Über Fähigkeiten und Furcht

ÜBER FÄHIGKEITEN UND FURCHT

Zurzeit sind wir in Disraeli im francophonen Teil Kanadas und kramen unsere Französischkenntnisse aus uralten Zeiten wieder hoch. Manchmal haben wir Glück und wir verstehen unseren Gegenüber und er uns im Idealfall auch.

Während einer längeren Fahrt auf gerader Strecke gen Québec ist mir dabei etwas aufgefallen: Au francais klingt

je peux quelque chose (ich kann etwas) fast genau so wie

j’ai peur de quelque chose (ich habe Angst vor etwas).

Lediglich ein Buchstabe, ein X und ein R entscheiden also, ob mir ein Vorhaben, eine Herausforderung, eine Tat gelingt oder ich erstarre, flüchte, alles den Bach heruntergeht.

Außerdem erinnert avor peur de quelque chose mich ans Bestellen und Einkaufen, denn es wird im Französischen – so weit ich mich an den Französischunterricht in der Schule entsinne – immer ein Teil von der Gesamtmenge geordert. Zum Beispiel sage ich dann je voudrais des fraises. Ich bestelle also lediglich ein paar Erdbeeren von allen Erdbeeren dieser Welt. Auf die Angst übertragen hieße das ja, dass ich nur einen Bruchteil der Angst habe, die es insgesamt auf dieser Welt gibt.

Im Deutschen sieht das schon wieder anders aus. Hier heißt es ich habe Angst vor etwas, vor dem Umfallen mit dem Motorrad im Wald zum Beispiel. Hier gibt es keine Einschränkung und ich habe also global alle Angst, die es in dieser Welt gibt vor einer bestimmten Sache und nicht nur einen Teil der gesamt möglichen Ängste. Das ist ganz schön viel Angst auf einmal, die geschultert wird.

Zusätzlich kommt noch hinzu, dass es Angst vor etwas haben heißt. Das gefürchtete Ereignis ist zeitlich gar nicht eingetroffen, ich antizipiere es nur. Es handelt sich also um eine Fantasie, etwas Erdachtes. Und doch steuere ich durch meine Gedanken direkt darauf zu.

Hinzu kommt, dass unser Gehirn nicht zwischen Wahrheit und Fiktion unterscheiden kann. Angst als solche ist also nicht real, sondern ein Szenario, das ich sogar lenken kann.

Um bei dem Motorrad-im-Wald-Umfall-Beispiel zu bleiben: Ich habe darüber häufiger sinniert, weil wir ja von Zeit zu Zeit im Wald oder unebenen Farmgelände zelten und es hier heißt, tapfer über holperigen Untergrund zu fahren. Mein Hirn ersann sich sehr spannende Szenarien, das kann ich dir sagen. Die Sorge des Umfalles stieg also beträchtlich an und wuchs bei jedem Kiesel. Eines Tages bin ich tatsächlich beim Umsetzen im Moos stecken geblieben und das Motorrad kippte zur Seite. Es geschah also laut meinem Gehirn das Schlimmstmögliche, was passieren kann.

Und was war? …. Nix. Genau. Also einfach entspannt ablegen. Ein Motorrad mit 250 kg kann ich eben nicht immer auf rutschigem Untergrund halten. Die Kisten und Sturzbügel sind ja da und betten die Maschine weich im Moos.

Und dann? … Motor aus, absteigen, mit dem Rücken gegen die Sitzbank lehnen, eine Hand an den Lenker, die andere an den Griff neben der Sitzbank gelegt und dann heißt es lediglich dagegenstemmen.

Und tadaa, das Moped steht wieder und ich auch. Helm richten, aufsetzen, weiterfahren. Also alles ganz einfach.

Die Angst vor dem Ereignis ist groß, zieht es also an, währenddessen und danach ist sie weg, weil ich ja erst beschäftigt bin und anschließend gemerkt habe, dass sich mein Hirn nur irgendwelche Fantasien ausgedacht hat.

Außerdem habe ich mir beim Aufstellen gesagt ich kann das. Und dann ging das Motorradaufstellen auch – übrigens war das eine Premiere.

Hier hat es also gut funktioniert, das Fürchten gegen das Können auszutauschen und, um bei je peux und j’ai peur zu bleiben, das X anstelle des R zu wählen.

Felicitas


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0 Gedanken zu „Über Fähigkeiten und Furcht

  1. peifelchen sagt:

    Ein sehr schöner Beitrag und ein prima gedankliche Anregung. Danke für diesen tollen Beitrag und überhaupt für euren blog…Ich lese mich mit in euer Reisegepäck und sitze quasi mit im Reisegepäck, hihihi.
    …ups…hoffentlich war ich nicht für die Schlagseite im Koffer verantwortlich ??

  2. Maya Sack sagt:

    Hallo ihr Zwei,

    wir verfolgen eure Seite ganz gespannt und wünschen euch noch eine wunderbare Zeit.

    Ganz liebe Grüße aus Gemmenich Maya & Andreas

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