salzigen Flüssigkeit in mich hineinschütten. Felicitas kommt besser weg, sie ist schon nach 3 l fertig. Danach verbringen wir ein paar Stunden auf dem Klo, bis die Sulfatlake unsere Innereien blitzeblank gespült hat. Italo erklärt uns, dass diese Entgiftung vor der Einnahme von Wachuma wichtig ist. So können unerwünschte Nebenwirkungen deutlich reduziert werden.

Ganz so schlimm, wie sich diese Prozedur anhört, ist sie dann aber zum Glück doch nicht. Kurz darauf dürfen wir schon wieder essen und erfreuen uns an dem köstlichen Mittagessen im Center.

San Pedro Retreat im Healing Tree Center

Am nächsten Morgen trifft Schamane Toribo ein und erklärt uns den Ablauf des Retreats. Mitarbeiterin Jenny übersetzt und wir beginnen den Tag mit einer Unification Zeremonie mit Coca Blättern, bei der um die Unterstützung des Kosmos, der Erde und der Ahnen gebetet wird.

Kurz darauf sind wir bereit, von der San Pedro Medizin zu kosten. Hier in Peru nimmt man den Begriff der „bitteren Medizin“ noch wörtlich. Wachuma ist eine unappetitliche, zähflüssige Substanz. Wir bemühen uns, die dargereichte Dosis in einem Zug zu trinken und schlucken und kauen den Becher mit leicht gequälten Gesichtszügen in uns hinein. Geschafft!

Jetzt dürfen wir erst einmal eine Stunde im Garten liegend die Sonne genießen bis die Wirkung sanft einsetzt. Dann packen wir unsere Rucksäcke und machen uns auf die Wanderung in die wunderschöne Natur. Mittlerweile ist die Wirkung des Kaktus nicht mehr zu leugnen. Wie pubertierende Teenager, die sich heimlich eine Schnapsflasche reingezogen haben, kichern und prusten wir durch die grünen Wiesen. Toribo deutet uns, dass wir uns zwischen Felsen an einem Wasserlauf niederlassen sollen.

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Schamane Toribo betet zu den Kräften der Natur

Ich liege im Gras und schaue in den Himmel. Wo die anderen sind, weiß ich nicht genau. Von unten vom Wasser höre ich Toribo auf seiner Flöte spielen. Die Musik trägt mich fort und ich verliere jegliches Raum- und Zeitgefühl. Ich fühle mich einfach nur glücklich und mit der Natur verbunden. Die Grenzen zwischen mir und dem Rasen verschwimmen merklich. Ich fühle mich eher als Teil der Erde und stelle mir vor, wie ich als erster Mensch vom Sonnenlicht erwärmt aus der Erde geschöpft werde. Ich verstehe nun vollständig, warum Sonne und Erde für die Naturvölker von so unglaublicher Wichtigkeit sind. Ich fühle einen Strom der Liebe zwischen Sonne und Erde durch mich fließen und bin ganz ergriffen von diesem Erlebnis.

Etwas torkelnd mache ich mich unbestimmte Zeit später auf den Weg zu den anderen am Wasser. Toribo flötet immer noch geheimnisvolle schamanische Melodien. Ich entledige mich meiner Kleider und klettere in den Bach. Ich hocke mich unter einen kleinen Wasserfall und verliere erneut jegliches Zeitgefühl. Als ich wieder zu mir komme, umarme ich gerade einen Felsen. Jenny steht am Ufer und bittet mich, doch endlich etwas anzuziehen. Die anderen Wanderer würden schon gucken…

Kuti Reinigungszeremonie

Zur Mittagszeit suchen wir uns ein schattiges Plätzchen. Dass ich zwischendurch immer wieder wegdrifte, macht mir etwas Sorgen und ich bitte Toribo, meine Hand zu halten. Das schenkt mir Vertrauen und erdet mich wieder. Jetzt steht die große Reinigungszeremonie an. Wie in der Einführung erklärt, bittet uns Jenny, noch einmal auf all das zu konzentrieren, was wir nicht mehr in unserem Leben haben wollen. Wir tun, wie uns geheißen und Toribo macht sich mit Tabak, Marakas, einer Condorfeder und diversen weiteren schamanischen Werkzeugen daran, unsere Energiekörper zu reinigen. Und dann ist es um mich geschehen.

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Maestro Toribo in Tracht bei der Arbeit

Ich fühle mich plötzlich überhaupt nicht mehr gut, stattdessen kommen mir wie in einem Alptraum alle möglichen Emotionen, Ängste und Visionen hoch. Das kann Teil des Ausleitprozesses sein, wie ich am nächsten Tag erfahre. Jetzt ist das ganze jedoch erschreckend real. Felicitas scheint es auch nicht besser zu gehen, Jenny und der Schamane betreuen sie schon eine gefühlte Ewigkeit. In mir ringt mein Glaubenssatz „Ich schaffe das alleine, ich brauche keine Hilfe!“ mit den überschäumenden Ängsten. Dann geht mir wieder das Zeitgefühl verloren.

Wir machen uns auf den Rückweg. Felicitas wird immer noch von den beiden unterstützt und ich stapfe stoisch hinterdrein. Mir ist es ein Rätsel, wie hier nur so viel Müll in dieser wunderbaren Landschaft rumliegen kann. Einer kosmischen Eingebung folgend, mache ich mich daran, Plastikteile entlang des Pfades aufzusammeln. Jenny kommt mit dem Auto zurück und bittet mich, doch bitte mit Toribo und Felicitas Schritt zu halten. Wortlos nicke ich und reiche ihr den gesammelten Müll ins Auto. Kurz vor dem Center hole ich Felicitas wieder ein, die sich bei unserem Schamanen untergehakt hat.

Wie ich genau ins Bett gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Von schlimmer Angst geplagt wache ich auf. Immer noch kämpfe ich mit mir: “Nein ich brauche keine Hilfe. Es ist viel wichtiger, dass Felicitas versorgt ist.“ Die scheint allerdings unten zu sein, ich bin allein im Zimmer. Langsam dämmert mir in meinem Hirn, dass wohl Teil der Reinigung ist, die alten Glaubensmuster loszulassen. Es kostet mich große Überwindung, schließlich doch nach dem Schamanen zu rufen. Um auch wirklich etwas zu lernen, muss ich scheinbar sogar zehnmal rufen. Ob ich bei den ersten Versuchen überhaupt einen Ton über die Lippen gebracht habe, weiß ich nicht. Endlich erscheint Toribo mit seiner Condorfeder, hält meine Hand und betet. Ich döse wieder weg.

Im Halbschlaf erscheinen mir Visionen meiner Ahnen. Ich bitte sie, alle Verträge und Erwartungen von mir zu nehmen und sie verschwinden wieder.

Ich tapse die Treppe runter in die Küche. Felicitas sitzt da und sieht ziemlich fertig aus. Ich bitte auch sie, alle Verantwortung von mir zu nehmen. Müde nickt sie. Jenny hatte heute morgen in der Einführungsrunde wohl einen entscheidenden Satz gesagt: „Der wichtigste Mensch in unserem Leben sind wir selber.“ Das klang heute morgen noch sehr einfach.

Während ich hier sitze und die Reinigung über mich ergehen lasse, wird mir scheibchenweise klar, wie verstrickt wir doch alle sind. Wie wir uns um alle möglichen Menschen unter dem Deckmantel der Liebe kümmern und dabei überhaupt nicht richtig für uns selbst sorgen können. Heute am Fluss habe ich die bedingungslose Liebe der Schöpfung erlebt, wie ich Teil des Ganzen bin. Jetzt, wo meine Dämonen aus dem Keller kommen, merke ich aber deutlich, wo ich diese reine Form der Liebe gar nicht in mir habe. Ich sehe mich mit all meinen Verletzungen konfrontiert, wo ich Handelsbeziehungen der Liebe eingegangen bin. Und ich darf noch einmal durch alle Ängste gehen, die ich in meinem Leben unterdrückt habe, als ich keine bedingungslose Liebe als Menschenkind erfahren habe.

Nachts um drei hocken Felicitas und ich noch immer in der Küche und zählen unsere Finger. Das wackelige Gefühl fängt langsam an zu schwinden und unser Geist beginnt, die Grenzen unseres physischen Körpers wieder als eine doch ganz gute Form der Realität zu akzeptieren. Was für ein Tag. Wir zwingen uns noch etwas Suppe zu essen, um unseren Stoffwechsel in Gang zu bringen und schleppen uns mit einem heißen Tee ins Bett. Dass eine schamanische Reinigung mit ein bisschen Kaktus und Geflöte so reinhauen kann… Und morgen das Ganze nochmal! Ich werde auf jeden Fall eine kleinere Dosis nehmen.

Ein paar Tage später sitze ich in den grünen Hügeln über dem Healing Tree Center und sinne über das Erlebnis nach. Seit dem San Pedro Retreat bin ich sehr still und in mich gekehrt. Ich fühle mich zentrierter, weniger abgelenkt vom Außen. Das Gefühl der Anbindung an Erde und Kosmos ist immer noch da. Meine Ängste aus der Nacht sind verschwunden. Ich fühle den Strom der Liebe zwischen Himmel und Erde durch mich fließen, so wie ich ihn unten am Fluss gespürt habe. Wie das wohl wäre, wenn alle Menschen ihre Ängste überwunden haben werden und sich in der reinen Liebe befinden?

Andreas


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Eigene Grenzen überwinden – so geht’s!

Auf unserer Reise haben wir nun schon zum zweiten Mal mit einem Phänomen zu kämpfen, dass scheinbar immer dann auftritt, wenn wir eine Grenze überqueren wollen. Aus unerklärlichen Gründen gerät unsere Reise ins Stocken, wir bleiben plötzlich ganz dringend für mehrere Wochen an einem Ort – und werden sogar krank.

Jeder hat wohl schon mal so eine ähnliche Erfahrung gemacht, wenn man eine super wichtige Abschlussarbeit oder die Steuererklärung schreiben sollte. Siedend heiß fällt einem ein, dass noch ganz dringend eingekauft und das Bad geputzt werden muss. Den Keller wollte man ja auch schon immer mal aufräumen, dafür wäre doch auch genau jetzt der richtige Zeitpunkt, schließlich kann man das ja nicht ewig aufschieben.

Als wir von den USA nach Mexiko reisen wollten, bekommen wir in Kalifornien einen Durchhänger, bleiben noch drei Wochen in Glen Eden und erkälten uns. Gleiches Spiel nun auch in Mexiko an der Grenze zu Guatemala. Zwei Wochen bleiben wir in San Cristóbal, davon liegen wir obligatorisch wieder eine Woche mit Erkältung im Bett.

Mühsam raffen wir uns schließlich auf und reisen nach Palenque, wo wir eigentlich nur einen Tag die Mayapyramiden auf unserem Weg nach Tikal bestaunen wollen. Auf unserer Anreise durch den Regenwald geraten wir in zwei Straßensperren von demonstrierenden und ziemlich schlecht gelaunten Einheimischen, die den kompletten Straßenverkehr mit Geröllinstallationen lahmgelegt haben. Nach einer Weile können wir uns freikaufen und doch weiterfahren – mit den Motorrädern passen wir so grade noch zwischen den Felsbrocken durch.

Aus unserem Tag in Palenque wird dann allerdings auch noch mal eine Woche, weil sich Felicitas ganz übel Magen-Darm gefangen hat. Diesmal sogar so schlimm, dass ich mich mitten in der Nacht auf die Suche nach einem Krankenhaus mache. Eine Krankenschwester empfängt mich freundlich und sie will mit dem Arzt sprechen. Manchmal ist es auch ein Vorteil, offensichtlich Tourist zu sein. Im Flur und vor dem Krankenhaus sitzen bestimmt dreißig Mexikaner und warten auf ihre Behandlung. Der Arzt erklärt mir, dass er Felicitas sehen will und dass ich sie herbringen soll. Ich versuche im klarzumachen, dass das gerade nicht so gut ginge und ob er mir nicht ein Medikament geben könne. Aber er ist beharrlich und ich mache mich auf den Rückweg zum Hotel. Wenigstens haben wir doch nicht im Regenwald bei den Ruinen gezeltet, was eigentlich unsere erste Idee gewesen war. Wegen schlechtem Wetter hatten wir uns abends kurzfristig für ein Zimmer in der Stadt entschieden. Welch ein Glück.

Wieder im Hotel sammle ich Felicitas und alles Nötige ein und wir machen uns schwankend auf den Weg in die Nacht. Heute ist Blut-Mond. Ich kenne mich zwar mit Astrologie nicht aus, scheint aber kein gutes Omen zu sein. Etappenweise arbeiten wir uns von Blumenkübel zu Blumenkübel vor, bis wir schließlich am Krankenhaus ankommen. Wir dürfen gleich den Lieferanten-Eingang benutzen. Felicitas will schon erschöpft auf die Liege sinken, aber es muss erst noch Blutdruck und Gewicht gemessen werden. Ist aber nicht mehr viel da zum Messen. Die Krankenschwester misst nochmal, davon werden die Werte aber auch nicht besser. Der Arzt schreibt ein Rezept und erklärt mir, wie ich zur Apotheke komme. Gekleckert wird hier nicht, es gibt zwei Liter Infusion mit diversen Additiven. Froh, wieder an der frischen Luft zu sein, laufe ich los, um die Medikamente zu kaufen.

Aber die Arme ist noch nicht über den Berg. Als ich zurück bin, will die Schwester die Infusion legen. Auf der Suche nach einer Vene wird erst der eine Arm mit einem Gummischlauch abgeklemmt, dann der andere. Dann wieder der eine. Mir wird etwas teigig zumute, nur bei dem Anblick der Prozedur. Eine andere Schwester kommt hinzu und probiert auch ihr Glück, leider auch erfolglos. Klarer Fall für die Oberschwester, eine gestandene Frau. Ärmel hochgekrempelt und schweres Gerät geholt. Diesmal werden Felicitas‘ Arme mit Gummihandschuhen abgeknotet. Sie findet nur leider auch nichts. Sie verschwindet nach einer Weile und holt den Chirurgen. Ich leide mit und danke dem Herrn, dass ich Venen für Blinde habe.

Der Chirurg geht das ganze routiniert aus dem Blickwinkel seines Handwerks an. Man ist hier schließlich im Urwald und wir können froh sein, dass es überhaupt ein Krankenhaus gibt. Großzügig wird Felicitas‘ Arm desinfiziert und frohgemut macht er sich mit der Infusionsnadel auf die Suche nach der Vene. Die muss ja irgendwo sein. Und als Chirurg weiß er wohl, wo man so ungefähr suchen muss. Seine Strategie: Wenn er sie trifft, kommt Blut raus. Mir wird übel. Er stochert also in Felicitas‘ Arm herum und tatsächlich kommt bereits nach nur ein paar Minuten Arbeit Blut raus. Tadaa! Infusion anschließen, fertig.

Die ganze Zeit habe ich mein Bestes gegeben, um für meine Frau da zu sein und sie zu unterstützen. Aber das ist dann eindeutig zu viel für mich. Ich torkle aus dem Raum auf die Straße und hocke mich hin. Alles dreht sich. Gott sei Dank ist das jetzt fertig. Ich merke, wie ein Stein von mir abfällt und ich weine Tränen der Erleichterung. Ich bin stolz, dass ich das ganze Spektakel bis zu Ende durchgestanden habe. Früher bin ich schon bei dem Geruch eines Krankenhauses aus den Latschen gekippt.

Ein paar Stunden später sind die Infusionen fertig, Felicitas hat wieder Gesichtsfarbe und wir werden entlassen. Hotelurlaub ist angesagt.

Aber warum ist es eigentlich so schwer, Grenzen zu überwinden? Eine interessante Frage, mit der wir uns nun doch mal bewusst auseinander setzen wollen. Schließlich kann das bei unserer anstehenden Länderliste so nicht weitergehen.

Wieso existieren Grenzen?

Insgesamt stellt die Welt, der Kosmos, alles Leben ein Gesamtes dar. Aus der Perspektive des Welt-Alls ist ALLES Teil von ALLEM. Wenn man dieses ALLES greifen kann, sprechen wir von Einheitsbewusstsein. Es existiert keine Trennung, keine Unterscheidung, kein Gut und Böse – und somit auch keine Grenze.

Leider kann sich unser Bewusstsein dieses ALLES nur schwerlich vorstellen. Wir können uns ja noch nicht mal ausmalen, dass wir bereits vollständig in der Liebe und im Überfluss sein könnten. Und weil wir uns dieses Vollständige mit unserem Bewusstsein kaum vorstellen können, sich unsere Seele aber an das Eins-Sein zurückerinnert, erleben wir ein Gefühl von Mangel.

Damit wir in der Trennung von der Quelle, von der Einheit,  von der Liebe, überleben können, brauchen wir so dringend das Ego. Das Ego beschützt uns sozusagen und tut sein Möglichstes, damit wir in dieser Trennung überleben können. Bereits als Kind schließen wir Verträge mit uns selbst, unseren Eltern und vielen weiteren Menschen ab: Ich tue dieses oder jenes für dich, dafür hast du mich lieb. Durch diese Handels-Beziehungen versuchen wir unsere mangelnde Selbstliebe im Außen zu flicken.

Wir erschaffen uns also einen sicheren Lebensraum, in dem wir nach Möglichkeit nicht mit dem Schmerz der Trennung konfrontiert werden. Sozusagen eine Bewusstseinsblase oder -Sphäre. Einen Raum, der so bequem wie möglich ist. Dieser Raum heißt Alltag, Ablenkung, Komfortzone. Es ist sehr wichtig, das zu verstehen.

Warum ist es so schwer, Grenzen zu überwinden?

Insgeheim wissen wir aber auch, dass diese Hilfskonstruktion unseres Egos nicht wasserdicht ist. Kann sie ja nicht, weil sie die ursprüngliche Erfahrung des Getrennt-Sein nicht löst. Mittelfristig stellt sich also immer wieder Traurigkeit, Perspektivenlosigkeit, Sinnlosigkeit ein. Der Wunsch kommt auf, sein Leben zu ändern. Aber das erscheint den meisten Menschen unmöglich.

Der Wunsch ist tatsächlich unmöglich, wenn er aus dem Ego kommt! Denn das Grundprinzip des Egos basiert auf Trennung. Die Aufgabe des Egos ist ja gerade, uns in der dualen Wahrnehmung der Welt überleben zu lassen. Es wird um jeden Preis diese begrenzende Sphäre um uns aufrechterhalten, weil es davon ausgeht, dass wir außerhalb nicht überleben können. 

Kommt man den Grenzen seiner Vorstellungskraft zu nahe, erlebt man die Situation als reale Bedrohung, man erlebt Angst. Diese persönlichen mentalen Grenzen resonieren übrigens auch mit den Grenzen des Globalbewusstseins. Wenn uns also 90% der Amerikaner ein halbes Jahr lang erzählen, dass wir um Gottes Willen nicht nach Mexiko fahren sollen, müssen wir uns wohl auch mit dieser globalen Bewusstseins-Grenze auseinandersetzen.

Wie überwindet man dann eine Grenze?

Genaugenommen kann man Grenzen aus einem dreidimensionalen Bewusstsein nicht überwinden. Man kann sie nur verschieben. Ein beliebiger Geschwindigkeits-Weltrekord ist ein Beispiel dafür.

Damit gibt es aber ein Problem: Egal wie sehr ich mich auch anstrenge, in einer dualen Weltwahrnehmung kann ich so viele Erfahrungen machen, wie ich will, ich kann die Einheit nie erreichen, weil ich die Grenzen meines Bewusstseins nur verschieben kann.

Es muss also ein Entwicklungssprung in eine höhere Dimension stattfinden. Der ist aber zum Glück in unserer Zeit bereits für viele Menschen möglich. Um wahrhaftig alle Grenzen zu überwinden, ist es nötig, sich vollständig an die Einheit zu erinnern. Du weißt, dass du in der Einheit angekommen bist, wenn du ausnahmslos Liebe für alles und jeden empfindest.

Die Heilung der Trennung

Mit dem Prozess der Heilung beschäftigen wir uns nun schon einige Jahre. Die Welt zu bereisen ist für uns ein gutes Werkzeug, in kürzerer Zeit die Grenzen unseres Bewusstseins und unsere Verletzungen kennenzulernen, sie zu verstehen und ein weiteres Puzzle-Stück in die Einheit zurückzuführen.

1. Das Ego einladen, nach Hause zu kommen

Der erste und vielleicht wichtigste Schritt zur Heilung ist wohl, nicht mehr gegen das Ego zu kämpfen. Diesen Kampf kann niemand gewinnen, weil wir das Ego selbst erschaffen haben. Der erste Schritt ist die Annahme des Egos, das schon unser ganzes Leben sein Möglichstes getan hat, damit wir in einer dualen Weltwahrnehmung überleben können. Wir laden das Ego ein, nach Hause in unser Herz zu kommen.

Dieser Schritt kann sehr schwer, schmerzvoll und langwierig sein. Wenn wir das Ego einladen, nach Hause in unser Herz zu kommen, dürfen wir alle verdrängten  Verletzungen und Erlebnisse der Trennung, der Handelsbeziehungen für ein bisschen Liebe und Geborgenheit, noch einmal durchleben. Aber das ist unsere große Chance! Wenn du wahrhaftig und authentisch sein willst, ist das dein Weg. Wäre es nicht ein erhebendes Gefühl, wahre und vollständige Dankbarkeit und Liebe für sich zu empfinden? Mit welch einer Güte und Liebe könnte man dann den Beschränkungen aller anderen Menschen begegnen?

Diesen Schritt der Selbstannahme ehrlich abzuschließen kann schon eine ganze Weile dauern. Ein wichtiges Hilfsmittel kann die Arbeit mit dem inneren Kind sein.

2. Nimm deine Verantwortung zurück

Als zweites müssen wir unbedingt verstehen, dass wir die komplette sogenannte Realität im Außen und Innen selbst erschaffen haben durch unsere Gedanken. Das gesamte Täter-Opfer-Helfer Karussell haben wir selbst erschaffen. Wir müssen erkennen, dass wir niemandem die Schuld für irgendwas geben können. Es gibt keine Freisprechung wegen schwerer Kindheit. Wir selbst haben nämlich alles, sogar unsere Kindheit erschaffen. Wie geht das?

Der Mensch wurde mit freiem Willen in der Einheit erschaffen. Sinnbildlich entspricht das dem Apfel im Paradies. Das Paradies repräsentiert die Einheit, in der es alles im Überfluss gibt. Es gibt alles, weil es keine Trennung gibt. Aber auch hier im Paradies gibt den freien Willen – den Apfel – wonach der Mensch selbst entscheiden kann, ob er in der Einheit oder der Dualität leben will. Essen wir den Apfel, wechseln wir von der einheitlichen Wahrnehmung in die duale.

Auf dieser Erde leben die meisten Menschen zur Zeit in der Version „duale Welt“. Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß. Entscheiden wir uns für das Einheitsbewusstsein, gibt es keine Bewertung mehr. Aus dem Blickwinkel des Einheitsbewusstseins ist eine „gute“ und eine „schlechte“ Erfahrung das selbe – nämlich eine Erfahrung. Und wir haben unser ganzes Leben selbst erschaffen, um das zu erkennen. Wenn du ehrlich bist, wirst du feststellen, dass du dich bei absolut jedem deiner Lebensereignisse auch hättest anders entscheiden können, egal wie alt du warst. Die sogenannte Realität im außen ist immer nur ein Spiegel von deiner Realität in deinem Innern. Viele spirituelle Schulen gehen auch davon aus, dass wir uns sogar unsere Eltern und unsere Seelenfamilie vor der Geburt ausgesucht haben, um entscheidende Erfahrungen für die Entwicklung unserer Seele zu machen.

Wenn es dir möglich ist, zu erkennen, dass du alle und zwar wirklich ALLE Entscheidungen selbst getroffen hast, sie auch hättest anders treffen können und das Außen immer nur ein Spiegelbild deiner inneren Welt ist, dann ist es dir möglich, vollständig deine Verantwortung für dein Leben zurückzunehmen. Wenn dir dieser Schritt vollständig gelungen ist, wirst du dich nie wieder als Opfer von irgendwas oder irgendwem fühlen. Du selbst bist der 100%-ige Schöpfer deines Lebens geworden! Du schreibst deine Geschichte. Jeden Tag.

Die Überwindung aller Grenzen

Dieses Kapitel ist eigentlich überflüssig. Wenn du Schritt 1 und 2 vollständig abgeschlossen hast, existieren für dich bereits keine Grenzen mehr.

Aber: Wer ist schon vollkommen? 🙂

1. Feiern

Deshalb: Jedes Mal, wenn du eine Grenze deines Bewusstseins erkennst (und du dafür hoffentlich nicht krank werden musst!) gratuliere dir und freue dich! Du hast eine Gelegenheit gefunden, dich etwas mehr zu lieben, etwas vollständiger und etwas freier zu werden.

2. Nimm dir eine Auszeit

Nimm dir Zeit und meditiere, schreibe oder erzähle einem guten Freund davon. Finde die Verletzung und die Angst, für die diese Grenze steht. Sprich mit der Verletzung und der Angst und lerne sie kennen. Wovor will sie dich beschützen und was braucht sie?

3. Bedanke dich bei deinem Beschützer

Bedanke dich bei deinem Ego, dass es dich all die Jahre so gut behütet hat. Sage ihm, dass du jetzt bereit bist, diesen Teil von dir liebevoll anzunehmen und dass er nicht mehr von dir getrennt zu sein braucht. Und dann liebe diesen Teil von dir, so sehr du nur kannst. Umarme ihn, erzähle ihm, wie sehr du ihn liebst.

4. Drücke deine Gefühle aus

Lache, weine, schreie, tanze, springe oder alles gleichzeitig. Finde eine Form, deine Emotionen auszudrücken und die Energie wieder ins Fließen zu bringen. Unterschätze diesen Schritt nicht, egal, wie bekloppt er dir vorkommt und wie dumm du dich dabei findest. Der Kopf allein mag vieles verstehen, wenn du aber den Körper und deine Emotionen nicht mitnimmst, ist deine Erkenntnis reine Theorie. Erst der emotionale Ausdruck löst die Blockade auf energetischer Ebene!

Und dann schau, wie sich dein Leben mit diesem neuen Teil von dir verändert!

Das war unsere Angst vor der Grenze

Was kam also bei uns raus, nachdem wir diese Schritte auf unsere „Grenzdurchhänger“ angewendet haben?

Nun, nachdem uns alle möglichen Menschen über so lange Zeit erzählt haben, wie furchtbar es südlich der USA wird, haben wir ihnen immer geantwortet, dass es doch ganz viele andere Reisende gibt, die auch die Panamerikana befahren und offensichtlich dieses Abenteuer überlebt haben. Das war die Ansicht unseres Verstandes.(Unbedeutendes Details: 99% der wohlmeinenden Ratgeber hat nie einen Fuß in eines dieser Länder gesetzt.)

Bei der Meditation und Emotionalarbeit kam dann aber raus, dass unser Unterbewusstsein von unserer doch so überzeugenden Faktenlage mit Verweis auf andere Reisende gar nicht so überzeugt war. In unserem Energiekörper lautete die Information ganz klar: Wenn wir da hinfahren, wird es ganz furchtbar.

Und da sich das Unterbewusstsein doch um viel mehr kümmert, als man so denkt, hat es uns kurzerhand ins Bett gesteckt. Jetzt vor dem Grenzgang nach Guatemala so richtig und nicht so seicht wie zuvor. Das lag zum einen daran, dass wir die ersten leichten Signale nicht als solche verstanden haben und wir zum anderen immer weiter in den Süden vordringen (in den Ländern, die jetzt kommen, sollen ja alles weiterhin oder sogar noch furchtbarer sein).

Wir haben jetzt die oben aufgeführten Schritte durchlaufen und hatten eine fantastische Zeit in Guatemala. Ganz ohne Angst. Und was war? Wir haben wieder die tollsten Menschen getroffen und die spektakulärsten Kultur- und Naturhighlights gesehen. Morgen fahren wir nach El Salvador – und freuen uns!

Also: Nutz die Chance, wenn dein Körper dir eine Mitteilung macht! Es gibt viel zu gewinnen.

Grenzenlose Grüße,
Andreas


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Rollenbilder ohne Zwist – zu Gast bei den Amish People (#3)

Drittes C: Childen and Family

Traditionelle Aufgabenverteilung der Erwachsenen

Die Familien leben in mehreren Generationen zusammen. Oft in verschiedenen Häusern auf einem Gehöft. Der Gedanke ist, dass die Alten von der jüngeren Generation gepflegt werden.

Männer und unverheiratete Frauen gehen einer Arbeit nach. Das können Bereiche sein wie z.B. Pferde- und Viehzucht, Farmer, Käseherstellung. Wayne hat seine eigene Firma Pioneer Equipment gegründet und dort werden Wagen und Ackerbaumaschinen, die von Pferden gezogen werden, von knapp 50 Mitarbeitern hergestellt, beworben und vertrieben.

Ehefrauen und Mütter sind zumeist für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig. Sie kochen von früh bis spät äußerst lecker, wie wir feststellen dürfen. Die Kindererziehung ist eine Lebensaufgabe. Bei durchschnittlich sechs Sprösslingen auch kein Wunder. Mary und Wayne haben sogar zwölf Kinder und aktuell 35 Enkel.

Kleiner Exkurs zur Kleidung

Auch die Kleidung ist traditionell, trägt zum Gemeinschaftsgefühl bei und ist an der Heiligen Schrift orientiert. Mode, Schmuck und auffällige Schnitte spielen keine Rolle, da sie den einzelnen in den Mittelpunkt stellen. So tragen alle die selbst hergestellte Tracht: Frauen und Mädchen einfarbige Kleider, manchmal farblich passende Schürzen und weiße Hauben. Die Hauben rühren von einer Bibelstelle, die besagt, dass Frauen ihr Haar bedecken sollen. Männer und Jungen kleiden sich mit Hemden, Hosen mit Hosenträgern und häufig einem Strohhut. Verheiratete Männer erkennt man übrigens am flauschigen Bart.

Aufgaben der Kinder

Kinder kümmern sich schon in jungen Jahren um ein Tier – ein großes wie eine Ziege, einen Hund oder ein Pony, nicht so was kleines wie ein Meerschwein. So soll Verantwortung gelernt werden. Unsere kleinen Freunde sind sogar selbständig mit Gewinnerzielungsabsicht mit der Ahornsirupproduktion oder der Ausbildung von Ponys und Pferde zum Reit- und Zugtier betraut. Louis (13) sagt zum Thema Arbeit, dass er zwar andere Sachen lieber macht, der Rasen aber trotzdem gemäht werden will. Also macht er das eben zuerst.

Schule gibt es bis zur 8. Klasse. Berufe, die einen Colledgeabschluss erfordern, kommen bei Amish People daher nicht in Betracht. Das würde dem einfachen Leben, dem sie sich verschrieben haben, widersprechen. Trotzdem erklären uns die Kinder, dass sie bereits über ihren Berufsweg nachdenken und Arbeit finden werden, die ihren Interessen entspricht – Farmer, Handwerker, Pferdezüchter…

Wir sind überrascht: Alle Kinder wirken trotz der vielen Arbeit zufrieden. Keines sitzt gelangweilt in der Ecke  herum, wirkt traurig oder aggressiv. Im Gegenteil, alle gehen ihren Aufgaben nach, haben trotzdem genug Zeit miteinander zu spielen und sind ab einem gewissen Alter Gesprächspartner von Themen wie Berufswahl, Glaube, Pferdezucht.

Woran liegt das? Wir haben nur Erinnerungen daran, dass nie irgendwer als Kind gerne die Spülmaschien ausräumen, den Müll runterbringen oder den Kaninchenstall sauber machen wollte. Und hier wissen die Kinder, welche Arbeit getan werden muss und teilen sie sich ein. Vielleicht liegt es daran, dass keiner nur mit einer einzelnen Aufgabe wie dem Abwasch betraut ist, sondern für ein eigenens, wichtiges Projekt verantwortlich ist.

Möglicherweise ist der Grund auch, dass die gesamte Gemeinschaft mehr oder minder demselben Tagesrhythmus folgt, alle konstant beschäftigt sind und sich keiner durch den Tag schlunzt und faulenzt. Das steckt dann wohl einfach an.

Rollenbild trifft Identität

Kleidung gleich, Tage gleich, Gemeinschaft im Vordergrund. Rollenbilder sind klar verteilt. Das schafft Halt und Sicherheit in einer Zeit, in der es sonst so viele Unwägbarkeiten, Zweifel und Herausforderungen gibt. Männer, Frauen und Kinder wissen genau, wie sie als Mann, Frau oder Kind zu sein haben, was sie im Leben erwartet. Männer gehen arbeiten, geben den Ton an (sowohl im Alltag als auch beim Singen), Frauen gestalten den Rahmen, das Heim, erziehen die Kinder (dürfen aber kein Geschäft gründen oder in den Kirchenchor), Kinder helfen bei der Arbeit mit.

Basierend darauf stellt sich die Frage nach der eigenen Identität und Qualitäten bei den Amsih People vermutlich etwas anders als in deinem und meinem Alltag.  Jeder weiß, wer in der Gemeinschaft üblicherweise welche Aufgaben übernimmt und welche das sind. Also findet jeder seinen Platz und füllt diesen selbstverständlich und mit Freude aus.

Und was heißt das jetzt für mich?

Einen Platz, eine Rolle für sich zu finden, die einen ausfüllt und glücklich macht, ist manchmal nicht so einfach, weil so viele unterschiedliche Lebens- und erziehungskonzepte aufeinanderprallen und man das für sich richtige herausfinden muss – und es lohnt sich unabhängig davon, wie es im Endeffekt aussieht: Traditionell, unkonventionell, abenteuerlich, konservativ, alternativ, streng, laissez-faire…

Welche Rolle fülle ich aus und aus welcher bin ich herausgewachsen?
Worüber definiere ich mich (auch einmal unabhängig von Geschlecht und Arbeit betrachtet)?
Worauf lege ich Wert bei der Erziehung meiner Kinder?

Felicitas


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Schmeiß das Ego über Board – zu Gast bei den Amish People (#2)

Zweites C: Community

Sozialkontrakt

Die Amishe Gemeinde ist eine starke Enklave im amerikanischen Staat, die von ihrem Zusammenhalt lebt. Der christliche Glaube ist die Grundlage für das Gemeinschaftssystem. Der amerikanische Staat erhält zwar die Steuern, doch die Amish People agieren so weit dies geht autonom von diesem. Es werden z.B. keine Unterstützungen von diesem angenommen. Im Krankheits- oder Schadensfall kommt die gesamte Gemeinde für den Hilfsbedürftigen auf.

Wayne und Mary berichteten uns dazu, dass einmal ein Feuer das Haus einer Familie zerstört hat. Alle Nachbarn eilten sofort zur Hilfe und begannen mit dem Aufräumen als die Asche noch glühte. Aus dem ganzen Bundesstaat kamen alsdann andere Amish People zur Unterstützung. Innerhalb von drei Monaten war das Haus komplett neu aufgebaut, eingerichtet und bezugsfertig.

Auch für kleinere und größere Alltagssorgen findet jeder in der Gemeinschaft Hilfestellung. Man wendet sich bei Herausforderungen an den Priester – Glaubenskrise, Geldnot, Eheprobleme, Kindererziehung, was auch immer. Es wird eine Supportive Group eröffnet, die sich aus mehreren erfahrenen Ehepaaren zusammensetzt und sich regelmäßig trifft. Auf diese Weise plagt sich keiner alleine mit seinen Nöten herum, gewinnt neue Perspektiven und erfährt Rückhalt.

In keinem der Fälle wurde von irgendwem Gegenleistungen oder Zahlungen erwartet. Es ist für die Gemeinschaft selbstverständlich, füreinander da zu sein. Es ist wie ein Gesellschaftskontrakt: Ich weiß, dass die Gemeinde sofort ohne Einschränkung für mich einspringt, wenn ich dringend Hilfe benötige. Gleichzeitig verspreche ich dasselbe ohne Wenn und Aber für meinen Nächsten zu tun.

Arbeitsleben

Wie Gemeinschaft in Waynes und Marys Familie und deren Umfeld gelebt wird, ist  etwas Besonderes und Berührendes, denn jede Begegnung ist geprägt von aufrichtiger Herzlichkeit. Die Menschen interessieren sich wirklich füreinander und hören sich zu, dreschen keine leeren Phrasen. Das gilt sogar für das Arbeitsleben

Bei Waynes und Marys Gemeinde ist der Tag lang. Das Tageswerk beginnt um 6:00 – damit ist der Arbeitsstart gemeint. Lunch um 11:30, Supper und Arbeitsende um 17:00, weiter Werkeln, mit der Familie zusammensitzen und austauschen, 22:30 Schlafen. Sechs Tage die Woche. Am Sonntag gehen alle zur Messe (drei Stunden Gottesdienst auf dem Gelände einer Familie) und treffen sich im Anschluss.

Als wir berichten, dass in unserer Arbeitswelt häufig die Ellenbogen ausgefahren werden, um die Kollegen zu übertrumpfen, besser dazustehen und erfolgreich weiterzukommen, stößt dies bei den Amish People auf Verwunderung und Bestürzung. Hier zählt jeder gleich viel. Jeder versucht seiner Tätigkeit mit Freude nachzugehen und so ein für alle gutes Gesamtergebnis zu erreichen. Da alle so handeln, herrscht ein friedvolles, harmonisches Arbeitsklima. Und das, obwohl die Familienväter mit ihrem Einkommen für ihre Lieben (durchaus mindestens acht Personen) die Verantwortung tragen. Stell dir das mal vor! Du gehst zur Arbeit und es ist kein Kampf, sondern ein Miteinander.

Wayne sagt ganz klar, dass der einzelne sein Werken in den Dienst der Gemeinde stellen soll. Geht es der Gemeinde gut, geht es dem einzelnen gut. Ziel ist es eben nicht, mit allen Mitteln durchzusetzen, dass ein Ich im Rampenlicht steht, der Hecht im Karpfenteich zu sein und von allen Seiten bewundert zu werden. Es ist das höchste Bestreben, sein Leben nach Gottes Wort in Bescheidenheit und Selbstlosigkeit auszurichten.

Schmeiß das Ego über Board

Die Vision eines erfüllten, friedvollen Lebens in einer harmonischen Gemeinschaft, wo jeder an den anderen denkt, finde ich persönlich reizvoll. Gleichzeitig heißt das jedoch auch die Aufgabe von persönlichen Freiheiten oder Unterschieden, da ich mich ja für das Gelingen in den Gesamtkontext einordne. Das ist ein bisschen so wie mit den Ameisen. Jede hat ihre konkrete Aufgabe zum Wohle aller zu erfüllen. Da kann keine aus der Reihe springen, sonst geht im schlimmsten Fall der ganze Staat den Bach runter, wenn z.B. plötzlich nicht genügend Nahrung da ist, weil eine Gruppe heute mal keinen Bock hatte, weite Strecken zu gehen und schwere Krumen zum Bau ranzukarren.

Wie wäre also eine Kombination für uns, die nicht in einer so engen Gemeinschaft leben: Ich achte darauf, dass mein Verhalten zumindest keinem anderen schadet – sowohl in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, global gesehen – richte es sogar zum Wohle der Gesamtheit aus ohne mich selbst darum gleich verlieren zu müssen. Als Beispiel: Wertschätzung anderen Lebewesen gegenüber oder simpel seinen Müll nicht einfach irgendwo rumliegen lassen, sind meines Wissens nach zumeist einfach und intuitiv umsetzbar und machen gleichzeitig das Leben im Kleinen wie im Großen angenehm für alle Beteiligten.

Und was heißt das jetzt für mich?

Wann habe ich das letzte Mal einem anderen mit meiner vollen Aufmerksamkeit zugehört?
Wann habe ich zuletzt einen Kollegen gut vor dem Chef dastehen lassen?
Wann habe ich jemandem bei etwas geholfen, ohne dass ich etwas dafür verlangt habe (auch nicht unbewusst)?

Im nächsten Artikel schauen wir uns die Gemeinschaft in der Familie genauer an.

Felicitas


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Happy Farmstay

Einen schönen, nach Möglichkeit trockenen, kostenlosen und sicheren Platz für die Nacht zu finden ist eine fast tägliche Aufgabe geworden, wenn wir nicht gerade mehrere Tage an einem Ort sind.

Bisher haben wir dazu vor allem nach Plätzen zum Wildzelten „dispersed camping“ gesucht. Das ist in den USA z.B. in den National Forests 60 m abseits von Straßen und Gewässern legal möglich. Da wir mit unseren Motorrädern natürlich nur bedingt quer durch das Gehölz fahren können ohne Flurschaden anzurichten, suchen wir entlang von Forstwegen nach Lichtungen.

Wie man sich leicht vorstellen kann, kann für die Suche schon mal einige Zeit nötig sein, auch wenn man mit der Zeit einen Blick und ein Gefühl für einen guten Nachtplatz entwickelt. Auch ist der Untergrund nicht immer optimal und im allgemeinen trocknet das Zelt nach einer verregneten Nacht im Schatten der Bäume nicht.

Eine neue Option, die wir auf unserer Reise kennen und schätzen gelernt haben, bieten die Farms, die es zu Hauf und praktisch überall gibt. Alle Farmer, die wir bisher getroffen haben, haben sich sogar gefreut, wenn wir irgendwo bei ihnen auf einer Wiese zelten wollten. Insbesondere für die Milchbauern ist es praktisch nicht möglich zu reisen, da das Vieh versorgt und gemolken werden muss. Wenn wir bei ihnen übernachten, ist es vielleicht ein bisschen so, dass wir ein Stückchen weite Welt zu ihnen bringen. Stolz zeigen sie uns ihr Gut, nicht selten werden wir auf ein Getränk, ein Essen oder sogar zur Übernachtung ins Haus eingeladen.

Die Abgeschiedenheit einer Farm bietet für den weltoffenen Reisenden darüber hinaus aber auch Skurriles. Als wir in Vermont in der Nähe der Green Mountains auf eine Farm aufmerksam werden, weil sie ein Schild „piggies 4 sale“ an der Zufahrt aufgestellt hat, ahnen wir noch nicht, dass wir hier an einer Hippi-Residenz angekommen sind.

Eine voluminöse Blondine mit gehäkeltem Blumenschal, umringt von einer Heerschar winziger, kläffender Hunde, öffnet die Haustür. Wir erklären ihr, dass wir eine Weltreise auf unseren Motorrädern unternehmen, aus Deutschland kommen und auf der Suche nach einem Platz für unser Zelt für die Nacht sind. Darüber gerät sie sichtlich in Extase und redet vortan ohne Punkt und Komma auf uns ein.

Ihr Großvater kommt aus Köln, sie dankt gestenreich dem Spirit, dass er uns zu ihr geschickt hat, wir trinken ein Glas Wasser, besichtigen die Schweine, auch wenn wir wahrscheinlich für unsere Reise keins kaufen wollen, hören Hippimusik und den Businessplan für den Vertrieb ihrer selbstgehäkelten Blumenschals, besichtigen die Kühe, sie kommt aus Florida und wohnt jetzt schon zwei Wochen auf dieser total einsamen Farm, ihr Freund kommt wahrscheinlich irgendwann heute Nacht aus dem Gefängnis, also er arbeitet da, sie ruft ihn kurz an, ob wir hier zelten können, also hier hinter dem Haus wäre gut, aber so, dass uns die Hunde nicht sehen können, weil die bellen sonst die ganze Nacht, also wir sollen doch mal in uns hineinspüren und das Zelt aufstellen, wenn es sich gut anfühlt und sie müsse jetzt für ihr Business arbeiten.

Wir spüren in uns hinein und stellen das Zelt auf.

Schweigend kochen wir unser Abendessen und genießen die Stille und den schönen Blick über den natürlich gewachsenen Garten und den meterhohen Rasen.

Irgendwann in der Nacht fahren wir jäh aus dem Schlaf: Getöse, Gekläffe, „Frollein, Frollein!!“, eins der deutschen Worte, die ihr Großvater ihr beigebracht hatte, also der Spirit hätte sich noch mal gemeldet, also sie wollte ja schon immer mal ein bed &  breakfast aufmachen und jetzt, wo wir ja schonmal da wären, also ob wir morgen früh nicht vielleicht Frühstück haben wollten, so um neun, sie würde dann eh eins für ihren Freund machen, wenn er aus dem Gefängnis kommt, ok.

Am nächsten Morgen füttern wir mit ihrem Freund die Schweine. Er ist mehr so der ruhige Typ. Anschließend zeigt er uns voller Stolz seine Elefantensammlung: Figuren, Bilder, Feuerzeuge, Taschenlampen, Brotboxen. Eine ganze Etage hat er seinem Hobby gewidmet.

Frühstück fällt allerdings für ihn und für uns aus, weil seine Freundin vergessen hat, dass sie ja heute morgen mit ihrem Spusi noch Ziegen kaufen will, sie wäre ja doch sehr exited. Aber einen Kaffee gibt es.

Tja, das sind Erlebnisse, die man in keinem Hostel und keinem Reiseführer bekommt!

Andreas


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